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Wissenschaftler sollen Elfenbeinturm verlassen

Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums, plädiert für eine stärkere öffentliche Erörterung aktueller wissenschaftlicher Fragen. Es gebe einen großen Nachholbedarf, Wissenschaft mit den Menschen zu diskutieren, sagte Heckl, Organisator der europäischen Wissenschaftskonferenz Euroscience Open Forum (ESOF) in München. Das Angebot der Konferenz richte sich an Wissenschaftler wie interessierte Laien.

17.07.2006
    Doris Simon: Nobelpreisträger hat es in München immer wieder in den letzten Jahrzehnten gegeben. Aber noch selten sind so viele von ihnen an die Isar gekommen wie in diesen Tagen. Das liegt am Euroscience Open Forum, kurz ESOF, einer paneuropäischen Wissenschaftskonferenz, auf der sich seit Samstag 2500 Wissenschaftler austauschen. Die Organisatoren haben sich vorgenommen, aus der ESOF das führende Forschertreffen dieser Art in Europa zu machen.

    Am Telefon ist nun Professor Wolfgang Heckl. Er ist Generaldirektor des Deutschen Museums und Organisator dieser europäischen Wissenschaftskonferenz in München. Guten Morgen!

    Wolfgang Heckl: Guten Morgen!

    Simon: Herr Heckl, was kann denn die ESOF leisten, was all die anderen schon bestehenden Wissenschaftskonferenzen nicht können?

    Heckl: Nun, das Neue ist, dass Wissenschaftler nicht auf einer Fachkonferenz mit Wissenschaftlern sprechen, sondern dass sie mit den Menschen vor Ort sprechen und für die Menschen, dass sie also im besten Sinne "public engagement of science" propagieren.

    Simon: Aber warum braucht es dann 2500 Wissenschaftler, wenn sie in Wirklichkeit nur mit den Menschen reden wollen?

    Heckl: Na ja, die Wissenschaftler sind nun mal auch Menschen. Aber es geht ja darum, über die Grenzen hinweg sich auszutauschen. Das ist auch das Neue an dem Format. Wir haben ja einen großen Nachholbedarf, Wissenschaft wirklich auch mit den Menschen zu diskutieren. Und da braucht es eigentlich noch viel mehr. Wir haben ja auch - das wissen Sie vielleicht - parallel zur ESOF-Konferenz einen "public outreach", also einen Marktplatz der europäischen Wissenschaften mit Ständen auf dem Marienplatz in München. Und dort ist natürlich noch viel mehr die Laufkundschaft, sage ich mal, auch angesprochen. Also jedermann, der vorbeikommt und sagt: Was macht denn die europäische Wissenschaft mit unseren Steuergeldern?

    Simon: Nicht jeder herausragende Wissenschaftler ist ja auch in der Lage, sein Thema in der Öffentlichkeit so zu vermitteln, dass die es versteht. Wie gehen Sie denn als Organisator bei der ESOF mit diesem Problem um?

    Heckl: Wir haben sehr dafür gesorgt, dass nur Sitzungen stattfinden, wo darauf geachtet wird, dass Wissenschaftler nicht nur auf Grund ihrer Qualität in der Wissenschaft selbst, sondern eben auch auf Grund ihrer Qualität, das, was sie tun, in einer verständlichen Art und Weise, in einer auch diskussionsbereiten Art und Weise mit den Menschen zu bereden. Also sie wurden richtig ausgesucht, mit anderen Worten.

    Simon: Wenn man sich die Themen anschaut auf Ihrer Konferenz in München, das sind ja Themen, die - wie wohl geplant - auch einen normal interessierten Menschen interessieren können, Stichwort zum Beispiel: "Thema Notplan für Mega-Desaster", also Naturkatastrophen. War das das entscheidende Auswahlkriterium, dass die Themen nahe sind am Normalbürger?

    Heckl: Ja, das war eins der entscheidenden, vielleicht sogar das entscheidendste. Wissenschaft muss Betroffenheit auch erzeugen, und zwar im positiven Sinne. Ich muss mich als Mensch fragen können: Was hat das alles mit mir zu tun? Und dieser Nachholbedarf, von dem ich gesprochen habe, dreht sich genau um die Frage: Wie kann ich als Wissenschaftler - und ich meine natürlich alle Wissenschaften, nicht nur die Naturwissenschaften, sondern eben auch, wie das schöne deutsche Wort, das alles mit einschließt - was ja "science" oftmals nicht tut im angelsächsischen Sprachraum -, ich meine von der Germanistik über die Sozialwissenschaften über die Geisteswissenschaften bis hin eben zur, sagen wir mal, Nanophysik. Und das mit einzuschließen, das ist eigentlich unser Anliegen.

    Simon: Herr Heckl, Sie sagen, wir haben Nachholbedarf als Wissenschaft. Sehen das auch die Wissenschaftler so in Europa, dass sie Nachholbedarf haben beim Schritt hin zu auf das Publikum?

    Heckl: Also viele, immer mehr. Deshalb entstehen ja auch die Formate. Auch wie der "Wissenschaftssommer", der ja auch parallel läuft, der ja ein so erfolgreiches Format auch in Deutschland geworden ist. Wir sind im ungeheuren Maße im Vergleich zu von noch vor zehn Jahren beispielsweise bereit, hinauszugehen, den Elfenbeinturm zu verlassen. Dass das alles noch nicht genügt, und dass nicht jeder Wissenschaftler auch wirklich sozusagen das kann - weil er es natürlich auch nie gelernt hat. Aber wir werden da immer besser. Wir nähern uns auch den Vorbildern an, die wir natürlich aus dem angelsächsischen Raum kennen.

    Simon: Das heißt also aber im Gegenzug auch, dass Sie von dieser Konferenz der ESOF nicht unbedingt erwarten, dass die jetzt die großen fachwissenschaftlichen Ergebnisse bringt?

    Heckl: Nein. Es werden die großen fachwissenschaftlichen Ergebnisse, die heißesten, die neuesten Nachrichten tatsächlich kommuniziert, dargestellt, mit den Menschen besprochen. Speziell zum Beispiel zwei Sessions, die "Nature" organisiert, die also ganz nah an den Publikationen der letzten Wochen dran sind, wo die Wissenschaftler eingeladen sind, die also sozusagen "the hottest new stuff" haben. Es ist schon auch ein Anspruch, dass wir sozusagen absolut neue Dinge auch besprechen wollen. Auf der anderen Seite, wenn ich natürlich über Tsunamis rede, über Naturkatastrophen, da ist es immer so, dass natürlich - wie beim Prozess der Wissenschaft immer es ist -, dass das eben ein Prozess ist, der einen langen Vorlauf braucht, der jeden Tag neue Ergebnisse produziert und wenn wir uns in einem Vierteljahr treffen, ist das, was wir heute besprechen, in den Grundlagen zwar noch interessant, aber in den neuesten Ergebnissen natürlich wieder weitergegangen.

    Simon: Wie sind Sie denn bisher - das läuft ja seit zwei Tagen nun - zufrieden mit dem Interesse des nichtwissenschaftlichen Publikums?

    Heckl: Man muss natürlich davon ausgehen, dass also, das ist ja eine englischsprachige Konferenz, nur der interessierte Laie auch da ist oder eben der Wissenschaftler, der über seine Fachdisziplin hinaus gucken möchte und eben auch in den "panels" und diskutieren möchte mit einfach mal auch den Politikern, die vor Ort sitzen. Das sind alles Gelegenheiten, die man sonst einfach nicht hat. Man hat innerhalb dieser vier Tage an einer Stelle eine Expertise an Menschen, die man sonst auf den Fachkonferenzen, da müsste man zwei Jahre unterwegs sein, um die zu treffen. Und deshalb bin ich ganz zufrieden. Wir haben eine wunderbare Eröffnung gehabt durch den Bundespräsidenten am Samstagnachmittag. Wir haben einen großen Zuspruch, vielleicht tut auch das Wetter ein wenig mithelfen - wir haben ja "Science Café" zum Beispiel, das ist ein Format, wo sich junge Nachwuchswissenschaftler im Biergarten mit den Nobelpreisträgern oder mit den eingeladenen Rednern an den Tisch setzen können. Ich denke, das ist sehr - für unsere Begriffe -, sehr gut angelaufen. Wir hoffen, dass es so bleibt und dass es auch so weitergeht noch. Es ist ja noch viel, was wir vorhaben.

    Simon: Herr Heckl, in den USA gibt es ja so was wie die Mutter aller Wissenschaftskonferenzen mit breitem Anspruch, diesen Triple-A-S, die Amerikanische Gesellschaft für den Fortschritt in der Wissenschaft. Soll eigentlich Ihr Forum, die ESOF, als eine Art Konkurrenzveranstaltung in Europa aufgebaut werden?

    Heckl: Es ist das falsche Wort eigentlich. Das ist eine Ergänzung, die allerdings auch anders ist. Also wir haben schon natürlich ein gewisses Vorbild in Triple-A-S, das kann man sicher nicht verleugnen. Auf der anderen Seite ist Europa natürlich anders aufgestellt. Wir brauchen eine unabhängige Plattform, und da sind wir ja so froh darüber, dass ESOF eine unabhängige Plattform ist, die sozusagen aus der Wissenschaft heraus entstanden ist, also, wie wir gerne sagen, eine "Grasroot-Bewegung" ja auch hat, wo auch die Sessions natürlich über "per-review-process" ausgesucht werden. Wir brauchen ...

    Simon: Was heißt das?

    Heckl: Also wenn jemand einen Vorschlag macht bei der ESOF, eine bestimmte Sitzung abzuhalten, dann muss er den Vorschlag erstens untermauern, dadurch dass er interessante, der Öffentlichkeit dann auch zugewandte Sprecher präsentiert. Aber dieser Vorschlag muss dann, wird dann im Programmkomitee mit allen anderen eingegangenen Vorschlägen - und es waren etwa 150 Vorschläge bei 50 ausgewählten Sitzungen -, mit allen anderen eingegangenen Vorschlägen also im Auswahlverfahren begutachtet.

    Simon: Das war Professor Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums und Organisator der europäischen Wissenschaftskonferenz ESOF, die derzeit in München läuft. Vielen Dank, Herr Heckl, für das Gespräch und auf Wiederhören.