"Das neue Coronavirus hat eine Verbindung zu HIV." Eine Wissenschaftsmeldung, die für Aufregung sorgte - und die wohl falsch ist. Sie stammt nicht aus einer Fachzeitschrift, sondern wurde bei BioRxiv veröffentlicht, einem Preprint-Server. Diese Form der wissenschaftlichen Kommunikation ist schnell, aber sie verzichtet dafür auf die Qualitätskontrolle durch Fachkollegen. Bei einem solchen Preprint handelt es sich im Prinzip um einen Vorabdruck.
In den Neunzigern haben Teilchenpysiker damit angefangen, ihre Entwürfe für wissenschaftliche Artikel im Internet zu veröffentlichen. Das Feld entwickelte sich schnell, es dauerte aber Monate, bis ein Artikel begutachtet war und in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erschien.
Preprint-Server brauchen nur einen Klick, sie sind kostenfrei und die meisten wichtigen Artikel durchlaufen am Ende doch noch das formale Begutachtungsverfahren und werden ganz klassisch in einer Zeitschrift publiziert. In der Physik ist die Art der Veröffentlichung inzwischen üblich, Biologie und Medizin stehen der neuen Möglichkeit bislang eher skeptisch gegenüber.
Der Trend geht zu schnellen, ungeprüften Vorab-Veröffentlichungen
Aber nun gibt es einen riesigen Informationsbedarf, alle wollen etwas über das neue Virus, die neue Krankheit erfahren, und da wurde BioRxiv eine ganz wichtige Quelle, auf die auch die Weltgesundheitsorganisation verweist. Das Science Media Center hat eine Liste der wichtigen Publikationen zusammengestellt. Rund die Hälfte davon stammt inzwischen von BioRxiv.
Gerade in der Anfangszeit wurden Erkenntnisse von Virologen dort platziert. Die Möglichkeit, erste Beobachtungen oder kleine Studien schnell zu veröffentlichen, überzeugt auch die Leser und Fachkollegen, denn die Arbeiten werden zitiert und für weitergehende Studien als Grundlage genutzt.
Auch die klassischen Zeitschriften haben schnell und vorrübergehend kostenlos Artikel zum neuen Coronavirus publiziert, zum Teil als Kommentar oder als Bericht, also ohne Begutachtung. Insgesamt haben Tempo und Zugriffsmöglichkeiten seit der SARS-Epidemie dramatisch zugenommen.
Kommentare als Korrektiv
Die Nachrichtenagentur Reuters hat für die ersten gut 150 Veröffentlichungen zu COVID-19 nachrecherchiert. Von diesen wurde nur etwa ein Drittel begutachtet, zwei Drittel waren Kommentare und eben vor allem Artikel auf BioRxiv. Davon wurden drei inzwischen zurückgezogen. Allerdings musste auch die etablierte Zeitschrift Lancet Global Health einen Bericht zurückziehen. Auch dieser war ohne Begutachtung freigeschaltet worden. Nicht auszuschließen ist, dass sich im Rückblick noch weitere Publikationen als fehlerhaft herausstellen werden.
Aber das erste Fazit der Recherche lautet: Die überwiegende Mehrheit der Arbeiten ist solide, auch ohne Kontrolle von Gutachtern. Gelegentlich wurde auch Quatsch als scheinbare Wissenschaft publiziert. Zu lesen war auf BioRxiv etwa, das Coronavirus komme aus dem All. Auch die Behauptung, das Virus sei von Schlangen übertragen worden stammt von einem Preprint-Server. Dort allerdings tritt an die Stelle der Vorabbegutachtung eine Kommentarfunktion. Fachkollegen geben schnell eine Einschätzung, für wie verlässlich sie die Daten halten. Da trenne sich dann die Spreu vom Weizen, so die Analyse von Reuters.
Falsche Informationen finden den Weg in die Sozialen Medien
Der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig begrüßt die Preprint-Server, weil sie es Forschern erlauben, wichtige Informationen schnell zu teilen. Aber er sieht das Problem, dass ja auch viele Laien und die Medien auf diese Vorabveröffentlichungen schauen und sie weiterverbreiten, ohne die Kommentare zu lesen. Tatsächlich hat die Analyse von Reuters ergeben, dass der Artikel über die angebliche Rolle von HIV bei COVID-19 die weiteste Verbreitung in den sozialen Netzwerken gefunden hat. Dass er später zurückgezogen wurde, bekam kaum jemand mit. BioRxiv hat über die Corona-Artikel jetzt eine Warnung gesetzt:
"Sie sollten nicht als endgültig betrachtet werden, weder die medizinische Praxis noch das Gesundheitsverhalten beeinflussen und in den Medien nicht als verlässliche Information weiterverbreitet werden."
Neben BioRxiv war auch die in Deutschland beheimatete Datenbank GisAid für die Corona-Forschung zentral. Dort wurden sehr schnell die Virensequenzen hinterlegt, wodurch sehr schnell auch ein Corona-Test entwickelt werden konnte.
Grenzen der Quarantäne
Der Umgang mit Corona berührt noch einen anderen aktuellen Aspekt, wie ein Fall im Universitätsklinikum in Aachen aufzeigt. Dort gab es einen Coronafall beim Pflegepersonal auf der Neugeborenenstation. Eine Krankenschwester wurde am Montag positiv auf das neue Coronavirus getestet. In ihrer Schicht hatte sie Kontakt zu 45 Kollegen und Kolleginnen. Wenn sie alle unter Quarantäne gekommen wären, hätte die Neugeborenenstation geschlossen werden müssen. Der Krisenstab der Stadt hat deshalb entschieden, die Pflegekräfte weiterarbeiten zu lassen. Sie werden nun alle zwei Tage auf das Virus getestet.
Die Entscheidung widerspricht den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Aber am Ende liegt die Entscheidungsbefugnis beim Gesundheitsamt, das nicht nur den Aspekt Corona im Blick behalten muss, sondern auch die Versorgung der Frühchen. Auf anderen Stationen hätte man vielleicht nicht so dringende Eingriffe verschieben können, um Kapazitäten freizumachen. Auf der Neugeborenenstation aber lagen aktuell 14 Frühchen, nur acht hätten verlegt werden können.
Tatsächlich sind andere Patienten besorgt, dass sie sich in der Klinik anstecken könnten. Es kursieren auch Missverständnisse, wonach Krankenpfleger auf Station nachgewiesen infiziert seien. Das aber ist nicht der Fall, es geht nur um Kontaktpersonen, die - wie bisherige Erfahrungen nahelegen - vermutlich nur mit geringer Wahrscheinlichkeit selbst infiziert sind. Christian Drosten von der Berliner Charité verweist darauf, dass der Corona-Test sehr früh anschlage, noch bevor Symptome auftreten. Das biete eine gewisse Sicherheit.
Es gebe zwar Berichte, dass auch völlig symptomlose Personen schon andere angesteckt hätten. Aber bisher deute nichts darauf hin, dass dies sehr häufig auftrete. Auch Clemens Wendtner, der die bayrischen Patienten in München versorgt hat, hält es für vertretbar, Kontaktpersonen weiterarbeiten zu lassen, wenn es um zentrale Aufgaben geht. Allerdings würde er in einem solchen Fall tägliche Tests vornehmen, nicht nur alle zwei Tage wie in Aachen.
Die allermeisten Übertragungen lassen sich schon nach einer Woche nachweisen. Man könne also auch darüber nachdenken, die Quarantänezeit zu verkürzen, von 14 auf sieben Tage. Eine ganz entscheidende Tatsache in dieser Situation ist: Absoluten Schutz gibt es nicht. Dieses Virus ist unterwegs, wir können es nur möglichst effektiv ausbremsen. Die Gesundheitsämter müssen abwägen und Einzelfall-Entscheidungen treffen. Auch das Robert-Koch-Institut diskutiert seine Empfehlungen und wird gegebenenfalls nachjustieren.