Morgens, viertel vor Acht am Ricarda-Huch-Gymnasium in Gelsenkirchen. Der selbstkomponierte Schulgong läutet zur ersten Stunde. Viele der 750 Schüler hier haben einen Migrationshintergrund, viele haben türkische Wurzeln. Für sie hat die Schule vor mehr als 30 Jahren als erstes Gymnasium in NRW Türkischunterricht angeboten, sagt Schulleiterin Ursula Klee:
"Da ist das Konzept entwickelt worden, Türkisch als zweite Fremdsprache statt Latein oder Französisch anzubieten, sodass die türkischen Kinder, die einen Nachteil in der deutschen Sprache hatten, durch die türkische Sprache einen kleinen Vorteil bekamen."
Damals gab es so gut wie keine türkischen Kinder an Gymnasien. Jetzt warten rund 25 von ihnen auf ihren Lehrer Hakan Taner. Zwei Stunden Türkisch Leistungskurs stehen auf dem Stundenplan.
Der Türkischlehrer betont, dass seine Oberstufenschüler in Türkisch genauso viel leisten müssen wie die deutschen Schüler in einem Deutsch-Leistungskurs:
"Das ist auch von einigen ein Irrglaube, dass man denkt, och ja gut Türkisch, Muttersprache, da gehe ich mal rein und hol mal eben das Abitur. So ist es nicht."
Zurzeit beschäftigen sich die Jugendlichen mit der Analyse von Gedichten aus der Migrantenliteratur der 1960er-Jahre.
Für sie alle ist Türkisch die Muttersprache. Dass sie die auch als Abiturfach belegen können, ist in Deutschland noch eher die Ausnahme. Die 17-jährige Beria hat sich das Ricarda-Huch-Gymnasium auch deshalb ausgesucht:
"Ich empfinde das als persönliches Glück, eben weil Türkisch an der Schule nicht selbstverständlich ist. Die erste Sprache, die ich gelernt habe, war Türkisch und dann fiel es mir halt leichter, Deutsch zu lernen und hinterher auch Englisch und danach sogar Spanisch."
In Nordrhein-Westfalen belegten im vergangenen Schuljahr laut Schulministerium 8560 Schüler an weiterführenden Schulen Türkisch als Fremdsprache. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Das ist gut, sagt die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, Dorothea Schäfer, aber nicht gut genug:
"Es gibt da wirklich eine ganze Menge, allerdings stellen wir auch fest, dass es eigentlich noch nicht reicht."
Auch Hessen erwägt Türkischunterricht
Deshalb freut sie sich, dass Türkisch im Unterricht gerade bundesweit ein wenig Aufwind verspürt. So prüft die hessische Landesregierung derzeit, ob und wie Türkisch als versetzungsrelevante Fremdsprache eingeführt werden kann und in Baden-Württemberg wird ein Schulversuch vorbereitet, bei dem ab 2015 Türkisch als Fremdsprache zunächst an zwei Gymnasien angeboten werden soll. Für Taner Atabek sind das alles viel zu kleine Schritte. Zumal der zweite Vorsitzende der Föderation türkischer Lehrervereine in Deutschland gerade im Vorzeigeland NRW einen rückläufigen Trend beobachtet:
"In den letzten Jahren haben wir beobachten müssen in den Gesamtschulen, in den Gymnasien, in den Realschulen, wo türkisch entweder bisher als eine Fremdsprache oder als Pflichtfach angeboten wurde, leider sehr viel zurückgegangen ist. Da sind die Schulen autonom. Sie entscheiden, welche Sprachen sie einführen."
Taner Atabek findet, dass solche Schulen an der Realität vorbei handeln. Er kenne viele Eltern und Schüler, die sich deutlich mehr Türkischunterricht wünschten. Doch noch gibt es viel zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten für Türkischlehrer, sagt die GEW-Landesvorsitzende in NRW, Dorothea Schäfer. Derzeit bieten gerade einmal zwei Hochschulen in Deutschland einen Lehramtsstudiengang Türkisch an, nämlich die Uni Duisburg-Essen und die Ludwig-Maximilian-Universität in München. Das muss dringend mehr werden, sagt Schäfer, und hofft, dass das gerade angelaufene Deutsch-Türkische Wissenschaftsjahr eine Hilfe ist:
"Ja, der Start des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahres sollte auf jeden Fall einen Schub bringen für die Universitäten, was die Ausbildung von Lehrkräften angeht und es sollte auch den Blick weiten, dass wir ein Land sind, in dem alle Menschen willkommen sind."
Und der 18 Jahre alte Besir aus dem Türkisch-LK am Ricarda-Huch-Gymnasium ist überzeugt, dass der Unterricht in seiner Muttersprache nicht nur ihm, sondern auch der deutschen Gesellschaft viel bringt:
"Vor allem wenn man weiß, dass man sowohl in Deutschland, als auch in der Türkei akzeptiert ist, dann ist das schon ein sehr großer Faktor, der einem auch Sicherheit gibt. Ich hab jetzt halt diese doppelte Möglichkeit. Oder vielleicht sogar als Vermittler zwischen der deutschen und türkischen Wirtschaft tätig zu werden, weil ich denke schon, dass da eine Marktlücke ist."