Von "Wir können die Ausbreitung verlangsamen" bis "So long" – über mehr als zwei Jahre gehörte das "Coronavirus-Update" von NDR Info zu den erfolgreichsten öffentlich-rechtlichen Podcast-Angeboten. In der vorerst letzten Ausgabe ziehen Christian Drosten von der Berliner Charité und die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, mit dabei seit Folge 55, nun Bilanz.
Es wird ein Blick auf die aktuelle Lage in Sachen Corona, auf die mögliche Zukunft mit dem Virus – und einer zurück auf die Vergangenheit und die Rolle der beiden als Personen des öffentlichen Lebens geworfen. Sie habe hier gelernt, "wie viel man missverstehen kann und böse Dinge unterstellen kann", erklärt hierzu Sandra Ciesek. Und Christian Drosten sagt, für ihn habe sich die Lage wieder normalisiert. Und ergänzt: Es sei "nie gut, wenn ein Thema so mit einer Person identifiziert" werde.
Beiden gemeinsam sei, dass sie "sehr gut erklären können", sagte Korinna Hennig, eine der beiden Moderatorinnen des Podcasts, im Deutschlandfunk. "Nicht jeder Wissenschaftler kann das."
Drosten: Corona-Erklärer der Nation
Drosten wurde quasi von Beginn der Pandemie an zu einer Art Corona-Erklärer der Nation. Eine Rolle, mit der er aber auch schon früh haderte. Genau wie mit manchen Mechanismen der Medien. Kritik, die er nun, zum Podcast-Abschied, so zusammenfasste: In den sozialen genau wie in den "formalen" Medien gebe es Menschen mit großer Reichweite, "die nur auf das Wasser klatschen wollen und möglichst viele Leute nass spritzen, ohne in die Tiefe zu tauchen".
Der Wissenschaftler wurde ebenfalls früh zur Zielscheibe von Angriffen bestimmter Medien. Beispielsweise warf ihm die "Bild"-Zeitung im Mai 2020 vor, bei einer Studie "grob falsch" gearbeitet zu haben – und erhielt dafür später eine Rüge des Presserats.
Einen Verdruss gegenüber Medien, den Drosten "in Wellen" entwickelt habe, hätten auch sie, die Macherinnen des "Coronavirus-Update", manchmal geteilt, sagt NDR-Journalistin Korinna Hennig. Nämlich dann, wenn Inhalte des Podcasts verkürzt oder falsch zitiert worden seien. Ein Journalismus, der vereinfache, müsse deshalb nicht gleich unterkomplex sein. Auch Unsicherheit könne man "in aller Kürze kommunizieren", so Hennig.
Drosten: "Über Sanktionsmöglichkeiten nachdenken"
Wissenschaftskommunikation sei ein "wichtiges Thema", betont Drosten nun, in Podcast-Folge 113. Er sieht hierbei aber auch seine eigene Zunft in der Verantwortung. Die Wissenschaft sei gefragt, mehr auszubilden. Gleichzeitig gehe es aber auch darum, andere "Definitionen und Umgangsweisen" zu entwickeln. "Nicht jeder Wissenschaftler muss kommunizieren, das gäbe ein Geschnatter", findet er. Deshalb stelle sich die Frage: "Wer hat eigentlich das Mandat zu kommunizieren?" Beispielsweise könnte ausgewählt werden, wer in bestimmten Bereichen zu einem Thema spricht.
Im Moment entscheide alleine der Journalismus, "wer gehört wird", so Drosten. "Und die Auswahlkriterien sind zum Teil relativ subjektiv." So werde etwa oft nach Medienpräsenz und -prominenz und nicht nach Expertise ausgewählt. "Wir hatten ja einzelne Figuren aus der Wissenschaft, zum Teil nicht mal wirklich aus der Wissenschaft, aus Nebengebieten, die sich sehr laut geäußert haben und damit negative Effekte erzielt haben, die Politik verwirrt und fehlegleitet haben." Drosten spricht in dem Podcast dann auch davon, die Deutsche Forschungsgemeinschaft müsse über "Sanktionsmöglichkeiten" nachdenken.
Leßmöllmann: "Wissenschaft ändert sich, nicht nur Wissenschaftskommunikation"
Diese Entwicklung hat auch Holger Wormer beobachtet. Innerhalb der Wissenschaft hätten sich "einige positioniert, die vielleicht ihre Kompetenz überschritten haben, ohne dass sie die Journalisten nach vorne gezerrt haben", bestätigt der Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund die Wahrnehmung Drostens gegenüber dem Deutschlandfunk.
Doch deshalb zu sagen, "es dürfen nur noch die sprechen und die nicht", lehnt Wormer ab. Dem würden die Prinzipien der Wissenschafts- und der Meinungsfreiheit widersprechen. Mit seiner Idee eines "Mandats", übersteige Drosten "seine eigene Kompetenz zum Thema Medien- und Demokratietheorie". Es dürfe kein oberes Virologengremium geben, das entscheide, wer sich in der öffentlichen Meinung positionieren dürfe. "Das ist ganz gefährlich", warnt Wormer.
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssten grundsätzlich "kommunizierfähig" sein, unterstreicht Annette Leßmöllmann. Pandemie, Ukrainekrise, aber auch Debatten um Gender und Migration, hätten deutlich gezeigt, dass Wissenschaft jederzeit ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten könne, so die Karlsruher Professorin für Wissenschaftskommunikation gegenüber dem Deutschlandfunk. Die Themen seien insgesamt politischer geworden. Es gebe kaum noch "gesellschaftsfreie" Enklaven. "Das heißt, die Wissenschaft ändert sich, nicht nur die Wissenschaftskommunikation."
Wormer: Weg vom "Nerdstatus"
Leßmöllmann bedauert das vorläufige Ende des NDR-Podcasts "in einer Zeit, in der sich für viele Menschen vielleicht sogar mehr Fragen stellen als vorher". In den vergangenen zwei Jahren habe sich gezeigt, wie relevant Wissenschaftsjournalismus sei. Gleichzeitig habe sich dieser in vielen Medienhäusern "aus der Nische rausbewegt und ist im Nachrichten- und Politikjournalismus sichtbarer geworden".
Das stellt auch Holger Wormer fest. "Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten haben sich in das Tagesgeschäft eingebracht und sind jetzt in manchen Häusern wirklich zum ersten Mal ernst genommen worden." Von einem "Nerdstatus" gegenüber der vermeintlich "wahren" wichtigen Politikberichterstattung könne nicht mehr die Rede sein. Er hoffe nur, dass das auch in Zukunft bei anderen Themen so bleiben werde.