"Es gibt eine Menge Probleme mit dem Peer-Review. Viele sagen, das Verfahren sei undurchsichtig, eine Blackbox, zu teuer und ineffizient. Es sollte ersetzt werden. Aber wir denken, es lohnt den Versuch, das System zu verbessern und es zu reformieren."
Flaminio Squazzoni ist Vorsitzender der Initiative "New Frontiers of Peer Review" kurz "PEERE". Mit finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union arbeiten in dem Projekt Wissenschaftler und Verleger gemeinsam daran, herauszufinden was ein gutes Peer-Review-Verfahren eigentlich ausmacht.
Disziplinübergreifende Standards gibt es für Gutachterverfahren genauso wenig wie messbare Qualitätskriterien. Denn obwohl Forscher von Krebs bis zur Gleitfähigkeit von Bananenschalen alles untersuchen: Ausgerechnet die Säule der wissenschaftlichen Qualitätssicherung ist weitestgehend unerforschtes Gebiet:
"Wir haben da eine Wissenslücke, die meiner Meinung nach fast skandalös ist, wenn man bedenkt, dass über Gutachterverfahren quasi die gesamte Ressourcenverteilung festgelegt wird - von Publikationen bis zu Fördergeldern. Verschiedene Magazine experimentieren mit unterschiedlichen Modellen von Peer Review, aber eine systematische Auswertung dieser Tests in Hinblick darauf wie sie den Prozess verbessern, gibt es nicht."
Voraussetzung für eine solche Evaluation ist der Zugriff auf Dokumente, die normalerweise bei den wissenschaftlichen Verlagen unter Verschluss liegen: Die Gutachten.
"Wir wollen eine Datenbank einrichten, die ihre Informationen von den Gutachterplattformen bei Elsevier oder Springer bezieht. An diesen Daten kann man dann gezielte Forschungsfragen untersuchen."
Ein Vorhaben, das selbst mit der Unterstützung der Verleger leichter gesagt als getan ist, wie David Erdon, Jurist von der University of Cambridge, erklärt:
"Die Leute denken über Daten oft als etwas rein Technisches. Aber in dem Moment, wo wir über Forscher sprechen oder ihre Arbeit bewerten, geben wir sehr persönliche Informationen preis. Bevor solche Daten zugänglich gemacht werden, muss erst mal der Datenschutz abgeklärt werden."
Nur wenige Wissenschaftler für Teilnahme an Open Review bereit
Dass Datenschutz gerade in Hinblick auf die eigene Identität nicht nur dem Gesetz, sondern auch vielen Gutachtern wichtig ist, zeigen erste Forschungsergebnisse der PEERE Initiative, die anhand von kleinen Datensätzen erhoben wurden: Wenige Wissenschaftler sind bereit an einem "Open Review" teilzunehmen, also ein Gutachten zu schreiben, das zusammen mit der Forschungsarbeit veröffentlicht wird. Warum das so ist, erklärt möglicherweise eine weitere Studie:
"Wir haben Hinweise darauf, dass durch zunehmenden Konkurrenzdruck und durch die Intransparenz des Peer Reviews Gutachter verleitet sind, ihre Position auszunutzen um Konkurrenten auszustechen. Etwa indem man Forschung unterstützt die gut zur eigenen passt oder umgekehrt Wissenschaft ausbremst, die konträr zu den eigenen Ergebnissen ist."
... zum Beispiel, indem das Verfahren absichtlich in die Länge gezogen wird. Mithilfe der von PEERE geplanten umfassenden Gutachten-Datenbank könnten Forscher und Verleger nicht nur genau bestimmen, wie verbreitet Schwachstellen dieser Art sind. Es könnte auch überprüft werden, wie wirksam eingeleitete Gegenmaßnahmen sind. Flaminio Squazzoni hofft so, auf lange Sicht den guten Ruf des Peer Reviews zurückzugewinnen.