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Wissenschaftliche Plagiate und ihre Folgen

In den vergangenen Jahren stolperten einige hochrangige Politiker wie Annette Schavan und Karl-Theodor zu Guttenberg über abgeschriebene Passagen in ihren Doktorarbeiten. Aber auch im wissenschaftlichen Alltag kommt es immer wieder zu Plagiaten, wie eine Tagung zeigt.

Von Dörte Hinrichs |
    Darwin soll es getan haben, Mendel auch und selbst Einstein sagt man es nach: dass sie Ideen von anderen geklaut oder ihre Forschungsergebnisse manipuliert haben. Wissenschaftliches Fehlverhalten hat eine lange Tradition. Und ist gängige Praxis offenbar auch schon bei vielen Studierenden. Sebastian Sattler wollte es genau wissen. Der Wirtschaftspsychologe und Doktorand an der Universität Bielefeld hat die Studie FAIR USE geleitet und die Ergebnisse auf der Mainzer Tagung vorgestellt. Bei dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt wurden 11000 Studierende über vier Semester lang online befragt zu wissenschaftlichem Fehlverhalten.

    "Wir konnten feststellen, dass ungefähr knapp jeder fünfte Studierende mindestens einmal innerhalb von sechs Monaten in dem Bereich auffällig geworden ist, das heißt ein Plagiat angefertigt hat."

    Eine erstaunlich hohe Zahl. Und auch in welcher Disziplin Plagiate besonders häufig zu finden sind, hat den Projektleiter überrascht.

    "Interessanterweise haben wir feststellen können, dass insbesondere in den Ingenieurswissenschaften am meisten plagiiert wurde, da hat ungefähr jeder Dritte einmal pro Semester mindestens ein Plagiat angefertigt, normalerweise wird das ja immer den Geistes- und Kulturwissenschaften angelastet. Aber das war nicht der Fall."
    Doch warum wird überhaupt so häufig von anderen abgeschrieben, so leichtfertig geistiger Diebstahl betrieben? Die Motive der Studierenden sind vielfältig, wie die FAIR USE-Studie ergeben hat.

    "Das reicht von einer zu geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit, es reicht weiter über Prokrastination, das heißt, dass Studierende eigentlich was ganz anderes machen in der Zeit, wo sie eigentlich ihre Arbeit schreiben sollen, dass sie Angst haben, nicht die Leistungen erbringen zu können, die von ihnen verlangt werden. Aber es fehlt ihnen natürlich auch am grundlegenden Handwerkszeug, also so etwas wie Methodenkompetenz, die Kompetenzen wissenschaftlichen Arbeitens, die sind auch eine Ursache für Plagiate."

    Diese Fähigkeiten gelte es so früh wie möglich im Studium zu vermitteln, so die Vizepräsidentin der Universität Mainz, Professorin Mechthild Dreyer. "Akademische Integrität" hat sich die Universität als Leitbild verordnet und will unter anderem mit der zweiten Mainzer Tagung zum Thema das Bewusstsein für gute wissenschaftliche Praxis nachhaltig fördern.

    "Es gibt verschiedene Maßnahmen oder auch Maßnahmen. Das eine sind die Schreibwerkstätten, die wir ein Stück zentralisiert haben, miteinander vernetzt haben, und die dieses Thema akademische Integrität haben. Insbesondere haben wir ja auch vor, es im Rahmen des Lehramtsstudiums zu platzieren als eine weitere Maßnahme. Und ich glaube, das ist eigentlich etwas, wo wir zeigen können, dass wir in einer intensiven Interaktion auch mit den Schulen sind hier in der Region und in Mainz."

    Ein Brückenschlag zwischen Schule und Hochschule, der allerdings noch in den Kinderschuhen steckt. Vom Google-Copy-Paste-Syndrom und anderen Herausforderungen beim Umgang mit wissenschaftlicher Integrität im Hochschulalltag berichtete Professorin Marion Völger Winsky, Leiterin des Bachelorstudiengangs Wirtschaftsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften:

    "Ein Hauptpunkt ist überhaupt erst mal zu vermitteln, was sind denn die seriösen Quellen? Und da verwenden wir im Grundlagenmodul sehr viel Zeit darauf. Dass sie halt das, was sie im Internet finden, sehr oft mit einer gewissen Skepsis auch betrachten müssen. Der andere Punkt: Wie viel muss zitiert werden, wie umfangreich muss zitiert werden, da sind natürlich Unsicherheiten, wie genau man etwas belegen muss, einen Gedankengang. Aber der Hauptpunkt scheint mir wichtig, wirklich, dass sie sensibilisiert werden für seriöse Quellen."

    Das geschieht zum Beispiel im zweiten Semester in einem relativ umfangreichen Pflichtmodul für juristisches Arbeiten. Wissenschaftliches Arbeiten scheint heute aufgrund der Vielzahl an Quellen und Publikationsformen schwieriger geworden zu sein. Und nicht nur das:

    "Was ich einfach beobachte, ist: Das Sensorium für Autorschaft an sich fehlt. Vielleicht werden wir da auch in den nächsten Jahren irgendeinen Wandel erleben, ich weiß es nicht. Aber das war jetzt natürlich für eine Generation vorher, war das gar kein Thema - wer es geschrieben hat, hat es geschrieben. Aber das ist heute nicht mehr wirklich nachvollziehbar für die Studierenden, warum das so wichtig sein soll, dass sie angeben müssen, woher das kommt – im ersten Moment. Zu einem Thema lesen sie in fünf bis sechs Büchern dasselbe dazu, und dann stellen sie sich natürlich berechtigterweise die Frage: Und wer hat jetzt hier eigentlich von wem abgeschrieben, die zitieren ja auch nicht immer alle, wie muss ich das dann jetzt machen? Da habe ich wirklich auch Verständnis dafür, dass sie da an Grenzen stoßen."

    Manchmal variieren die Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens auch zwischen den Dozenten, und es fehlt die Verständigung über verbindliche akademische Standards. Da sind auch die Lehrenden gefordert.

    "Wissenschaftliche Integrität entsteht wirklich nur im sozialen Kontakt, das sehe ich immer wieder im Studiengang. Ich sehe in verschiedenen Studiengängen, wie solche E-Learning-Programme jetzt implementiert werden zur Vermittlung wissenschaftlicher Integrität, das kann meines Erachtens aber nicht funktionieren, weil das ganze System lebt auch von einer Feedback-Kultur. Und wenn die nicht auf persönlicher Ebene funktioniert, dann glaube ich einfach auch nicht, dass dies bei den Studierenden ankommt."

    Dennoch: Im Bereich der Lehre scheint sich einiges zu bewegen, um die akademische Integrität zu fördern – auf der Ebene der Forschung sieht der Wissenschaftssoziologe Professor Martin Reinhart von der Humboldt Universität Berlin dagegen noch verstärkten Handlungsbedarf.

    "Obwohl Institutionen wie die DFG oder Hochschulrektorenkonferenz oder Universitäten damit begonnen haben, entsprechende Reglementarien zu entwickeln, wie mit Fehlverhalten umzugehen ist, stelle ich eigentlich fest, dass das im Forschungskontext und vor allem auch im Ausbildungskontext innerhalb der Forschung, sprich bei der Ausbildung von Doktorierenden, faktisch eigentlich noch kaum eine Rolle spielt. Und da ist noch sehr viel an Arbeit zu machen, denke ich mal, gerade, weil es jetzt an vielen Orten losgeht, dass strukturierende Doktorandenprogramme gemacht werden, dass es Doktorandenschulen gibt, und da müsste man mindestens erst mal ansetzen und das zu einem zentralen Thema auch machen."

    Die Versuchung, zu plagiieren oder Daten zu fälschen, wird auch durch den scharfen Wettbewerb innerhalb der Wissenschaften begünstigt: Da gilt es viel zu publizieren, Forschungsgelder zu akquirieren und sich gegen seine Kollegen durchzusetzen. Wie groß ist da die Angst, dass das wissenschaftliche Fehlverhalten entdeckt wird und welche Sanktionen drohen dann?

    "Man muss in den meisten Fällen, wenn man wissenschaftliches Fehlverhalten begeht, nicht wirklich damit rechnen, dass eine Geldbuße folgt oder eine Vorstrafe oder irgendwie so was. Sondern der Normalfall ist, dass man bei seinen Kollegen im Fachgebiet weniger Ansehen genießt danach. Und das kann dazu führen, dass eine wissenschaftliche Karriere am Ende ist, wenn dieses wissenschaftliche Fehlverhalten wirklich gravierend war."

    Wie zum Beispiel im Fall von Diederik Stapel, einem ehemaligen Professor für Sozialpsychologe in den Niederlanden. Mindestens 38 seiner wissenschaftlichen Artikel enthalten frei erfundene Daten, hat eine Kommission festgestellt. Seinen Doktortitel hat Stapel 2011 freiwillig abgegeben. Jetzt, im Juli 2013, ist das Strafverfahren gegen ihn eingestellt worden mit der Auflage, 120 Sozialstunden abzuleisten. Für den einstigen Wissenschaftler ist die akademische Karriere zu Ende. Ein Fall, der womöglich abschreckend auf einzelne Wissenschaftler wirkt, aber auch eine ganze Disziplin in Misskredit bringen kann, wie der Wissenschaftssoziologe Professor Martin Hartmann zu bedenken gab.

    "Ich vermute mal, dass für dieses sehr aufstrebende Feld der Sozialpsychologie, wo Stapel auch wirklich als Galionsfigur in den letzten Jahren stand, der ganz renommiert publizieren konnte, der in die großen Journale kam mit seinen Erkenntnissen, der in den Massenmedien aufgetaucht ist, wird das ein ganz herber Schlag sein. Die Sozialpsychologie wird vermutlich aufgrund dieses Betrugsfalles erhebliche Konsequenzen befürchten müssen. Die Resultate werden eben vermutlich nicht mehr so öffentlichkeitswirksam präsentiert werden können."

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