Wissenschaftsfreiheit
Welche Einschränkungen erleben Forschende in Deutschland?

Forschungsfreiheit ist im Grundgesetz festgeschrieben. Dennoch gibt es auch hierzulande Grenzen. An welchen Stellen werden Forschende eingeschränkt, ausgebremst oder sogar bedroht? Und wie behauptet sich die Wissenschaft?

    Eine Wissenschaftlerin hält eine Petrischale mit Impföse im Labor
    Forschende in Deutschland sollten frei entscheiden können, wozu sie forschen, wie sie methodisch vorgehen wollen und wie sie die Forschungsergebnisse bewerten. (picture alliance / Westend61 / Pau Cardellach Lliso)
    Die Wissenschaftsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, das im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verankert ist. Sie erlaubt es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ohne äußere Einflüsse zu forschen und selbst zu entscheiden, welche Themen sie behandeln möchten. Dennoch stoßen Forschende auf Grenzen.

    Inhalt

    Was ist Wissenschaftsfreiheit und wie ist sie entstanden?

    Wissenschaftsfreiheit bedeutet, dass Forschung unabhängig von äußeren Einflüssen, Vorgaben oder Zensur betrieben werden kann. Sie ist in Deutschland im Grundgesetz verankert und zählt zu den Grundrechten.
    Die Idee, dass Wissenschaft frei sein sollte, ist alt und hat ihre Wurzeln im Mittelalter und in der Aufklärung. Allerdings wurde sie nicht in den Revolutionen des 18. Jahrhunderts (zum Beispiel der Französischen oder der Amerikanischen Revolution) als Grundrecht festgeschrieben, sondern spielte erstmals in der Deutschen Revolution von 1848 eine zentrale Rolle.
    Hier entstand die erste Erwähnung der Wissenschaftsfreiheit in der Verfassung des Paulskirchenparlaments. Obwohl diese Verfassung scheiterte, übernahm die Preußische Verfassung und später die Weimarer Verfassung diesen Grundsatz, der schließlich auch ins Grundgesetz von 1949 Eingang fand.
    In dem betreffenden Artikel 5 des Grundgesetzes, in dem auch die Kunst- und Meinungsfreiheit verbrieft sind, steht unter anderem: "Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Die Wissenschaftsfreiheit unterscheidet sich allerdings von der Meinungsfreiheit, da wissenschaftliche Erkenntnisse auf objektiv belegbaren Fakten basieren und nicht auf subjektiven Meinungen.

    Welche finanziellen Grenzen gibt es bei der Wissenschaftsfreiheit?

    Ein entscheidender Faktor, der die Freiheit wissenschaftlicher Arbeit einschränken kann, ist der Zugang zu finanziellen Ressourcen. Forschungsprojekte benötigen oft lange Zeiträume, Personal und technische Ausstattung – all das erfordert finanzielle Mittel.
    Wenn diese nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, greifen Forschende auf Forschungsförderprogramme zurück. Staatliche Forschungsförderung konzentriert sich häufig auf bewährte und etablierte Themen. Wer innovative Projekte verfolgen will, stößt hier auf Hürden und muss stattdessen auf private Geldgeber wie zum Beispiel Stiftungen ausweichen.
    Anne Sliwka, Professorin für Bildungswissenschaft an der Universität Heidelberg, kritisiert, dass der Staat eher defensiv agiere und neue, risikoreiche Ansätze vernachlässige. Als Beispiel nennt sie die PISA-Studien. Diese hätten den Fokus in den letzten Jahren stark auf empirische Untersuchungen verengt – also auf das Messen von Schulleistungen. Hier müsse der Staat eine höhere Innovationsfähigkeit zeigen. Wer neue Ansätze erforschen möchte, wie etwa alternative Lehr- und Lernmethoden, stößt demnach auf Schwierigkeiten, staatliche Mittel zu bekommen, und muss auf private Stiftungen ausweichen.
    Die ehemalige Bildungspolitikerin der Grünen, Brigitte Schumann, sieht ein Problem in der zunehmenden Abhängigkeit von Drittmitteln, die durch die Unterfinanzierung der Universitäten noch verstärkt wird. Sie warnt, dass Forschende ihre Unabhängigkeit verlieren, wenn sie sich an den Interessen von Geldgebern orientieren. Das könne dazu führen, dass Forschungsprojekte mehr nach den Vorgaben der Geldgeber als nach den Ideen der Wissenschaftler ausgerichtet werden. Wissenschaftsfreiheit hänge eben auch von Finanzierungsmöglichkeiten ab, die auf staatlicher Seite nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich begrenzt sein.

    Welche ethisch-moralischen Fragen stellen sich bei der Wissenschaftsfreiheit?

    Die Debatte über Wissenschaftsfreiheit wirft etwa im Kontext von Tierversuchen ethisch-moralische Fragen auf. Denn die Forschungsfreiheit stößt an Grenzen, wenn es um den Schutz von Tieren geht, der ebenfalls im Grundgesetz festgeschrieben ist.
    Juristin Anne Peters vom Max-Planck-Institut erklärt, dass Tierversuchen eine sorgfältige Abwägung zwischen dem potenziellen Nutzen der Forschung und dem Leid, das den Tieren zugefügt wird, vorangehen muss. Es bestehe die Gefahr, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen den möglichen Nutzen von Tierversuchen überschätzen und insgesamt mehr Tierversuche gemacht werden als wirklich notwendig wären. Andererseits weist sie auch darauf hin, dass wesentlich mehr Tiere für die Nahrungsmittelproduktion getötet werden als in Tierversuchen.
    Stefan Treue, Professor für Neurowissenschaften an der Universität in Göttingen, hebt hervor, dass viele Forscherinnen und Forscher durchaus aktiv darüber nachdenken, wie sie Tierversuche minimieren können. Die Frage der moralischen Dimension der eigenen Forschung und der eigenen Methoden stelle sich im biomedizinischen Bereich fast tagtäglich.
    Treue kritisiert die bürokratischen Hürden bei Genehmigungsverfahren für Tierversuche, die nicht nur die Forschung behindern, sondern auch große Rechtsunsicherheit für Wissenschaftler schaffen. So ist im Gesetz die Formulierung, unter welchen Bedingungen jemand Tiere töten darf, sehr vage. Je nach Standort sind zudem unterschiedliche Institutionen zuständig, die 40 Tage Zeit haben, über Anträge zu entscheiden. Diese Fristen werden in Deutschland jedoch oft überschritten, während es im Ausland deutlich schneller geht, so Treue.

    Welche Rolle spielt die Politik beim Thema Wissenschaftsfreiheit?

    Sie spielt immer mal wieder eine Rolle - zum Beispiel in Bayern, wo die Staatsregierung das "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern" auf den Weg gebracht hat. Dieses Gesetz erleichtert der Bundeswehr den Zugang zu Forschungsergebnissen bayerischer Universitäten und ermöglicht Militärwerbung in Schulen.
    Die Opposition, insbesondere die Grünen, und die Bildungsgewerkschaft GEW kritisieren dies als verfassungswidrig und als Eingriff in die Hochschulautonomie und die Wissenschaftsfreiheit. Sie warnen vor der möglichen Instrumentalisierung der Forschung für militärische Zwecke.
    Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München unterstützt das bayerische Bundeswehrgesetz und betont, dass die Bundeswehr Universitäten nicht zur Militärforschung zwingen kann. Er hebt hervor, dass Zwang zur Militärforschung nur im Falle einer Gefährdung der nationalen Sicherheit gelten würde, was in Friedenszeiten nicht zutrifft. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wird letztlich entscheiden müssen, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist.

    Die Fördergeld-Affäre um Ministerin Stark-Watzinger

    Und es gibt einen aktuellen Fall aus der Politik, der die Grundsätze der Wissenschaftsfreiheit erheblich betrifft: die sogenannte Fördergeld-Affäre rund um Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
    Im Mai wurde anscheinend für einige Tage untersucht, ob Forschenden, die sich in einem kritischen Brief zu den pro-palästinensischen Protesten an Hochschulen geäußert hatten, Forschungsgelder entzogen werden könnten. Unklar ist, wer im Ministerium dafür verantwortlich war und wer wann genau darüber Bescheid wusste.

    Welche Bedrohungen erleben Forschende?

    In Deutschland sind Forschende zunehmend Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt, besonders seit der Corona-Pandemie. Die erste bundesweite repräsentative Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zu dem Thema zeigt, dass 45 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Beleidigungen oder Angriffe erlebt haben, meist in sozialen Netzwerken.
    Die Anfeindungen, die von populistische Kampagnen, Hassreden bis hin zu Morddrohungen reichen, betreffen vor allem Forschende aus sensiblen Bereichen wie Klima-, Gender- oder Protestforschung sowie Virologie.
    Um derartige Probleme anzugehen, wurde die Initiative Scicomm-Support des Bundesverbands Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog eingerichtet. Die Initiative will Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen. Ihre Hotline hilft dabei, Bedrohungen zu bewerten und geeignete Maßnahmen wie rechtliche Schritte oder psychologische Betreuung einzuleiten.

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