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Wissenstests für Flüchtlingskinder
"Dadurch wird eine gute Förderung erst möglich gemacht"

Baden-Württemberg will den Bildungsstand von minderjährigen Flüchtlingen künftig in der Erstaufnahme erfassen und so die Schulen entlasten. Die Frage, wie gut die Kinder Deutsch sprechen, solle dabei nicht allzu stark gewichtet werden, sagte der Kultusminister des Landes, Andreas Stoch, im DLF. Wichtig seien andere individuelle Fähigkeiten.

Andreas Stoch im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD)
    Der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD) (picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann )
    Benedikt Schulz: Und wir bleiben in Baden-Württemberg. Dort will man einem Problem begegnen, das eigentlich schon lange bekannt ist: Flüchtlingskinder lernen lange Zeit in sogenannten Vorbereitungsklassen vor allem mit anderen Flüchtlingen, wobei der Spracherwerb in Regelklassen gemeinsam mit Muttersprachlern meist deutlich besser gelingt. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg hat nun angekündigt, den Bildungsstand der minderjährigen Flüchtlinge besser zu erfassen, damit der Übergang in die passende Regelklasse besser und schneller vonstattengeht. Kultusminister in Baden-Württemberg ist Andreas Stoch, und er ist am Telefon. Ich grüße Sie!
    Andreas Stoch: Ich grüße Sie!
    Schulz: Den Bildungsstand von minderjährigen Flüchtlinge erfassen bei der Anreise, das ist ja eigentlich eine sehr naheliegende Idee – wieso macht man das erst jetzt?
    Stoch: Nun, zunächst mal haben Sie natürlich – das haben wir ja alle mitgekriegt – in den Bundesländern in der Situation der Registrierung der Flüchtlinge große Probleme, hier Ordnung ins System zu bringen. Und natürlich sind für uns, gerade auch, wenn es dann um die Beschulung der Kinder und Jugendlichen geht, Erkenntnisse wichtig, die sich gerade mit der Frage auch der schulischen Vorbildung beschäftigen. Deswegen wollen wir zukünftig so früh wie möglich, also bereits in der Landeserstaufnahme, diese Ersterfassung, diese sogenannte bildungsbiografische Ersterfassung machen. Wir haben das bisher im Prinzip dadurch reguliert, dass wir dann, wenn die Kinder an der Schule ankamen, diese Erkenntnisse gewonnen haben, aber dort, wo wir Zeit gewinnen können, wie wir das eben durch diese frühzeitige Erfassung machen können, wollen wir das tun, um dann eben, wenn die Kinder und Jugendlichen dann an einer konkreten Schule ankommen, den Schulen bereits bestimmte Angaben und Daten übergeben zu können, damit die dort mit ihrer Arbeit gleich aufsetzen können.
    Schulz: Sie planen aber noch mehr, und zwar eine sogenannte Potenzialanalyse. Was heißt das?
    Stoch: Bei allen Kindern stellt sich ja ab irgendeinem Zeitpunkt die Frage, ab wann kann eine Beschulung dieser Kinder in einer Regelklasse, also nicht mehr separiert in der Willkommensklasse, sondern in der Regelklasse auch vertreten werden. Und um das erkennen zu können, muss es auch sogenannte Tests geben, und wir haben uns jetzt dazu entschlossen, eine standardisierte Potenzialanalyse durchzuführen – letztlich ein großes Wort dafür, dass wir bei jedem Kind ermitteln wollen, wann der richtige Zeitpunkt ist, um es an die richtige Regelschulklasse überschulen zu können. Und da geht es uns jetzt bei dieser Potenzialanalyse darum, dass wir eben nicht so stark sprachgestützte Erhebungen machen, weil viele dieser Tests dieser Potenzialanalysen, die in der Vergangenheit gemacht wurden, hingen eben davon ab, dass Kinder und Jugendliche die Sprache schon sehr gut oder perfekt können. Wenn wir dieses aber tun, dann ordnen wir Schülerinnen und Schüler, die vielleicht ein deutlich höheres Potenzial haben, schon allein aufgrund ihrer noch nicht bestehenden Sprachkompetenz der falschen Zielschulart zu. Wir wollen dadurch letztlich Anhaltspunkte für eine individuelle Förderung dieser Schüler gewinnen.
    Schulz: Und wer führt diese Tests durch, oder anders gefragt, wo nehmen Sie das Personal dafür her?
    Stoch: Diese Tests sind ganz normal Gegenstand des Unterrichts in den Willkommensklassen, in den Vorbereitungsklassen. Wir haben ja in diesen Klassen dann die entsprechenden Lehrkräfte – ist auch nichts Neues, wir führen auch an den anderen Schularten regelmäßig die sogenannte Potenzialanalyse durch. Da geht es nicht nur darum zu erkennen, ob die Schüler in Mathematik oder Deutsch gut sind, sondern da geht es auch um sogenannte überfachliche Kompetenzen. Da geht es um Konzentrationsfähigkeit, da geht es um Abstraktionsfähigkeit, und bei Schülerinnen und Schülern, die schon etwas älter sind, geht es natürlich auch darum, ihnen vielleicht aufgrund der Kompetenzanalyse Anhaltspunkte dafür zu geben, wo zum Beispiel für sie eine mögliche berufliche Verwendung sinnvoll wäre. Also all dieses soll in dieser Potenzialanalyse im Unterricht, im Rahmen der Willkommens- und VABO-Klassen umgesetzt werden.
    "... sehr zuversichtlich, dass wir dann im Februar beginnen können mit der Umsetzung"
    Schulz: Sie wollen Mitte Februar starten, diese Tests, von denen wir jetzt sprechen, werden aber gerade noch entwickelt – ist das ein realistischer Zeitplan?
    Stoch: Das ist ein realistischer Zeitplan. Wie gesagt, wir beschreiten hier kein Neuland. Wir arbeiten hier mit verschiedenen Anbietern zusammen, die schon in den bisherigen Kompetenzanalysen, die wir ja durchführen, uns gute Tests an die Hand gegeben haben. Die Ausschreibung läuft, und wir sind da sehr zuversichtlich, dass wir dann im Februar beginnen können mit der Umsetzung an den Schulen. Aber Sie können schon daran erkennen, dass uns das Bundesministerium in Berlin da mit Geldmitteln unterstützt, dass auch vonseiten des Bundes ein gewisser Bedarf gesehen wird, weil sonst würden sie diesen Modellversuch, für den Baden-Württemberg ja eine Vorreiterrolle übernimmt, nicht finanziell unterstützen. Wir wollen da den anderen Bundesländern letztlich auch entsprechende Hinweise und Anhaltspunkte geben können.
    Schulz: Ja, Flüchtlingsfamilien sind ja vor allem von Anfang an dazu gezwungen, den Ort und eben auch das Bundesland zu wechseln – was nutzen denn dann Ihre Testergebnisse in anderen Bundesländern?
    Stoch: Testergebnisse, die Sie in einem Land wie Baden-Württemberg gewinnen, können natürlich dann auch bei einer weiteren Beschulung egal in welchem Bundesland von großem Nutzen sein. Ich glaube, da werden wichtige Anhaltspunkte gewonnen, die eine gute Förderung dieser Kinder erst möglich machen.
    Schulz: Aber trotzdem, sollte es nicht besser von Anfang an eine bundesweite Lösung geben, anstatt dass jetzt jedes Bundesland sozusagen ein eigenes Verfahren erst mal ausprobiert?
    Stoch: Ich glaube, dass die anderen Bundesländer auch sehr schnell in dem Bereich nachziehen werden, und es werden keine komplett anderen Verfahren sein, weil letztlich die Frage der Erkenntnisse, die wir gewinnen wollen, ja in allen Bundesländern die gleiche ist. Und deswegen glaube ich, dass wir da sehr schnell auch eine entsprechende Ausweitung auf andere Bundesländer haben werden.
    Schulz: Herr Stoch, ich möchte Sie noch zu einem anderen Thema befragen. Wir haben in dieser Sendung bereits über die Personalsituation in den Kindertagesstätten in Ihrem Bundesland gesprochen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist der Ansicht, dass sich der Personalschlüssel in den Kitas bei Ihnen trotz deutlich gestiegener finanzieller Landesmittel nicht verbessert habe. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
    Stoch: Also zunächst mal muss man hier für Baden-Württemberg ganz deutlich sagen, wir haben als Landesregierung seit 2011 gerade im Bereich der frühkindlichen Bildung erhebliche Mittel investiert. Wir haben mit den Kommunen einen Pakt für Familien geschlossen, der erste Investitionen in erheblichem Maße möglich gemacht hat, und wir sind als Land Baden-Württemberg vom letzten Platz mittlerweile – so sagt es jedenfalls die Bertelsmann-Stiftung – in die Spitzengruppe aufgerückt. Natürlich ist es für uns so, dass diese quantitative Ausweitung des Angebots auch mit einer entsprechenden Personalausstattung Schritt halten muss, aber wir haben natürlich auch in diesem Bereich durchaus ein Problem, dass die Erzieherinnen und Erzieher durchaus nicht in der großen Zahl vorhanden sind, wie wir sie dringend bräuchten. Das heißt, für mich ist es nicht allein damit getan, die Kapazitäten auszuweiten, sondern wir müssen natürlich auch schauen, dass wir entsprechende Menschen qualifizieren, die dann diesen wichtigen Beruf übernehmen. Da können wir nicht die Versäumnisse der Vergangenheit und der früheren Landesregierung in fünf Jahren ausgleichen, aber wir können deutliche Fortschritte vermelden, und wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren hier in Baden-Württemberg auch deutlich weitere Schritte im Sinne der Quantität, aber vor allem auch im Sinne der Qualität und einer guten Personalausstattung machen werden.
    Schulz: Über Wissenstests für minderjährige Flüchtlinge und über die Personalsituation in den Kindertagesstätten in Baden-Württemberg habe ich gesprochen mit Andreas Stoch, er ist Kultusminister von Baden-Württemberg. Ganz herzlichen Dank!
    Stoch: Herzlichen Dank, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.