Archiv

Wissenschaftliches Arbeiten
VroniPlag auf Doktor-Jagd

50.000 medizinische Dissertationen und Habilitationen deutscher Hochschulen will VroniPlag auf Plagiate untersuchen. Erste Ergebnisse sind erschreckend, so die Rechercheplattform: Allein 32 Arbeiten der Berliner Charité sollen Plagiate in erheblichem Umfang enthalten.

Von Philipp Banse |
    Ein Stethoskop liegt neben einem Laptop,
    Die Untersuchung von Arbeiten der Berliner Charité ist noch nicht abgeschlossen. (picture alliance / ZB)
    "Das ist ein Überblick von der Charité. Das sind also die Fälle, die bisher an der Charité gefunden worden sind."
    Debora Weber-Wulff sitzt an ihrem Schreibtisch an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft und betrachtet die Webseite ihres Projekts VroniPlag. Die 15 bis 20 ehrenamtlichen Plagiats-Sucher um Weber-Wulff haben sich 50.000 medizinische Dissertationen und Habilitationen deutscher Hochschulen heruntergeladen. Erste Ergebnisse seien erschreckend, sagt Deborah Weber-Wulff.
    "Dann haben wir die Wikipedia runter geladen und mit den Arbeiten verglichen und war das Entsetzen erst recht groß. Wie viele Leute ihr medizinisches Wissen bei der Wikipedia abgeschrieben haben! Das geht gar nicht."
    Rechercheergebnisse belastend
    Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Zahlen hat VroniPlag für einzelne Hochschulen vorgelegt und 32 Arbeiten der Berliner Charité im Internet veröffentlicht: 26 Dissertationen und sechs Habilitationen. Diese sollen Plagiate in erheblichem Umfang enthalten. Die Charité hält die Rechercheergebnisse für stichhaltig:
    "Die Arbeit von VroniPlag ist ganz hervorragend."
    Volker Bähr, Geschäftsstelle Gute Wissenschaftliche Praxis der Charité:
    "Wir haben insgesamt 32 Arbeiten von ihr bekommen und wir haben alle bereits nachgeprüft und diese Wortgleichheiten sind alle korrekt dargestellt, auch in einer sehr guten Form."
    Die sechs Professoren haben nach den Erkenntnissen von VroniPlag und Charité im Schnitt auf einem Drittel ihrer Habilitations-Seiten Plagiate. Bei zwei Doktor-Arbeiten hat VroniPlag gar auf jeder Seite Plagiate gefunden. Viele haben eigene Praxen oder arbeiten an Kliniken.
    "Bei vielen geht es wirklich um die Karriere"
    Der Deutschlandfunk hat 26 der 32 per Mail um Stellungnahme gebeten. Die Meisten haben nicht reagiert. Einige verweigerten mit Verweis auf das laufende Verfahren bei der Charité eine Stellungnahme oder drohten mit rechtlichen Schritten. Die Charité hat in allen 32 Fällen Prüfungsverfahren eingeleitet, die Debora Weber-Wulff jedoch zu lange dauern. Volker Bähr, an der Charité zuständig für Gute Wissenschaftliche Praxis, begründet die langen Prüfverfahren so:
    "Bei vielen geht es wirklich um die Karriere. Wir haben im Augenblick zwei Habilitanten, die davon betroffen sind, die entweder gerade eine Professorenstelle angetreten sind oder sich gerade auf eine bewerben. Für die ist es extrem wichtig, was da passiert und da müssen wir uns auch die notwendige Zeit nehmen. Aber ich verstehe, dass das nach außen leicht so aussehen kann: Ey, was machen die denn da, das dauert ja ewig."
    Nur in einem der 32 von VroniPlag dokumentierten und von der Charité bestätigten Fälle, gab es Konsequenzen:
    "Einer hat sein Titel bereits verloren. Das ist ein Medizinstudent, Doktorarbeit."
    Persönlichkeitsrecht und Öffentlichkeit
    Die Namen von Menschen, denen der Doktor- oder Professorentitel entzogen wird, werden in Deutschland nicht veröffentlicht. Das Persönlichkeitsrecht wiegt, von wenigen prominenten Fällen abgesehen, schwerer als das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Debora Weber-Wulff von VroniPlag fordert, die Namen zu veröffentlichen, so wie das in den USA etwa üblich ist. Volker Bähr von der Charité stimmt der Plagiatsjägerin zu:
    "Ich tendiere zu mehr Öffentlichkeit. Ich denke, dass jemand, der fälscht, dass das auch klar gestellt werden sollte - auch aus dem Grund, dass jeder, der eine Doktorarbeit verfasst, eben wissen sollte, wenn er schummelt, dass er auf die Nase fallen kann."
    Medical Doctor
    Es müssten jedoch auch Strukturen verändert werden. Denn Patienten erwarteten, dass der Herr Doktor auch einen Doktor hat:
    "Das wirkt sich so aus, dass viele auch fürs Türschild promovieren. Ich kann es ihnen nicht verdenken."
    Mit Wissenschaft habe das aber oft nicht viel zu tun. VroniPlag und Charité-Mann Bähr fordern daher: Mediziner, die als Ärzte arbeiten wollen, sollten mit dem Abschluss ihres Studiums einen Titel bekommen, etwa den "Medical Doctor". Nur wer wissenschaftlich arbeiten will, solle eine wissenschaftliche Arbeit schreiben müssen. So sei das in den USA. Auch der deutsche Wissenschaftsrat habe etwas ähnliches für Deutschland angemahnt. Das aber ist über zehn Jahren her und passiert sei nichts.