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Wissenschaft zwischen Thora und Terror

"Intelligenz ist der einzige Rohstoff, den wir haben." Das hatte bereits Israels erster Staatspräsident Chaim Weizmann seinen Landsleuten ins Stammbuch geschrieben. Staatsgründer David Ben-Gurion ergänzte 1961: "Wissenschaftliche Forschung ist nicht mehr nur ein abstrakter intellektueller Zeitvertreib. Ihre Errungenschaften sind ein entscheidender Faktor im Leben jedes zivilisierten Volkes." Diese klaren Vorgaben führten zum Erfolg. Israel ist heute eine der führenden High-Tech-Nationen weltweit, seine Forscher haben auf vielen Gebieten international einen ausgezeichneten Ruf. Wer sie besucht, wird jedoch auch mancher Risse im heilen Bild von der Wissenschafts-Weltmacht Israel gewahr. Die exorbitanten Summen, die der Konflikt mit den Palästinensern verschlingt, haben, gepaart mit der schlechten Wirtschaftslage, zu einer Kürzung der öffentlichen Gelder für die Forschung geführt. Internationale Konferenzen werden wegen Sicherheitsbedenken der Teilnehmer ins Ausland verlegt. Und mancher Wissenschaftler hat das Gefühl, dass Anträge auf Fördermittel bei der EU inzwischen häufiger als früher abgelehnt werden, wenn israelische Gruppen dabei sind – als Reaktion auf das repressive Vorgehen der Regierung Scharon in den besetzten Gebieten.

Ralf Krauter | 28.09.2003
    Unterwegs nach Israel – ich sitze in einem Airbus A321. Von Deutschland nach Tel Aviv sind es 5 Stunden. Der israelische Minister für Wissenschaft und Technologie hat eine handvoll Journalisten eingeladen, vier Tage lang renommierte Stätten der Forschung im heiligen Land zu besuchen – vermutlich zwecks Imagepflege für die israelische Wissenschaft in Zeiten der Intifada.

    "Ist das eine gute Idee, da gerade jetzt hinzufliegen?", hatten mich Freunde gefragt, "wo sich der Konflikt mit den Palästinensern wieder so zugespitzt hat."

    Israel ist ein kleines Land. Auf einer Fläche so groß wie Hessen, wohnen 6,5 Millionen Menschen. Um in dem in weiten Teilen kargen Land überleben zu können, hat die israelische Regierung sehr früh und konsequent auf Forschung und High-Tech-Industrie gesetzt.

    Wissenschaftliche Forschung ist heute nicht mehr nur eine abstrakter intellektueller Zeitvertreib. Ihre Errungenschaften sind ein entscheidender Faktor im Leben jedes zivilisierten Volkes.

    Diese Worte schrieb Staatsgründer David Ben-Gurion seinen Landsleuten 1961 ins Stammbuch. Und auch schon Israels erster Staatspräsident, der Chemiker Chaim Weizmann wurde nicht müde zu wiederholen:

    Intelligenz ist der einzige Rohstoff, über den wir verfügen.

    In einem Kleinbus mit getönten Scheiben fahren wir von Tel Aviv nach Südosten. Die Landschaft ist zunächst überraschend grün – das Ergebnis ausgeklügelter Bewässerungstechnologie.

    Wir fahren in die Wüste Negev, die die gesamte Südhälfte des Staates Israel ausmacht. Südlich von Beerscheba gibt es kaum noch Grün, nur noch eine endlose Kette steiniger Hügel, die in der Hitze flimmern. In der Ferne ab und zu die schwarzen Zelte und Wellblechhütten von Beduinen.

    Nach zweieinhalb Stunden: Eine grüne Oase inmitten der Einöde. Sede Boqer heißt der Ort und ist ein internationales Zentrum für Wüstenforschung.

    Der Auftrag unseres Instituts lautet: Studiere die Wüste in Israel und finde Wege, sie bewohnbar zu machen. Und das war der große Traum von Ben Gurion: Die Wüste zu begrünen.

    Professor Avigad Vonshak ist der Direktor des Jacob Blaustein Instituts für Wüstenforschung. 60 Wissenschaftler arbeiten hier, und zwar vor allem an Konzepten für die nachhaltige Nutzung der Trockenzonen der Erde. Ihre Erkenntnisse sind weltweit gefragt. Denn die schleichende Verwandlung von Steppenlandschaften in völlig unfruchtbare Wüstenregionen ist ein globales Problem.

    Mit effizienten Bewässerungssystemen und durchdachten Nutzungskonzepten versuchen die israelischen Forscher Bodenerosion und drohende Wüstenbildung in den Griff zu bekommen – teils mit beachtlichem Erfolg, auf dem man stolz ist. Auf einem aktuellen Satellitenbild der Region ist der israelische Teil der Negev-Wüste grau gefärbt. Jenseits der Grenze zu Ägypten ist die Karte dagegen völlig weiß.

    Je dunkler die Farbe, desto mehr Chlorophyll gibt es am Boden. Und da Chlorophyll der wichtigste Pflanzenfarbstoff ist, verrät uns das direkt, wie viel biologische Aktivität wir am Boden haben. Diese schöne Linie, die sie hier sehen, existierte vor 40 Jahren noch nicht. Sie entstand erst in den siebziger Jahren.

    Schuld daran sind die Beduinen. Weil sich die Bevölkerung der schafzüchtenden Nomaden auf der Sinai-Halbinsel in den vergangenen 30 Jahren verdreifacht hat, hat der karge Boden inzwischen keine Chance mehr, sich zu regenerieren. Aus einer Trockenzone ist eine Wüste geworden, in der gar nichts mehr wächst.

    Die gute Nachricht aus Sede Boqer: Der Prozess der Wüstenbildung ist umkehrbar. Das belegt ein abgezäuntes Stück Land der ägyptischen Armee, auf dem sich die spärliche Vegetation – geschützt vor den Schafen – regeneriert hat: Auf dem Satellitenfoto ist inmitten von weiß ein fruchtbarer grauer Fleck auf dem Sinai zu sehen.

    Jacob Blaustein, der Stifter und Namenspatron des Wüstenforschungs-zentrums in der Negev, war ein amerikanischer Jude, der 1910 die American Oil Company Amoco gründete und im Ölgeschäft ein Vermögen verdiente.

    Ein paar hundert Meter weiter, vorbei lehmfarbenen Häusern, die sich in den Schatten von Palmen ducken, befindet sich das nationale Zentrum für Solarenergie. Auf einem mehrere Fußballfelder großen Versuchsgelände werden hier Solarzellen und Sonnenkollektoren erprobt.

    David Faiman, der Direktor des Zentrums für Solarenergie, ist um die 50, mit wirrem Haar, und kneift die Augen im grellen Sonnenlicht zusammen.

    Seit 20 Jahren arbeitet er daran, Solarenergie so preiswert zu machen, dass sie wirtschaftlich mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe konkurrieren kann.

    Das Problem mit den Solarzellen ist: Sie sind zu teuer um große Flächen damit zu bestücken. Energie von der Sonne ist aber eine sehr verdünnte Form der Energie. Man braucht also riesige Flächen um nennenswerte Mengen davon aufzusammeln. Sie sehen: Diese beiden Randbedingungen sind wirtschaftlich nicht unter einen Hut zu bekommen.

    Ein Quadratmeter Wüstenboden kann im Verlauf eines Jahres gerade einmal soviel Solarenergie absorbieren, wie in einem Barrel Öl steckt. Um den weltweiten Energiebedarf von Millionen Barrel Öl täglich zu decken, müssten also viele hundert Quadratkilometer Wüstenboden mit Solarzellen zugepflastert werden. Die dafür nötigen Investitionen wären gigantisch, selbst wenn Solarzellen in Zukunft deutlich preiswerter zu haben sind.

    Um Solarenergie konkurrenzfähig zu machen, hilft deshalb nur eines: Wir müssen diese riesigen Flächen mit preiswerten Materialen bedecken, zum Beispiel mit Spiegeln aus Glas, die das Licht dann auf eine relativ kleine Solarzelle fokussieren.

    Wie das funktionieren könnte, dass ist in Sede Boqer schon heute zu sehen. Etwa 100 Meter links vom Tor des Versuchsgeländes steht ein schon von weitem sichtbares Gerüst aus Stahlrohren, das ein großes schüsselförmiges Gebilde trägt.

    Wir haben hier einen Parabolspiegel gebaut. Das ist die größte Solarschüssel der Welt. Die Sammelfläche ist 420 Quadratmeter groß. Sie ist sechseckig und der Abstand zweier gegenüberliegender Seiten beträgt 26 Meter.

    Ein hydraulisches Nachführ-System sorgt dafür, dass die Schüssel immer genau zur Sonne ausgerichtet ist.

    Die 216 einzeln justierbaren Spiegel konzentrieren das einfallende Sonnenlicht auf das 10 Tausendfache. Im Brennpunkt der Schüssel hängen Solarzellen, die das gleißende Licht in elektrischen Strom umwandeln. Bei dem gerade laufenden Projekt verwendet David Faiman Solarzellen aus Deutschland, gefertigt am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg.

    Im Brennpunkt befestigen wir eine einen Quadratmeter große Fläche mit Solarzellen. Das sind spezielle Solarzellen aus Silizium, die sehr hohe Lichtintensitäten aushalten. Diese Zellen haben eine Effizienz von über 20 Prozent. Das heißt, dass wir von einem Quadratmeter Solarzellen statt der üblichen 100 Watt, die normale Solarzellen an einem Tag wie heute liefern, 100 Kilowatt bekommen. Das ist tausendmal mehr Energie pro Quadratmeter Solarzellenfläche – was effektiv bedeutet, dass wir den Preis der Solarzellen um den Faktor 1000 verringert haben. Solarzellen kosten heute etwa 100 Euro pro Quadratmeter. Wenn sie das um den Faktor 1000 billiger machen, dann bedeutet das, dass die Solarzellen so gut wir gar nichts mehr kosten.

    Bei kostengünstiger Massenproduktion der lichtkonzentrierenden Spiegelschüsseln, wären die Investionskosten pro Watt Solarstrom damit auf einen Schlag genauso niedrig wie bei konventionellen Kraftwerken und die Energie von der Sonne damit wirtschaftlich konkurrenzfähig.

    Wenn der heiße Wind aus der Negev David Faimanns Haare zerzaust, dann wirkt er wie ein Prophet in der Wüste. Seine Vision ist die einer Welt, in der keine Kriege mehr für Öl geführt werden. Stattdessen soll preiswerter Solarstrom, erzeugt in den Wüsten der Erde, durch Elektrolyse Wasserstoff erzeugen – den Energieträger der Zukunft.

    Bislang sind David Faimans Rufe in der israelischen Wüste weitgehend ungehört verhallt. Regenerative Energie spielen bei der Stromversorgung praktisch keine Rolle – obwohl die klimatischen Randbedingungen kaum besser sein könnten. Aber immerhin:

    Im November 2002 hat das israelische Parlament grünes Licht für den Bau des weltweit größten Solarkraftwerkes gegeben. Mit 100 Megawatt Leistung soll es einmal 200 000 Menschen mit Strom von der Sonne versorgen. In naher Zukunft sollen vier weitere Kraftwerke gleicher Größe folgen. Zusammen werden sie dann 5 Prozent des landesweiten Stromverbrauchs decken.

    So wie es aussieht wird Faimans Spiegelschüssel dabei aber noch nicht zum Zug kommen. Die Planer setzen auf erprobte solarthermische Anlagen, bei denen von der Sonne erhitztes Öl eine Turbine antreibt.

    Von Sede Boqer fahren wir weiter nach Nordosten, durch eine öde Landschaft von bizarrer Schönheit. Nach gut einer Stunde beginnt sich die Straße in Serpentinen durch das staubige Gestein abwärts zu schlängeln. Immer tiefer. Bis weit unten in der Ferne irgendwann Wasser im Sonnenlicht glitzert. Das Tote Meer, 400 Meter unter dem Meeresspiegel gelegen.

    Unser Ziel am Ufer des Toten Meeres war schon von weitem zu erkennen. Eine riesiges Gewirr aus Kaminen, Tanks und Stahlrohren, das ein wenig an ein gestrandetes Raumschiff erinnert.

    Das salzig-ölige Wasser des Toten Meeres ist in Israel die einzige nennenswerte Quelle für chemische Rohstoffe. Dafür aber eine ziemlich reichhaltige, weshalb der Chemiekonzern Israel Chemicals Limited seine Produktionsanlagen direkt ans Ufer gebaut hat.

    Vor allem eines seiner Produkte wird im großen Stil nach Deutschland exportiert: Das Leichtmetall Magnesium.

    Magnesium wiegt rund ein Drittel weniger als Aluminium und es lässt sich hervorragend in Formen gießen – zwei Eigenschaften, die Magnesium in den letzten Jahren zu einem gefragten Werkstoff für die Automobilindustrie gemacht haben.

    Wir beginnen mit Wasser aus dem Toten Meer und am Ende haben wir ein fertiges Getriebe, zum Beispiel für Audi in Deutschland – schwärmt Yotam Vardi, der bei der Firma Dead Sea Magnesium fürs Marketing verantwortlich ist. 35 Tausend Tonnen Magnesium produziert das Unternehmen jährlich, knapp 10 Prozent der Weltproduktion. Hauptabnehmer ist VW in Wolfsburg. Der deutsche Autohersteller gießt daraus Motorblöcke, Getriebegehäuse und Ölwannen.

    Ausgangsmaterial für die Magnesiumherstellung ist das Mineral Karnallit, das zurück bleibt, wenn die sengende Sonne in großen Becken das Wasser des Toten Meeres verdampft. Nach Zugabe von Chlor wird das resultierende Gemisch auf 700 Grad aufgeheizt und elektrolysiert.

    An der Oberfläche der orange-brodelnden Flüssigkeit schwimmen in steinernen Kanälen silberne Blasen aus flüssigem Magnesium. Reinheit 99,9 Prozent.

    Die angrenzende Halle des Produktionskomplexes ist so groß wie ein Flugzeughangar. Hier wird das Roh-Magnesium durch Zugabe von Aluminium, Mangan oder Zink veredelt, je nachdem welche Werkstoff-Eigenschaften gewünscht sind. An vier Fließbändern wird die kochende silberne Flüssigkeit dann in Formen gegossen und abgekühlt. Heraus kommen erstaunlich leichte silberne Barren, die von Mitarbeitern auf Versandpaletten gestapelt werden. Jede vierte davon wird schließlich in Wolfsburg landen.

    Vom Toten Meer nach Jerusalem braucht man mit dem Auto gut zwei Stunden, den alltäglichen Stau vor den Toren der Stadt nicht eingerechnet. Einer der Campusse der Hebräischen Universität befindet sich auf einem Hügel in er Nähe der Knesset, kurz hinter dem Außenministerium.

    Die Hebräische Universität in Jerusalem wurde 1925 gegründet. Heute studieren hier 24 000 Studenten. Jeder dritte israelische Doktorand macht hier seinen Abschluss.

    Die ARD Hörfunk-Korrespondentin in Tel Aviv hatte mir vor der Reise am Telefon gesagt, dass hier seit langem kaum noch ein ausländischer Journalist Zutritt bekommt. Aus Angst vor Selbstmordanschlägen wird an einer Sicherheitsschleuse genau kontrolliert, wer rein darf. Ohne Voranmeldung und Pass hat man schlechte Karten. Taschen wandern durch einen Röntgenscanner, man selbst durch eine Metalldetektorschleuse – genau wie am Flughafen.

    Wer drinnen viele orthodoxe Juden erwartet hatte, wird enttäuscht: Ein ganz gewöhnlicher Universitätscampus, mit der üblichen Mischung aus jungen Leuten, Grünflächen und Flachbauten. Wir hören einen Vortrag über Elekrooptik und einen über Biotechnologie – beides Zukunftstechnologien, bei denen israelische Wissenschaftler ganz vorne mitmischen. Ein Erfolg den man im Forschungsministerium der weitsichtigen strategischen Förderpolitik zuschreibt, die interdisziplinäre Ansätze gezielt unterstützt.

    Pro Kopf der Bevölkerung gibt kein anderes Land der Erde soviel Geld für Forschung und Entwicklung aus wie Israel. Im Jahr 2000 flossen allein in die zivile Forschung vier Prozent des Bruttosozialproduktes – das ist Weltspitze, noch vor den USA und Japan. Als Folge dieser Investitionen hat sich Israel innerhalb der letzten 15 Jahre zu einer High-Tech-Nation entwickelt. In einer Broschüre des Bundesforschungsministeriums ist zu lesen:

    Gemessen an seiner Bevölkerung produziert Israel weltweit die höchste Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, verfügt über die meisten Wissenschaftler und über die höchste Zahl an Firmenneugründungen.

    Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber auch Risse im Bild von der High-Tech-Weltmacht Israel. Ein Großteil der Start-Up-Firmen, die im Gefolge der dot-com-Blase gegründet wurden, sind pleite. Und weil Wissenschaftler in Israel genauso selten auf die Straße gehen wie ihre Kollegen in Deutschland, kürzen die Politiker in Zeiten knapper Kassen eher bei den Forschungsausgaben als anderswo. Eine Tendenz, die Elieser Rosenfeld aus dem Wissenschaftsministerium, der uns auf der Fahrt zum Weizmann-Insitut begleitet, Sorge bereitet. Mit seinem langen grauen Bart und der Kippa ist Rosenberg der erste Gesprächspartner auf unserer Reise, der dem klassischen Bild des orthodoxen Juden ansatzweise nahe kommt.

    Langfristig ist es schon ein Problem. Es ist ein Riesenproblem für Politiker, die langfristigen Notwendigkeiten im Auge zu haben, wenn kurzfristige Probleme so groß sind. Unsere Ausgaben sind viel zu hoch, vor allem die Sicherheitsausgaben. Das kann sich ein Land wie unseres nicht leisten.

    Und welche Rolle spielt die von manchem beklagte zunehmende Isolation israelischer Forscher? Was ist mit jenem offenen Brief, in dem zwei britische Forscher vergangenen Sommer ihre Kollegen aufgefordert haben, akademische Einrichtungen in Israel zu boykottieren, bis die Regierung andere Wege zur Lösung des Konfliktes wählt als Repression und Vergeltung? Weil israelische Wissenschaftler kräftig von Fördergeldern aus EU-Töpfen profitieren, hätten sie es wohl deutlich zu spüren bekommen, wenn das Ansinnen Erfolg gehabt hätte. Elieser Rosenfeld, der Mann aus dem Ministerium, wiegelt ab.

    In den Zeitungen hat es große Wellen geschlagen. Unter den Wissenschaftlern hat es keine großen Wellen geschlagen. Das Hauptproblem, das wir hatten ist, dass gewisse Zeit Wissenschaftler aus dem Ausland nicht nach Israel kommen wollten, weil sie Angst hatten vor Anschlägen. Also zum Beispiel das deutsch-israelische Laserprogramm. Da wurde das zweite Statusseminar, das in Israel hätte sein sollen, das wurde dann kurzfristig nach Deutschland verlegt, obwohl unser Minister damals eigentlich sehr strikt dagegen war. Aber in diesem Fall wurde die Reihenfolge einfach umgetauscht, in der Hoffnung dass es jetzt gut ist. Und das sie jetzt da sind, bedeutet auch etwas.

    Beim Mittagessen am Weizmann-Institut in Rehovot – einer durch Zäune geschützten Oase der Forschung, 40 Kilometer südlich von Tel Aviv – fällt der Blick durchs Fenster auf sattes Grün und Rasensprenger. Einer der Physikprofessoren fragt mich: Verstehen sie, warum die Forscher aus dem Ausland nicht mehr hierher kommen wollen? Es ist doch so friedlich hier. Dass am folgenden Tag zwei Selbstmordattentäter in Jerusalem und in einem Vorort von Tel Aviv 15 Menschen in die Luft sprengen werden, kann er nicht wissen. Überraschend für mich: Der Professor sagt, die Amerikaner seien die ersten gewesen, die aus Angst vor den Anschlägen fort geblieben sind. Sein Kollege hat das Gefühl, dass Projektanträge bei der EU inzwischen häufiger abgelehnt werden, wenn israelische Gruppen beteiligt sind.

    Vom Weizmann-Institut in Rehovot geht es nach Haifa im Norden. Von Tel Aviv aus führt eine mautpflichtige Schnellstraße kilometerweit an jenem Zaun entlang, der nach dem Willen der Regierung das israelische Kernland nach Osten hin vom palästinensischen Westjordanland abriegeln soll.

    Wir sind in der medizinischen Fakultät des Technion, einer Kaderschmiede für Ingenieure.

    Das Technion wurde 1924 überwiegend von aus Berlin eingewanderten Professoren gegründet. Einer seiner prominentesten Förderer war Albert Einstein. Das Technion gilt in Israel als Zukunftsschmiede für die High-Tech-Industrie. Über 70 Prozent der Manager und Firmengründer der Branche wurden hier ausgebildet.

    In dem Institut gegenüber der Rambam-Klinik arbeitet der in Deutschland vermutlich bekannteste israelische Forscher: Professor Joseph Itskovitz. Man könnte ihn ohne arg zu übertreiben als den Meister der embryonalen Stammzellen beschreiben – also jener wandlungsfähigen Tausendsassas, auf die Mediziner große Hoffnungen setzen, wenn es um die zukünftige Heilung von Krankheiten wie Parkinson und Diabetes geht. Aus dem Labor von Itskovitz in Haifa kam die heiße Ware, die der Bonner Neurowissenschaftler Oliver Brüstle nach mehrjähriger kontroverser Debatte und einem Bundestagsbeschluss im vergangenen Dezember nach Deutschland einführen durfte.

    Der Frauenarzt Joseph Itskovitz war einer der ersten, dem es gelang, embryonale Stammzellen von menschlichen Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig geblieben waren, im Labor zu vermehren. Mittlerweile hat seine Gruppe 11 bis 12 verschiedene dieser Zelllinien im Kühlschrank – so ganz genau will sich der agile dunkelhaarige Mann in den 50ern da nicht festlegen. Nach Deutschland importiert werden, dürften aber nur 9 davon. Die restlichen wurden nach dem für Deutschland verbindlichen Stichtag 31. Dezember 2001 hergestellt.

    Die Geschichte mit dem hohen Besuch aus Deutschland erzählt Itskovitz immer noch gerne. Damals, im Sommer 2001, als Ministerpräsident Wolfgang Clement plötzlich gemeinsam mit Oliver Brüstle und einer 40 köpfigen Delegation mit dem Hubschrauber einflog, um sein Labor zu besichtigen.

    Schwer vorzustellen, wie hier 40 Leute reingepasst haben. Die Büros sind klein und der schmale Korridor ist mit Analysegerät und Petrischalen so voll gestellt, dass sich schon 10 Menschen zwangsläufig ständig auf die Füße treten. Dennoch:

    Die israelischen Stammzellforscher haben in den letzten Monaten wichtige Fortschritte erzielt. Mittlerweile sind sie in der Lage, embryonale Stammzellen gezielt zu verwandeln – zum Beispiel in insulinproduzierende Zellen, die einmal Diabetikern das Leben erleichtern könnten. Auch die Differenzierung in schlagende Herzmuskelzellen beherrschen die Wissenschaftler inzwischen.

    Ob Itskovitz bei solchen Erfolgen die Bedenkenträger in Deutschland verstehen kann? Schließlich gilt die Gewinnung neuer Stammzelllinien dort als verbrauchende Embryonenforschung und ist damit strikt verboten.

    Ja und nein. Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit kann ich diese Bedenken schon verstehen. Die Deutschen wollen sich selbst und der Welt zeigen, dass sie all die ethischen Fragen, die die Stammzellforschung aufwirft, gründlich abwägen. Leider machen sie das, wie ich finde, etwas zu gründlich. Sie schießen über das Ziel hinaus. Dasselbe gilt aber auch für die USA und andere Länder Europas. Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz klar, warum sie da so strikt sind. Am Ende geht es dabei doch um reine Glaubensfragen. Wenn man glaubt, dass das Leben mit der Befruchtung der Eizelle beginnt, dann war's das. Das ist das Ende der Diskussion. Aber wenn sie nicht daran glauben, dann kann ich absolut nicht verstehen, wie man es zwar einerseits erlauben kann, einen existierenden tiefgefrorenen Embryo einfach wegzuwerfen, aber andererseits verbietet, ihn zu Forschungszwecken zu verwenden – wodurch er dazu beitragen könnte, vielleicht einmal viele Krankheiten zu heilen.

    Ich finde die Argumentation der Kritiker etwas scheinheilig. In Deutschland zum Beispiel ist es legal, eine Schwangerschaft wegen medizinischer oder sozialer Probleme zu beenden, indem man abtreibt. Aber warum erlaubt man dann nicht, Embryos, die sowieso vernichtet werden, für die Forschung zu nutzen?

    Nach der jüdischen Tradition wird einem Embryo erst 40 Tage nach seiner Zeugung zum Menschen – und das auch nur, sofern er sich im Bauch einer Mutter befindet. Wer mit tiefgefrorene Frühstadien menschlicher Embryonen experimentiert, läuft im heiligen Land deshalb nicht Gefahr, moralische Grenzen zu überschreiten.

    Obwohl die israelischen Stammzellforscher damit sozusagen auf der sicheren Seite sind, werden die ethischen Implikationen ihrer Arbeit heute deutlich öfter diskutiert, als noch vor zwei Jahren. Die Forscher sind offensichtlich bemüht, den Kritikern zu zeigen: Wir nehmen eure Einwände nicht auf die leichte Schulter.

    Tel Aviv ist die europäischste Stadt Israels. An der Universität gibt es das nagelneue Zentrum für Nanoforschung und Nanotechnologie zu besichtigen: Ein großer mehrstöckiger Flachbau, die Fassade aus hellem Sandstein und Glas. 80 Forscher unterschiedlicher Disziplinen arbeiten hier gemeinsam an der Miniaturisierung medizinischer Geräte. Die Labors wirken so, als ob Geld bei ihrer Einrichtung keine große Rolle gespielt hätte. Alles topmodern und vom Feinsten.

    Der Chef, Professor Yosi Shacham-Diamand, ist Mitte vierzig, trägt lila Polohemd und Jeans. Wie so viele israelische Forscher hat er lange in den USA gearbeitet. Weil seine Frau zurückwollte, kehrte er 1997 zurück.

    Eines der heißesten Projekte, an dem Shacham-Diamand und sein Team gerade arbeiten, ist ein neuartiger Biosensor, der die Toxizität von Trinkwasser misst. Das besondere daran: Die Forscher verbinden lebende Zellen mit einem elektronischen Mikrochip. Dadurch könne sie erstmals direkt die Wirkung giftiger Substanzen auf lebende Organismen abschätzen.

    Heute werden Fische, Salamander, Frösche und andere Tiere eingesetzt, um zu kontrollieren, ob Wasser sauber ist. Bei jedem großen Trinkwasserspeicher gibt es ein Labor, mit solchen Tieren im Wasser. Und die Leute beobachten einfach, wie es denen geht. Dummerweise dauert es aber rund 24 Stunden, bis diese Tiere auf Gifte im Wasser reagieren. Außerdem können sie nicht sicher sein, ob ein japanischer Karpfen genauso empfindlich auf schädliche Substanzen reagiert wie ein Mensch.

    Wir haben etwas gesucht, was uns die Antwort innerhalb von Minuten liefert. Und so kamen wir auf die Idee, ein Labor auf einem Mikrochip zu bauen. Anstelle des ganzen Fisches, nehmen wir nur eine Zelle davon. Und anstatt eine Fischzelle zu verwenden, benutzen wir Zellen genetisch veränderter Mikroben. Die haben nämlich den entscheidenden Vorteil, dass sie ewig leben können. Wenn sie die einfrieren, dann halten die über Jahre. Menschliche Zellen dagegen sind sehr empfindlich und sterben schnell ab.

    Winzige Pumpen auf dem Mikrochip leiten das zu analysierende Wasser durch feinste Kanäle auf der Oberfläche. Die angehefteten Mikrobenzellen wurden gentechnisch so verändert, dass sie grünes Licht aussenden, sobald ihnen giftige Substanzen zusetzen. Im Oktober wird Yosi Shacham-Diamand erstmals Ergebnisse seiner Arbeit bei einer Konferenz präsentieren. Ein Patent auf den innovativen Sensor hat er vor einigen Tagen eingereicht.

    Die traumhafte Ausstattung ihrer Labors verdanken die Tel Aviver Nanoforscher vor allem privaten Spendern, die insgesamt mehr als die Hälfte der Baukosten getragen haben. Gut möglich, dass bald noch ein weiterer prominenter Geldgeber dazu kommt. Einer, dessen Name und Wort in Israel Gewicht hat.

    Der Ex-Premier und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres ist seit einigen Monaten als Fundraiser in Sachen Nanotechnologie aktiv.

    Nanotechnologie ist eine neue Dimension der Wissenschaft. Sie wird die Medizin verändern, sie wird Metalle verändern, sie wird alles ändern. Nanometalle sind 100 mal stabiler als Stahl. Das bedeutet: Wir werden Autos bauen können, die 100 mal leichter sind als die heutigen. Das heißt, sie brauchen weniger Benzin. Und dadurch verschmutzen sie die Umwelt weniger.

    Shimon Peres Büro liegt in einem der oberen Stockwerke eines gläsernen 'Turms im Zentrum von Tel Aviv. Zwei Männer wachen vor und hinter einer mit Zahlencode gesicherten Stahltür darüber, wer zu ihm vorgelassen wird. Im Vorzimmer geht es trotzdem zu wie in einer Zahnarztpraxis – ein ständiges Kommen und Gehen.

    Shimon Peres hat eben seinen 80. Geburtstag gefeiert und wirkt wie 65. Der kleine Mann im Nadelstreifenanzug versprüht Charisma. Weil Israel ein kleines Land ist, ist Wissenschaft die einzige Chance zu überleben, sagt er. Und weil Nanotechnologie die Zukunft der Wissenschaft sei, müsse Israel dabei sein.

    Als unbezahlten Träumer bezeichnet Peres sich selbst, als einen der es sich leisten kann, Visionen zu haben. In einer davon sieht er die wissenschaftliche Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg als treibende Kraft für dauerhaften Frieden im nahen Osten.

    Es genügt nicht, die Terroristen zu bekämpfen. Man muss die Ursachen des Terrors bekämpfen. Und das bedeutet: Man muss der jungen Generation von Arabern eine Perspektive bieten. Wenn sie mich fragen, mit welchen Palästinensern wir unbedingt ins Gespräch kommen sollten, dann würde ich sagen: Die Palästinenser haben 9 Universitäten und 100 000 Studenten. Die sind die Hoffnung.