Es ist Feierabendstimmung in Canberra, Australien. Benjamin Schwessinger blickt entspannt in die Internetkamera. Tattoos auf den Armen, Bier in der Hand - alles "no worries" wie man in Australien gerne sagt. Wenn es um gute und bessere Wissenschaft geht, ist der gebürtige Deutsche allerdings alles andere als lässig.
"Die Geschichte fängt so an, dass 2011 ich und noch zwei, drei andere ins Labor von Pam Ronald gekommen sind."
Vier Jahre, um einen Fehler zu finden
Pamela Ronald untersucht das Immunsystem von Pflanzen und ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Zwei Jahre früher hat ihre Arbeitsgruppe ein Protein gefunden, an dem Pflanzen krankheitserregende Bakterien erkennen. Eine wichtige Entdeckung, auf der Benjamin Schwessinger aufbauen will.
"Wie das halt in der Wissenschaft geht – am Anfang versucht man, die vorherigen Ergebnisse zu wiederholen. Nur ging das alles irgendwie nicht zusammen"
Weder ihm noch seinen Kollegen gelingt es, die Forschungsergebnisse zu wiederholen. 2013 zieht seine Chefin Pamela Ronald, die in Fachkreisen vielbeachtete Veröffentlichung zurück.
"Natürlich kommen einem Gedanken, ob man die Gruppe wechseln sollte oder was das überhaupt soll. Wo man da reingeraten ist."
Doch Benjamin Schwessinger bleibt. Zusammen mit zwei seiner Kollegen investiert er fast vier Jahre, um dem Fehler auf die Schliche zu kommen und ihn zu korrigieren.
"Ich finde es gut, dass wir es gemacht haben. Ich glaube, das ist ein langfristiger Gewinn. Aber ich glaube nicht, dass es mir geholfen hat, einen Job zu bekommen.
Viel Zeit verloren
Inzwischen ist er selber Gruppenleiter an der Australien National University – allerdings mit Zeitvertrag. Nebenbei engagiert er sich für Transparenz in der Wissenschaft, gibt Schulungen für PostDocs und Doktoranden. Die Erfahrung in Pamela Ronalds Labor hat seine Karriere geprägt, aber nicht einfacher gemacht:
"Ich habe Zeit verloren. Hätte ich etwas Anderes machen können, hätte ich vielleicht mehr Artikel publizieren können. Also ich glaube, ich hätte meine Zeit, die ich drauf verwendet habe, irgendetwas zu korrigieren in diesen Wissenschaftsmaßstäben vielleicht besser investieren können."
Publikationsdruck bestimmt alles
Publikationen sind die Währung der Wissenschaft. Nature, Science, the Lancet: Wer viel und in den renommiertesten Zeitschriften publiziert, der hat bessere Aussichten auf unbefristete Stellen und Forschungsmittel. Ein Belohnungssystem, in dem die Korrektur eines Fehlers nichts zählt.
"Die Qualität der Wissenschaft wird beinahe nur daran gemessen, wo man publiziert. Und das ist der Kern des Problems. Man denkt damit misst man Qualität. Wenn Leute so Leistungsmaßstäbe ansetzen, um Wissenschaft zu quantifizieren, passiert das irgendwie, dass es nicht mehr um die Wissenschaft geht, sondern einfach darum, die Maßstäbe gut auszufüllen."
Meta-Studien zeigen, dass die Mehrzahl der Forscher zum Beispiel Signifikanzschwellen genau so wählen, dass sie dem gängigen Standard Genüge tun. Nicht so, dass sie die bestmöglichen Ergebnisse versprechen. Am guten Willen mangelt es dabei nicht. In einer Befragung unter Wissenschaftlern in den USA gab die überwältigende Mehrheit an, sie würden gerne höhere Standards anlegen, wenn der Publikationsdruck geringer wäre.
Benjamin Schwessinger erntet auch heute noch Lob für seinen Einsatz im Dienste guter Wissenschaft. Das Vorgehen der Forscher aus Pamela Ronalds Labor gilt allgemein als Paradebeispiel dafür "wie man das Richtige tut". Bei Bewerbungen auf Fördergelder oder Professuren ist das so viel Wert wie ein Fleißbienchen im Mutti-Buch.
"Irgendwie Wissenschaft zu verbessern ist schwer quantifizierbar, deshalb zählt es nicht. Viel auf diesem Jobmarkt geht darum, was man einmal publiziert hat, was die Expertise ist. Es werden nicht Leute eingestellt, weil sie gute Arbeit machen."