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Wissenschaft und Politik
Politikberater plädiert für wissenschaftlichen Chefberater für die Bundesregierung

Die Bundesregierung könnte von einem wissenschaftlichen Chefberater, der direkten Zugang zum Bundeskanzleramt hätte, sehr profitieren, sagte der Politikberater Norbert Arnold im Dlf. Die Pandemie habe einige Schwachstellen der Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft offengelegt.

Norbert Arnold im Gespräch mit Ralf Krauter |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), steht mit seinem Kabinett vor dem Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), steht mit seinem Kabinett vor dem Bundeskanzleramt (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Wissenschaft und Politik funktionierten nach unterschiedlichen Regeln, die Kommunikation zwischen den beiden Systemen funktioniere daher nicht immer reibungslos, sagte Norbert Arnold, Experte für Wissenschaft, Ethik und Technologie bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, im Dlf. In der Corona-Krise seien die Kommunikationsprobleme zwischen den beiden Sphären sehr deutlich geworden.
Um die Wissenschaft gewinnbringend in politische Entscheidungen einbringen zu können, brauche es mehrere Faktoren, sagte Arnold. Zum einen gute Forschung, die Deutschland stärker ausbauen müsse, nicht nur im medizinischen Bereich. In einem zweiten Schritt müssten Forscher aber auch stärker auf die Kommunikation mit der Politik vorbereitet werden. Politikberatung solle daher ein Element der Aus- und Weiterbildung von Forschern werden.
Zudem würde Und der Wissenschaft auch ein direkter Draht zur Politik gut tun, meinte Arnold, der die die wissenschaftliche Politikberatung während der Corona-Pandemie analysiert hat. Die Bundesregierung könne dazu den Posten eines wissenschaftlichen Chefberaters schaffen, wie es ihn beispielsweise in den USA gibt. "Es hätte den Vorteil, dass Wissenschaft ein Gesicht bekommt, ein prominentes Gesicht", sagte Arnold.

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Das Interview im Wortlaut:

Ralf Krauter: Welche Defizite in der wissenschaftlichen Politikberatung haben Sie während der Coronakrise ausgemacht?
Norbert Arnold: Es sind die üblichen Schnittstellenprobleme, die auftreten, wenn zwei unterschiedliche Subsysteme der Gesellschaft miteinander kommunizieren. Wissenschaft hat eigene Regeln, spezielle Regeln, die nicht unbedingt kompatibel sind mit den Regeln in der Politik. Und genau aus diesem Widerspruch heraus, ziehen oft Probleme auf. Die sind normal, in der Corona-Krise sind sie aber sehr, sehr deutlich geworden.
Krauter: Ein Problem, was immer wieder deutlich geworden ist, war ja, die Politik hätte gerne schnell klare Antworten, die Wissenschaft konnte sie aber nicht so schnell liefern beziehungsweise musste wochen- und monatelange Daten erheben, um valide Erkenntnisse zu gewinnen.
Arnold: Ganz genau. Das geht auch grundsätzlich nicht anders, denn für eine evidenzbasierte Politikberatung braucht man natürlich Fakten, das erfordert Zeit in der Forschung. Und wenn diese Zeit nicht vorhanden ist, kann Wissenschaft auch nicht unbedingt absolut gesichertes Wissen, soweit das überhaupt möglich ist, liefern, sondern es ist vorläufiges Wissen, was extrapoliert und interpretiert werden muss. Das dauert auch seine Zeit, die muss sich Wissenschaft nehmen, und wenn Politik Druck macht, dann kann man das natürlich nachvollziehen in einer Krise, aber dann muss man auch wissen, dass dieses wissenschaftliche Wissen nicht unbedingt sehr sicher ist.

Arnold: Politikberatung muss zur Aus- und Weiterbildung von Forschern gehören

Krauter: Was sind denn aus Ihrer Sicht die zentralen Anforderungen und auch Erfolgskriterien letztlich für eine gute Politikberatung durch die Wissenschaft?
Arnold: Grundvoraussetzung für eine gute wissenschaftliche Politikberatung ist natürlich gute Forschung. Das heißt, wir müssten hier in Deutschland versuchen, die Forschung stärker auszubauen in allen Bereichen, bitte nicht nur im Hinblick auf die Corona-Krise die Medizin, Epidemiologie und so weiter, sondern es sind ja auch noch andere Herausforderungen. Das heißt, wir müssen insgesamt sehen, dass Forschung hier in Deutschland gute Leistungen erbringen kann. Der zweite Punkt ist: Es müssen natürlich die üblichen Qualitätskriterien in der Wissenschaft gelten, was Methoden und andere Standards angeht, das muss natürlich auch für die Politikberatung gelten, aber das reicht alleine nicht, sondern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Politikberatung engagieren, müssen auch lernen, mit Menschen außerhalb ihres Bereiches zu kommunizieren. Es ist etwas ganz anderes, wenn man innerhalb der Wissenschaft kommuniziert als mit der Politik und der Gesellschaft. Das müssen Wissenschaftler lernen und das müssen sie auch können im Umgang mit Politik und Gesellschaft.
Krauter: Und das fällt sozusagen unter diesen Bereich Ertüchtigung im Feld der Wissenschaftskommunikation, aber Sie fordern eigentlich noch mehr, Sie schreiben nämlich, Beratungswissen muss sachlich richtig und belastbar sein und es muss politisch nützlich und realisierbar sein. Wie müsste sich denn die Scientific Community aufstellen, um in künftigen Krisen mehr davon liefern zu können?
Arnold: Ja, das muss man wirklich lernen, denn ein wissenschaftlicher Rat, der weit entfernt ist von der gesellschaftlichen Realität, der sich nicht umsetzen lässt, ist kein guter Rat. Das heißt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen ein Gespür entwickeln für die gesellschaftliche Realität und für die politischen Bedarfe, die in einer gegebenen Situation angemessen und notwendig sind. Und dieses Gespür zu entwickeln, kann man nicht selbst, sondern das muss man lernen, das heißt, es ist eigentlich angemessen, wenn neben Forschung und Lehre und Wissenschaftskommunikation auch Politikberatung zu einem Element der Aus- und Weiterbildung wird.

Posten eines Chefwissenschaftsberater ist "eine sehr gute Idee"

Krauter: In Ihrem Report kann man lesen, ich zitiere mal, dort wo es keine Evidenzbasierung gibt, ist es notwendig, einen innerwissenschaftlichen Diskurs zu führen, der das fehlende, gesicherte Wissen durch sachverständige Einschätzung ersetzt, Multidisziplinarität zeigt in der Politikberatung ihren besonderen Mehrwert, Zitat Ende. War denn vor diesem Hintergrund der Schachzug der Regierung, einen neuen Corona-Expertenrat einzuberufen, ein kluger Schachzug?
Arnold: Ich glaube, ein solcher Expertenrat ist sehr angemessen. Expertenräte gab es ja auch schon vorher, auch auf Länderebene. Solche Beratungsgremien sind wichtig und nützlich, aber es kommt halt darauf an, dass die Arbeit dieser Expertenräte auch transparent erfolgt. Das heißt, es muss Regeln geben, es muss Öffentlichkeit hergestellt werden, sodass man die Entscheidungen, die dort getroffen werden, auch nachvollziehen kann.

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Krauter: Bleibt ja auch im Fall des Expertenrats die Frage, wer spricht eigentlich für den, brauchen wir mehr Personalisierung, vielleicht auch im Sinne eines Chefwissenschaftsberaters, eines Chief Scientific Advisors, wie er zum Beispiel in den USA ja schon länger eine wichtige Rolle spielt, der mit am Kabinettstisch sitzt?
Arnold: Ja, das ist eine sehr gute Idee. Es hätte den Vorteil, dass Wissenschaft ein Gesicht bekommt, ein prominentes Gesicht, und dass vertrauensvolle Kontakte, die es natürlich zwischen Politik und Wissenschaft auch jetzt schon gibt, aber noch intensiviert würden. Deshalb hätte ein solcher Chefberater sicherlich große Vorteile, besonders dann, wenn er nicht nur für eine Krise eingesetzt wird, sondern grundsätzlich den direkten Zugang zum Bundeskanzleramt und zum Bundeskanzler haben würde – und auch zu den anderen Regierungsmitgliedern. Auf Länderebene gab es oder gibt es so etwas, nämlich die Staatsräte in Baden-Württemberg, die wurden teilweise in diesem Sinne schon inhaltlich ausgefüllt. Von daher wäre es eine sehr, sehr gute Idee.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.