Licht fasziniert, ist prägend für die kulturelle und historische Entwicklung, ist Leben und Wärme. Die hohe Symbolkraft des Lichts hat auch mit seiner Deutung als "Götterfunke" zu tun, sagt der Literaturwissenschaftler Haiko Wandhoff, derzeit Gastprofessor an der Philosophischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität: In den meisten Religionen markiert die Unterscheidung von dunkel und hell den ersten Schöpfungsakt, die Entstehung der Welt.
"Das berühmte "Es werde Licht", wobei das eben früh auch schon ein bisschen problematisch aufgefasst wurde, weil ja dann am vierten Schöpfungstag mit der Sonne, dem Mond und den Sternen ja noch einmal Licht in die Welt kommt, und die mittelalterlichen Exegeten und Kirchenleute haben sich schon gefragt, wie ist das denn zu verstehen, eigentlich müsste es ja schon hell sein, nach diesem ursprünglichen Schöpfungsakt, und man hat da verschiedene Erklärungen versucht, so zum Beispiel, dass dieses ursprüngliche Licht ein anderes Licht ist."
Ein Symbol des Göttlichen eben: Licht steht für die Allgegenwärtigkeit Gottes, für die spirituelle Erkenntnis oder Erleuchtung der Gläubigen und im Christentum vor allem auch für die Unterscheidung von gut und böse:
Der Name "Luzifer" für den Teufel in der christlichen Mythologie verdeutlicht das: Er war der "Lichtbringende", ein Engel, der sich aber gegen Gott erhob und dafür verstoßen wurde, hinab in die Finsternis.
Wegen des sakralen Charakters hat Licht in der Kulturgeschichte vor allem auch Bedeutung als Macht- und Herrschaftssymbol.
"Der Herrscher, der seinen Herrschaftsanspruch unter Beweis stellen will, der muss sich zeigen. Wobei das eben auch schon anfängt zum Beispiel mit dem Glanz der Waffen. Cicero in der Antike, der spricht schon vom splendor imperii, vom Glanz der Herrschaft, und gerade in den Texten wird das stereotyp beinahe beschrieben: die großen Helden, die haben glänzende Waffen, und das leuchtet, das strahlt, und das verweist auf einen legitimen Herrschaftsanspruch, auf einen legitimen Träger dieser Waffen."
Bald ließen die Mächtigen aber nicht nur die Waffen glänzen: Ab Ende des 16. Jahrhunderts dienten Licht-Inszenierungen auch der sozialen Unterscheidung, sagt Dr. Ute Hasenöhrl, die sich in Berlin mit der Kultur- und Umweltgeschichte des Lichts befasst hat:
"Dazu muss man wissen, dass Beleuchtungsträger ja auch sehr teuer sind, das war den Kirchen und dem Adel vorbehalten. Die barocken Feste haben geradezu verschwenderisch diese Lichtformen eingesetzt, mit Feuerwerken, mit Fackelprozessionen, und Gärten und Säle auch intensiv beleuchtet, um eben die Herrlichkeit des absolutistischen Fürsten zu symbolisieren. So als kleines Beispiel: Im Jahr 1688 hat Ludwig XIV. in Versailles alleine 24.000 Wachskerzen verbrannt."
Händel komponierte 1748 die Feuerwerksmusik für den britischen König George II. anlässlich dessen großer Feier zum Aachener Frieden.
Hasenöhrl: "Und das setzt sich eigentlich auch nach der Barockzeit fort. Im 19. Jahrhundert zum Beispiel wurde Gas- und elektrisches Licht auch erst zu Repräsentationszwecken eingesetzt. Entweder im kommerziellen Bereich, von Restaurants und Theatern, vom aufstrebenden Bürgertum, und auch im nationalen Bereich, etwa im Rahmen nationaler Feste, die Beleuchtungsspektakel sollten nationales Einheitsgefühl wecken und zugleich den neuen technischen Fortschritt anschaulicher machen und größere Akzeptanz dafür einlösen."
Auf die Spitze trieben die Nationalsozialisten solche Licht-Macht-Symbolik. Fackelumzüge sollten - bedrohlich - die "Masse in Bewegung" zeigen. Und sie nutzten neue lichttechnische Möglichkeiten.
"Sehr bekannt sind ja die Lichtdome von Albert Speer, die bei den Reichsparteitagen und bei den Olympischen Spielen 1936 eingesetzt wurden und die diesen Massenveranstaltungen auch einen sakralen Charakter verleihen sollten mit dem Führer im Lichtkegel, als Lichtgestalt, als Prometheus."
Dem Lichtspektakel der Nazis folgte die Verdunkelung während des Krieges. Und schon bald nach dem 2. Weltkrieg wird Licht wieder gezielt politisch genutzt, erzählt die Historikerin Ute Hasenöhrl:
"Eine wichtige Rolle spielte das natürlich auch im Kalten Krieg, in Berlin wurde Beleuchtung zur Unterstreichung der Attraktivität des jeweiligen Systems eingesetzt: Schaufenster des Westens beziehungsweise des Ostens, da drückte die Beleuchtung auch eine direkte Konkurrenz aus, und im Osten natürlich auch zur Machtsicherung eingesetzt, etwa durch die Bestrahlung der Grenzanlagen durch die Scheinwerfer."
... während Westberliner als Zeichen der Solidarität mit den Bürgern der DDR Kerzen in die Fenster stellten.
Auch als stille Symbolik gegen das Dunkle, das Bedrohliche werden bis heute Lichterketten organisiert. Die Bewegung begann in Deutschland in den 1990er Jahren als Protest gegen ausländerfeindliche Übergriffe, so fanden 400.000 Menschen im Dezember 1992 in München zusammen:
"Dicht an dicht standen die Menschen mit Laternen, Kerzen, Taschenlampen, Lampions und Fackeln am Straßenrand, um ein Zeichen zu setzen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass."
Ein Licht aufgehen - einleuchten - unterbelichtet oder "helle" sein - etwas aufklären - lichte Momente haben - im Dunkeln tappen ...
Wir verbinden Licht heute auch mit Wissen oder Verstehen. Und biologisch ist der Mensch ein "Augentier", seine Informationsaufnahme läuft vor allem visuell. Erkenntnisse, die heute selbstverständlich sind. Tatsächlich stehen sie für einen kulturellen Umwälzungsprozesses. Die "Aufklärung" oder das "siècle des lumières", wie es im Französischen bezeichnender heißt, bedeutete auf der politischen Ebene den Verlust der kirchlichen Macht - somit eine Umdeutung des Lichts, betont Professor Haiko Wandhoff:
"Das revolutionär Neue ist, dass das Licht jetzt nicht mehr von Gott ausgeht, sondern vom Menschen. Das ist ja die Idee gewesen, die eigentlich in den alten Kulturen herrschte, dass im Licht sich das Wahre offenbarte, und das ist jetzt eben in der Aufklärung plötzlich nicht mehr so."
Die "Wahrheit" zeigt sich nicht mehr von allein.
"Wir sind es jetzt, die uns vornehmen, Licht in die Dinge zu bringen und das Dunkel zu erhellen, und das ist natürlich eine ziemlich starke Ansage und hat ja dann auch nicht nur positive Konsequenzen gehabt, dass das Licht in jeden letzten Winkel noch hinein leuchtete, es ist ja dann auch interessant, dass die Romantiker dagegen die Poesie der Nacht setzen, und so eine Gegenbewegung gegen dieses Licht, das jetzt plötzlich überall ist."
Abwärts wend' ich mich, zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht.
Novalis' "Hymne an die Nacht" zeigt gleichsam den Geist der "Romantik", gegen die "lichte" Moderne. Doch sie ist nicht aufzuhalten. Die Aufklärung führt nicht nur dazu, dass der Mensch nicht mehr wie früher an das universelle göttliche Licht glaubt, sondern die Wahrheit selbst sucht. Er erforscht auch die physikalischen Eigenschaften des Lichts und macht es sicht nutzbar. Die Historikerin Ute Hasenöhrl:
"Besonders einschneidend sind die technischen Innovationen natürlich des 19. Jahrhunderts. Man spricht hier ja auch von einer Beleuchtungsrevolution: Seit den 1820er Jahren stand Gaslicht zunehmend zur Verfügung, seit den 1850er Jahren Petroleum und dann ab den 1880er Jahren das elektrische Licht."
Die neuen Beleuchtungsformen, zunehmend flächendeckend eingesetzt, führten zu einem tief greifenden sozialen Wandel. Menschen konnten - und mussten - jetzt unabhängig vom Tageslicht arbeiten: Das brachte die Industrialisierung voran und ökonomischen Fortschritt. Und künstliches Licht gab es nicht mehr nur für Reiche.
"Dann gewährte es ganz neue Handlungs- und Bewegungsfreiheiten, um sich im nächtlichen Raum aufzuhalten. Und damit entstand auch eine neue Vergnügungskultur und auch ein neuer Sozialtyp, nämlich der Nachtschwärmer."
Das "Nachtleben" mit Kinos und Vergnügungslokalen prägte eine neue urbane Kultur: Die Großstadt mit ihren hell blinkenden Schaufenstern der Warenhäuser, mit Straßenlaternen überall, beleuchteten öffentlichen Gebäuden - das bedeutete Modernität im Gegensatz zur dunklen ländlichen "Rückständigkeit".
"Diese Orte sind am Tag eher unspektakulär, vielleicht sogar im klassischen ästhetischen Sinne unattraktiv und entfalten erst nachts ihre magnetische Wirkung. Dies wurde von Architekten, von Stadtplanern in den 10er-, 20er-, 30er-Jahren sehr stark diskutiert, wie man hier ein harmonisches Verhältnis von Tagwirkung und Nachtwirkung erreichen kann. Dass beispielsweise die Drähte und Verkabelungen am Tag nicht die Fassade zerstören."
Aber die künstliche Beleuchtung wurde auch mit einer gewissen Ambivalenz betrachtet.
"Seit den 20er Jahren wird ja auch die urbane Großstadtkultur sehr stark mit Leuchtreklame in Verbindung gebracht, die wertkonservative Bevölkerung hat das als Verschandelung des Stadtbildes aufgefasst."
Die hell erleuchteten Straßen bedeuten einerseits Sicherheit. Das Licht kann aber ebenso Mittel zur Überwachung sein. Das war es tatsächlich schon sehr früh, erzählt Dr. Ute Hasenöhrl:
"Dunkelheit wird ja auch mit Privatsphäre in Verbindung gebracht, man spricht vom Schutz der Dunkelheit, und künstliches Licht ist von Beginn an als Macht- und Herrschaftsinstrument eingesetzt worden, als Kontroll- und Disziplinierungsmittel, etwa zur Überwachung des nächtlichen Straßenlebens, das war auch einer der Hauptgründe, wieso im 17. Jahrhundert überhaupt öffentliche Beleuchtungssysteme eingerichtet wurden."
In der Französischen Revolution zum Beispiel wurden Straßenlaternen gezielt zerstört - als Protest gegen Polizei und Obrigkeit. Heute fürchtet man künstliche Beleuchtung weniger. Licht allerdings spielt bei der Überwachung eine vielleicht noch größere Rolle, denn viele moderne Kommunikationstechniken gehen letztlich auf Licht zurück.
Eindrucksvolle Nachtaufnahmen der Erde aus dem Weltraum zeigen deutlich: Es ist heutzutage vielerorts viel zu hell - "Lichtverschmutzung". Der Lichtbedarf moderner Menschen und Städte ist wegen des enormen Energieverbrauchs ein Umweltproblem. Künstliches Licht verwirrt zudem die Tierwelt - und auch den Menschen. Der ist zwar längst in der Lage, die Nacht zum Tag zu machen, bringt damit aber seine innere Uhr durcheinander. Dazu der Schlafmediziner Professor Ingo Fietze von der Berliner Charité, Experte für Chronobiologie:
"Man muss sich einfach vorstellen, dass mehr oder weniger alle Körperfunktionen rhythmisch ablaufen. Der Rhythmus, der uns sozial prägt, das ist der 24-Stunden-Rhythmus, der geht einher mit dem Licht-Dunkel-Regime, und das betrifft halt hauptsächlich diesen Schlaf-Wachrhythmus; weil wir halt in den heutigen Zeiten, immer mehr versucht werden, praktisch unseren eigenen Körperrhythmus in einen nicht normalen Licht-Dunkelrhythmus zu zwängen, sind wir gefährdet."
Man muss nicht mit den Hühnern aufstehen oder früh am Abend zu Bett gehen im 21. Jahrhundert. Aber inzwischen gibt es zahlreiche, auch internationalen Projekte gegen Lichtverschmutzung. Deren Ziel ist es selbstverständlich nicht, dass die Lichter vollständig ausgehen.
Hasenöhrl: "Es geht darum, sich genau Gedanken zu machen, wo wie viel Licht zu welchem Zweck eingesetzt werden soll", sagt die Technik- und Umwelthistorikerin Ute Hasenöhrl.
Denn der "Verlust der Nacht" - so hieß eines der Forschungsprojekte zur Lichtverschmutzung - ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch ein kulturelles.
"Ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist der Verlust der Sichtbarkeit des Sternenhimmels, etwas, was unsere Kultur sehr lange geprägt hat, sowohl, was die Religion und die Mythologie angeht, die Sternenbilder beispielsweise, aber auch ganz konkret: Navigation hing sehr lange von der Sichtbarkeit der Sterne ab."
Das Sternenlicht war außerdem zu allen Zeiten eine Inspirationsquelle für Kunst und Literatur, ein emotional anrührendes Erlebnis - womöglich gerade, weil es nur durch den spannenden Gegensatz zwischen Hell und Dunkel funktioniert.
Hasenöhrl: "Und hier gibt es jetzt auch erste Ansätze, dieses stärker ins Bewusstsein zu rufen und auch Gegeninitiativen zu starten, etwa durch die Gründung von Dark-Sky-Parks, das sind im Grunde genommen Nachtschutzgebiete in Regionen mit besonders geringer Beleuchtung. Die dem Besucher ein intensives Erleben von Dunkelheit und von Sternen ermöglichen sollen."