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Wissenschaft korrigiert sich selber
Nicht jedes Forschungsergebnis ist wahr

Niederländische Psychologen arbeiten an einer Methode, mit der die Statistik von Publikationen vollautomatisch auf ihre Stichhaltigkeit getestet werden kann. Eine Gruppe aus Oxford untersucht, wie viele klinische Studien ihre Ergebnisse an die Erwartungshaltung anpassen. Viele veröffentlichte Studien kommen demnach zu falschen Ergebnissen.

Von Anneke Meyer | 04.01.2016
    Forscherleseplätze in der Staatsbibliothek zu Berlin
    Ergebnisse sollen schlüssig, vor allem aber statistisch signifikant sein. (imago / AKUD / Lars Reimann )
    "Das Beste an der Wissenschaft ist, dass sie sich selbst korrigiert. Wenn es ein Problem gibt, finden wir es und versuchen es zu lösen."
    Trotz der Überzeugung die Brian Nosek im Interview mit HealthNewsReview vertritt - er ist der Mann, dessen Forschung die Frage aufwirft, ob es die viel beschworene Selbstkorrektur der Wissenschaft überhaupt gibt: Er hat ein Projekt initiiert, das die Reproduzierbarkeit von Studien im Bereich der Psychologie auf die Probe gestellt hat.
    Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 36 der hundert wiederholten Untersuchungen konnten die ursprüngliche Beobachtung eindeutig bestätigen. Das heißt zwei Drittel der Publikationen scheinen was ihre Aussagekraft angeht, zumindest fragwürdig zu sein.
    Susann Fiedler vom Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn ist eine von zweihundertsiebzig Wissenschaftlern, die über drei Jahre an dem Projekt gearbeitet haben:
    "Dieses Projekt war tatsächlich eines der wichtigsten Sachen, die man im Moment machen kann. Weil in dem Moment wo ich nicht mehr daran glaube, dass die Sachen, die ich selber rausfinde, oder die Sachen, die meine Kollegen rausfinden, dass die etwas bedeuten, dann muss ich meinen Job nicht mehr machen."
    Überall schleichen sich Fehler ein
    Wie viel Wahrheit steckt in wissenschaftlichen Publikationen? Eine Frage, die sich nicht nur Psychologen stellen müssen. Auch Pharma-Konzerne wie Bayer berichten von Reproduktionsraten unter dreißig Prozent. Genom-Studien verlieren sich in der schieren Menge der Daten. Fehler schleichen sich überall ein.
    Betrug steckt aber nur selten hinter einem nicht wiederholbaren Ergebnis, erklärt John Ioannidis. Co-Direktor am Meta-Research Innovation Center in Stanford, einem Institut zur Qualitätsverbesserung in der Forschung. Manche nennen ihn den "Whistelblower der schlampigen Wissenschaft".
    "Wenn hundert Forscher das perfekte Experiment fehlerfrei durchführen, werden immer einige ein statistisch signifikantes Ergebnis bekommen und andere nicht. Wir haben Vorannahmen, die das Ergebnis beeinflussen. Auch bei redlicher Absicht kann etwas Falsches raus kommen."
    Die Probleme sind nicht neu
    Kein Forscher will nichts herausfinden. Ergebnisse sollen schlüssig, vor allem aber statistisch signifikant sein. Negative oder nicht signifikante Befunde lassen sich schlecht veröffentlichen. Publikationen sind aber entscheidend, um in der Wissenschaft Erfolg zu haben. Probleme, die nicht neu sind. Neu ist die systematische Art und Weise, in der sie angegangen werden.
    "Ich denke, dass sich hier eine ganz neue Forschungsdisziplin entsteht. Ist mein Forschungsdesign gut? Wie bleibe ich objektiv? Viele Forscher denken über diese Probleme im Zusammenhang mit ihrer eigenen Arbeit nach. Jetzt kommen wir zusammen und entwickeln übergreifende Ansätze."
    Über 800 Veröffentlichungen, in denen Forschung erforscht wird, sind allein im ersten Halbjahr 2015 erschienen. Den Finger in die Wunde zu legen, hält John Ioannidis trotz der Imageeinbußen für richtig:
    "Wissenschaft korrigiert sich selber, aber das bedeutet nicht, dass wir nichts tun müssen. Natürlich denken wir nicht mehr, dass die Erde das Zentrum des Universums ist. Wir haben diesen Fehler korrigiert – aber das hat zweitausend Jahre gedauert. Die Frage ist: Geht es auch schneller?"
    Forschungstransparenz verbessern
    Wenn die Selbstkorrektur mit der ständig höher werdenden Schlagzahl der Wissenschaft mithalten soll, muss das schneller gehen. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die Anzahl der Publikationen alle neun Jahre verdoppelt. Damit steigt die Chance, wichtige Entdeckungen zu machen. Gleichzeitig schnellt aber auch die Wahrscheinlichkeit in die Höhe, ein unbedeutendes Zufallsergebnis als Durchbruch zu feiern. Susann Fiedler ist sich sicher, dass Initiativen wie das Reproduzierbarkeitsprojekt Augenöffner sind.
    "Wenn man auf irgend einer Art und Weise aktives Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist, dann kommt man im Moment daran nicht vorbei und sobald man also eine anderen Standard vorgelebt bekommt, verändern sich Normen. Und das scheint einfach im Moment zu passieren. Deswegen bin ich super optimistisch!"
    Große Journale wie Nature, Science, oder Cell haben mittlerweile Richtlinien erarbeitet, die Reproduzierbarkeit und Forschungstransparenz verbessern sollen. Dazu gehört etwa die Wiedereinführung ausführlicher Methodenteile. Andere Fachzeitschriften wie Cortex oder Psychological Science haben eine "Vorab Registrierung" eingeführt. Genau wie es bei klinischen Studien schon Pflicht ist, können Autoren hier vor der Datenerhebung angeben, was sie genau messen wollen. Eine Art Selbstschutz davor, zum Schluss nur nach signifikanten Ergebnissen zu suchen.
    "Ich bin persönlich überrascht wie viel sich geändert hat. Wir sehen Veränderungen auf der Ebene der Journale. Da werden neuerdings neue Erwartungen im Grunde an den Forschenden herangetragen, größere Transparenz gefordert, mehr Offenheit mit den Daten, und dem entsprechend werden die Artikel einfach besser.
    Für eine Veränderung im großen Stil müssten allerdings die Geldgeber mehr mitziehen als es bisher der Fall ist. Ein Projekt zur Reproduzierbarkeit von Pre-Klinischen Studien musste seine Ziele gerade kürzer stecken. Statt 50 werden jetzt nur noch 37 Studien wiederholt. Für den Rest reicht das Geld nicht.