Jürgen Zurheide: Regulierung oder nicht Regulierung, das ist hier die Frage, die zum Beispiel bei den Gipfeln ganz besonders gewogen wird. Und wir alle ahnen schon das Ergebnis: Ein bisschen Regulierung wird es geben. Aber so richtig viel, was dem Bankensektor auferlegt ist, wird es dann auch nicht. Dabei gibt es zum Beispiel Spekulanten – und dieses Wort benutze ich jetzt bewusst, weil sie sich selbst auch so bezeichnen –, die sagen, na ja, Regulierung wäre doch eigentlich gar nicht so schlecht. Allerdings, es kommt wohl nicht zustande. Wir haben gleich ein Interview, das ich vor dieser Sendung aufgezeichnet habe, mit George Soros, dem Finanzinvestor. Wir wollen hier schon mal einen kleinen Auszug hören, wie er denn Regulierung sieht:
George Soros: Nun, ich glaube, es liegt nicht nur an den Amerikanern. Leider bemerken wir erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Parteien. Wir haben eine Globalisierung der Finanzmärkte erlebt, auf der falschen Annahme begründet, dass dies ohne Regulierung möglich sei. Diese falsche Auffassung ist mittlerweile diskreditiert, denn die Märkte sind zusammengebrochen und mussten gerettet werden. Jetzt, wo es an die Regulierung geht, sind immer noch einzelne nationale Behörden mit ihren eigenen Interessen, mit ihren Vorurteilen, mit ihren Einseitigkeiten am Werke, jedoch hat der erste G20-Gipfel in London gute Arbeit geleistet – sie haben ein Rettungspaket im Umfang von einer Billion Dollar geschnürt. Jetzt jedoch haben sich die Meinungsunterschiede sehr vertieft – leider.
Zurheide: Das war George Soros im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das volle Interview werden wir um 8:10 Uhr senden. Wir wollen aber das als Anlass nehmen, über das Problem zu reden, und dazu begrüße ich jetzt Volker Wissing, den Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Wissing!
Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Zurheide: Herr Wissing, zunächst einmal, wenn selbst jemand wie George Soros, einer der großen Spekulanten dieser Welt, sagt, ja, wir brauchten eigentlich mehr Regulierung in der internationalen Zusammenarbeit, so allgemein sagen dann alle, ja. Ich frage mal Sie: Was erwarten Sie denn bei diesem Gipfel, wird es da Fortschritte geben? Oder sagen Sie, na, ist besser, wenn es keine gibt?
Wissing: Es wäre sehr gut und es ist auch sehr wichtig, dass es dort Fortschritte gibt, weil wir in der Tat mehr Regulierung brauchen. Wir haben an den Finanzmärkten erlebt, was für Folgen es haben kann, wenn sich Märkte global entwickeln, ohne dass sie durch staatliche Regeln begleitet werden. Marktwirtschaft, Wirtschaft funktioniert nicht ohne einen klaren Ordnungsrahmen, und dieser Ordnungsrahmen fehlt im internationalen Finanzgewerbe. Und deswegen brauchen wir auch mehr Regulierung. Und ich hoffe, dass wir auf G20 weiterkommen, weil es leider für die nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeit gibt, die fehlenden Regeln im Alleingang zu schaffen.
Zurheide: Sagen Sie konkret, was Sie sich wünschen, welche Form von Regulierung wünschen Sie sich?
Wissing: Was hier fehlt, ist ein Regelwerk, dass diejenigen, die die Freiheit der Finanzmärkte nutzen, auch die Verantwortung für die eingegangenen Risiken tragen. Es besteht ganz offensichtlich an den Finanzmärkten die Möglichkeiten, Risiken zu übernehmen, die daraus resultierenden Gewinne für sich zu vereinnahmen und im Falle des Scheiterns die Bürgerinnen und Bürger zu verpflichten, die Risiken abzufedern. Und diese Form der Sozialisierung von Risiken ist in einer Marktwirtschaft schädlich.
Zurheide: Dann kommen wir mal auf ganz konkrete Dinge. Zum Beispiel im Bereich von Basel III wird ja gerade diskutiert, dass die Eigenkapitalregeln etwas härter werden, die würden genau das verhindern, was Sie gerade sagen. Wenn denn stimmt, was wir hier hören, sind die Banken nun gerade dabei, diese etwas härteren Eigenkapitalvorschriften, auf die man sich eigentlich verständigt hatte, wieder zu verwässern. Da kommen dann wieder Dinge zum Eigenkapitel hinzu, die am Ende im Krisenfall nicht wirklich helfen werden. Was läuft denn da falsch?
Wissing: Man muss sehen, dass die fehlenden Regeln – und da gehört auch eine höhere Verpflichtung zur Eigenkapitalausstattung dazu – in der Krise sehr schwer zu schaffen sind. Einmal, weil wir in der Krise schnell handeln müssen und der internationale Konsens nicht schnell herzustellen ist, das bedarf intensiver Beratungen. Trotzdem ist der Druck groß und trotzdem ist die Verpflichtung groß, bei G20 und auch bei G8 weiterzukommen. Und dann kommt natürlich dazu, dass in einer Krise eine höhere Eigenkapitalverpflichtung der Banken zu einer Kreditklemme führen kann, und die wäre wiederum krisenverschärfend, sodass man sehr vorsichtig vorgehen muss.
Aber ich akzeptiere nicht das Argument, dass man jetzt gar nichts machen sollte, weil wir eine Kreditverknappung ansonsten zu befürchten haben, sondern es muss trotzdem gehandelt werden, weil sich die Krise so dramatisch entwickelt hat. Wir haben nach wie vor keine Stabilität und müssen sehen, dass wir im Grunde genommen seit 2008 keine wirkliche Erholung der Finanzkrise erlebt haben. Und deswegen ist Handeln erforderlich.
Zurheide: Ich glaube, Ihre Argumente werden von vielen Menschen gut verstanden. Es steht ja die Frage im Raum, ob möglicherweise die Banken einfach zu mächtig sind, weil sie diese neuen Regeln nicht wollen. Ist das eine ganz falsche Beobachtung, dass die Banken da sehr mächtig sind und dann auch solche Regeln wieder verwässern, mit den Argumenten, die Sie gerade benutzt haben, aber dass sie im Kern eigentlich nicht wollen, dass der Staat da reingeht?
Wissing: Ich persönlich fühle mich in keiner Weise ohnmächtig gegenüber Banken, und ich glaube, ich spreche im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages: Wir sind fest entschlossen, die notwendigen Regeln zu schaffen und setzen uns auch gerne und mit allem Nachdruck über die Gegenwehr, soweit sie vorhanden ist, hinweg. Das Problem …
Zurheide: Aber diese Gegenwehr sehen Sie auch?
Wissing: Natürlich haben Banken kein Interesse daran, ihr Geschäft eingeschränkt zu bekommen, und eine höhere Eigenkapitalausstattung schränkt auch Geschäftsvolumina ein. Das Problem ist nur, dass wir aufpassen müssen, dass am Ende nicht durch höhere Eigenkapitalanforderungen der Banken die mittelständischen Unternehmen, die in den nächsten Monaten in einer ganz offensichtlich und erfreulicherweise zu spürenden Aufschwungphase investieren sollen, dass denen der Kredithahn abgedreht wird. Das darf nicht passieren, und deswegen sind wir natürlich nicht nur, weil Widerstand seitens der Finanzbranche geleistet wird, sondern auch, weil wir die Interessen der Unternehmen sehen, die mit der Finanzkrise nichts zu tun haben und Kredite brauchen, sind wir in gewisser Weise eingeschränkt. Aber das darf nicht dazu führen, dass es zum Regelungsstillstand kommt, zum Regulierungsstillstand kommt, sondern man muss auch in dieser schwierigen Phase kontinuierlich und mit allem Nachdruck den Weg der Regulierung gehen.
Zurheide: Ist da nicht genau die Schwierigkeit, dass die Banken auf der einen Seite exakt die Aufgabe haben, die Sie beschreiben, nämlich die Kredite zur Verfügung zu stellen, damit die Wirtschaft in Gang bleibt, auf der anderen Seite aber gibt es viele Dinge, die sich im Hintergrund abspielen und wo der Finanzsektor sich so weit abgekoppelt hat. Kann man das voneinander trennen, was natürlich auch heißt, dass dann Wirtschaftswachstum, bestimmte Arten von Wirtschaftswachstum wären dann nicht mehr da. Muss man an irgendeinem Punkt vielleicht einfach sagen: Okay, diese Form von Wachstum wollen wir nicht, weil wir zahlen dann am Ende immer einen hohen Preis, weil irgendwelche Blasen entstehen?
Wissing: Das muss man im Blick haben. Man darf jetzt nicht Fehler begehen in dieser laufenden Krise, die neue Blasenbildung unterstützen. Wir werden sicherlich am Ende dieser Finanzmarktkrise massive Veränderung in der Weltwirtschaft haben. Das, was sich gegenwärtig an den Finanzmärkten gezeigt hat, ist ein so großes Bedrohungsszenario für unsere Volkswirtschaften, dass wir mit diesen Risiken künftig nicht leben können und auch nicht leben wollen. Und deswegen brauchen wir neue Regeln. Die national alleine zu schaffen geht leider nicht, wir würden damit nur Ausweichbewegungen um unser Land provozieren, uns relativ schwach stellen, und am Ende, wenn die Risiken der anderen sich realisieren, voll mit in die Krise rutschen. Das kann man nicht machen. Aber trotzdem glaube ich, wir haben gute Chancen, international voranzukommen, denn es ist ja nicht nur so, dass Europa in den letzten Monaten in den Abgrund geblickt hat. Was wir hier an Bedrohungsszenario erlebt haben, in dem Monat Mai, das hätte auch die Wirtschaft in den USA oder in anderen wichtigen Regionen der Welt in den Abgrund gerissen.
Zurheide: Ich will noch mal Sie ein wenig locken, ob man nicht wirklich nicht manche Dinge auch alleine tun kann oder vielleicht muss, um voranzugehen, selbst wenn es heißt, dass im Moment etwas Wachstum verliert. Aber es heißt ja dann auch, man hat bestimmte Risiken nicht, und diejenigen, die die Risiken dann übernehmen, müssen dann auch eher mit den Folgen klarkommen. Also sollte man nicht manchmal mutiger vorangehen und sagen, okay, wir wagen das, wir machen es erst mal alleine?
Wissing: Das ist sehr schwer, denn die Frage ist, ob man, wenn man alleine reguliert, wirklich die Risiken nicht hat. Wenn Sie bestimmte Finanzgeschäfte von den deutschen Börsenplätzen nach dem Ausland verlagern, dann ist wegen der internationalen Verflechtung das Risiko am Ende für die Bundesrepublik genauso groß, wie wenn die Geschäfte an deutschen Börsenplätzen stattfänden, und man hat nichts erreicht. Gleichwohl darf man mit dem Argument, es muss international abgestimmt sein, sich nicht bequem zurücklehnen, sondern man muss durchaus entschieden und mutig vorangehen. Und deswegen hat die Bundesregierung auch in einzelnen Bereichen gesagt, hier wollen wir ein deutliches Signal setzen. Wir werden beispielsweise bestimmte Transaktionen an den Börsen strenger regulieren, man wird eine neue Regel für Leerverkäufe schaffen in Deutschland, das sind wir Vorreiter. Wir haben auch …
Zurheide: Was Helmut Schmidt dann mächtig kritisiert.
Wissing: Ja, das mag sein, dass er das kritisiert. Es gibt natürlich Kritik daran, wenn man einen nationalen Vorstoß wagt. Und ich sehe auch das durchaus als berechtigt an, wenn man sagt, die Problematik der Leerverkäufe ist nicht der Schwerpunkt, der zu der gegenwärtigen Krise geführt hat. Aber trotzdem muss man mutig vorangehen in einzelnen Fällen, aber ich warne davor, dass man in Deutschland die Regelungen auf den Weg bringt, die wir international brauchen, und dann abwartet, ob die anderen den Regeln folgen. Meine Vermutung ist, dass die anderen den Regeln dann nicht folgen und sich darüber freuen, dass die Finanzgeschäfte sich von unseren Börsenplätzen ins Ausland verlagern und wir am Ende nichts erreicht haben.
Im Übrigen ist in manchen Punkten die Regulierung in Deutschland bereits höher als in anderen Teilen der Welt. Wir haben beispielsweise, was Leerverkäufe angeht, in Deutschland eine sehr solide Praxis. Hier muss man sich bei einem Leerverkauf innerhalb von zwei Tagen eindecken, an anderen Börsenplätzen, etwa in London, hat man die Möglichkeit, bis zu 30 Tage mit dem Eindecken zu warten. Also man sieht, wir haben schon einen höheren Regulierungsstandard. Und auch aus diesem Grund können wir nicht diejenigen sein, die von einem höheren Niveau kommend noch weiter draufsatteln, ohne die anderen mitzunehmen. Ansonsten kriegen wir ein Ungleichgewicht. Wir hätten dann einen regulierten Markt in der Bundesrepublik Deutschland und um uns herum deregulierte Finanzmärkte mit vollem Risiko für unser Land – das kann man nicht verantworten.
Deswegen steht unsere Hoffnung und liegt unsere Hoffnung auf G20. Meine Sorge ist, dass Einzelne – das ist ganz deutlich zu erkennen – unehrlich umgehen mit dem Argument der internationalen Abstimmung. Manche wollen keine Regulierung, sagen dann, es geht nur international, und hoffen, dass es international nicht kommt. Das ist eine unehrliche Debatte und die ist auch destruktiv. Ich weiß und bin deswegen froh, dass die Bundesregierung offensiv und ehrlich an das Thema Regulierung und G20 herangeht.
Zurheide: Das war Volker Wissing, der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, zum Thema Finanzmarktregulierung. Ich bedanke mich für das Gespräch! Danke schön, auf Wiederhören!
Wissing: Auf Wiederhören!
George Soros: Nun, ich glaube, es liegt nicht nur an den Amerikanern. Leider bemerken wir erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Parteien. Wir haben eine Globalisierung der Finanzmärkte erlebt, auf der falschen Annahme begründet, dass dies ohne Regulierung möglich sei. Diese falsche Auffassung ist mittlerweile diskreditiert, denn die Märkte sind zusammengebrochen und mussten gerettet werden. Jetzt, wo es an die Regulierung geht, sind immer noch einzelne nationale Behörden mit ihren eigenen Interessen, mit ihren Vorurteilen, mit ihren Einseitigkeiten am Werke, jedoch hat der erste G20-Gipfel in London gute Arbeit geleistet – sie haben ein Rettungspaket im Umfang von einer Billion Dollar geschnürt. Jetzt jedoch haben sich die Meinungsunterschiede sehr vertieft – leider.
Zurheide: Das war George Soros im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das volle Interview werden wir um 8:10 Uhr senden. Wir wollen aber das als Anlass nehmen, über das Problem zu reden, und dazu begrüße ich jetzt Volker Wissing, den Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Wissing!
Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Zurheide: Herr Wissing, zunächst einmal, wenn selbst jemand wie George Soros, einer der großen Spekulanten dieser Welt, sagt, ja, wir brauchten eigentlich mehr Regulierung in der internationalen Zusammenarbeit, so allgemein sagen dann alle, ja. Ich frage mal Sie: Was erwarten Sie denn bei diesem Gipfel, wird es da Fortschritte geben? Oder sagen Sie, na, ist besser, wenn es keine gibt?
Wissing: Es wäre sehr gut und es ist auch sehr wichtig, dass es dort Fortschritte gibt, weil wir in der Tat mehr Regulierung brauchen. Wir haben an den Finanzmärkten erlebt, was für Folgen es haben kann, wenn sich Märkte global entwickeln, ohne dass sie durch staatliche Regeln begleitet werden. Marktwirtschaft, Wirtschaft funktioniert nicht ohne einen klaren Ordnungsrahmen, und dieser Ordnungsrahmen fehlt im internationalen Finanzgewerbe. Und deswegen brauchen wir auch mehr Regulierung. Und ich hoffe, dass wir auf G20 weiterkommen, weil es leider für die nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeit gibt, die fehlenden Regeln im Alleingang zu schaffen.
Zurheide: Sagen Sie konkret, was Sie sich wünschen, welche Form von Regulierung wünschen Sie sich?
Wissing: Was hier fehlt, ist ein Regelwerk, dass diejenigen, die die Freiheit der Finanzmärkte nutzen, auch die Verantwortung für die eingegangenen Risiken tragen. Es besteht ganz offensichtlich an den Finanzmärkten die Möglichkeiten, Risiken zu übernehmen, die daraus resultierenden Gewinne für sich zu vereinnahmen und im Falle des Scheiterns die Bürgerinnen und Bürger zu verpflichten, die Risiken abzufedern. Und diese Form der Sozialisierung von Risiken ist in einer Marktwirtschaft schädlich.
Zurheide: Dann kommen wir mal auf ganz konkrete Dinge. Zum Beispiel im Bereich von Basel III wird ja gerade diskutiert, dass die Eigenkapitalregeln etwas härter werden, die würden genau das verhindern, was Sie gerade sagen. Wenn denn stimmt, was wir hier hören, sind die Banken nun gerade dabei, diese etwas härteren Eigenkapitalvorschriften, auf die man sich eigentlich verständigt hatte, wieder zu verwässern. Da kommen dann wieder Dinge zum Eigenkapitel hinzu, die am Ende im Krisenfall nicht wirklich helfen werden. Was läuft denn da falsch?
Wissing: Man muss sehen, dass die fehlenden Regeln – und da gehört auch eine höhere Verpflichtung zur Eigenkapitalausstattung dazu – in der Krise sehr schwer zu schaffen sind. Einmal, weil wir in der Krise schnell handeln müssen und der internationale Konsens nicht schnell herzustellen ist, das bedarf intensiver Beratungen. Trotzdem ist der Druck groß und trotzdem ist die Verpflichtung groß, bei G20 und auch bei G8 weiterzukommen. Und dann kommt natürlich dazu, dass in einer Krise eine höhere Eigenkapitalverpflichtung der Banken zu einer Kreditklemme führen kann, und die wäre wiederum krisenverschärfend, sodass man sehr vorsichtig vorgehen muss.
Aber ich akzeptiere nicht das Argument, dass man jetzt gar nichts machen sollte, weil wir eine Kreditverknappung ansonsten zu befürchten haben, sondern es muss trotzdem gehandelt werden, weil sich die Krise so dramatisch entwickelt hat. Wir haben nach wie vor keine Stabilität und müssen sehen, dass wir im Grunde genommen seit 2008 keine wirkliche Erholung der Finanzkrise erlebt haben. Und deswegen ist Handeln erforderlich.
Zurheide: Ich glaube, Ihre Argumente werden von vielen Menschen gut verstanden. Es steht ja die Frage im Raum, ob möglicherweise die Banken einfach zu mächtig sind, weil sie diese neuen Regeln nicht wollen. Ist das eine ganz falsche Beobachtung, dass die Banken da sehr mächtig sind und dann auch solche Regeln wieder verwässern, mit den Argumenten, die Sie gerade benutzt haben, aber dass sie im Kern eigentlich nicht wollen, dass der Staat da reingeht?
Wissing: Ich persönlich fühle mich in keiner Weise ohnmächtig gegenüber Banken, und ich glaube, ich spreche im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages: Wir sind fest entschlossen, die notwendigen Regeln zu schaffen und setzen uns auch gerne und mit allem Nachdruck über die Gegenwehr, soweit sie vorhanden ist, hinweg. Das Problem …
Zurheide: Aber diese Gegenwehr sehen Sie auch?
Wissing: Natürlich haben Banken kein Interesse daran, ihr Geschäft eingeschränkt zu bekommen, und eine höhere Eigenkapitalausstattung schränkt auch Geschäftsvolumina ein. Das Problem ist nur, dass wir aufpassen müssen, dass am Ende nicht durch höhere Eigenkapitalanforderungen der Banken die mittelständischen Unternehmen, die in den nächsten Monaten in einer ganz offensichtlich und erfreulicherweise zu spürenden Aufschwungphase investieren sollen, dass denen der Kredithahn abgedreht wird. Das darf nicht passieren, und deswegen sind wir natürlich nicht nur, weil Widerstand seitens der Finanzbranche geleistet wird, sondern auch, weil wir die Interessen der Unternehmen sehen, die mit der Finanzkrise nichts zu tun haben und Kredite brauchen, sind wir in gewisser Weise eingeschränkt. Aber das darf nicht dazu führen, dass es zum Regelungsstillstand kommt, zum Regulierungsstillstand kommt, sondern man muss auch in dieser schwierigen Phase kontinuierlich und mit allem Nachdruck den Weg der Regulierung gehen.
Zurheide: Ist da nicht genau die Schwierigkeit, dass die Banken auf der einen Seite exakt die Aufgabe haben, die Sie beschreiben, nämlich die Kredite zur Verfügung zu stellen, damit die Wirtschaft in Gang bleibt, auf der anderen Seite aber gibt es viele Dinge, die sich im Hintergrund abspielen und wo der Finanzsektor sich so weit abgekoppelt hat. Kann man das voneinander trennen, was natürlich auch heißt, dass dann Wirtschaftswachstum, bestimmte Arten von Wirtschaftswachstum wären dann nicht mehr da. Muss man an irgendeinem Punkt vielleicht einfach sagen: Okay, diese Form von Wachstum wollen wir nicht, weil wir zahlen dann am Ende immer einen hohen Preis, weil irgendwelche Blasen entstehen?
Wissing: Das muss man im Blick haben. Man darf jetzt nicht Fehler begehen in dieser laufenden Krise, die neue Blasenbildung unterstützen. Wir werden sicherlich am Ende dieser Finanzmarktkrise massive Veränderung in der Weltwirtschaft haben. Das, was sich gegenwärtig an den Finanzmärkten gezeigt hat, ist ein so großes Bedrohungsszenario für unsere Volkswirtschaften, dass wir mit diesen Risiken künftig nicht leben können und auch nicht leben wollen. Und deswegen brauchen wir neue Regeln. Die national alleine zu schaffen geht leider nicht, wir würden damit nur Ausweichbewegungen um unser Land provozieren, uns relativ schwach stellen, und am Ende, wenn die Risiken der anderen sich realisieren, voll mit in die Krise rutschen. Das kann man nicht machen. Aber trotzdem glaube ich, wir haben gute Chancen, international voranzukommen, denn es ist ja nicht nur so, dass Europa in den letzten Monaten in den Abgrund geblickt hat. Was wir hier an Bedrohungsszenario erlebt haben, in dem Monat Mai, das hätte auch die Wirtschaft in den USA oder in anderen wichtigen Regionen der Welt in den Abgrund gerissen.
Zurheide: Ich will noch mal Sie ein wenig locken, ob man nicht wirklich nicht manche Dinge auch alleine tun kann oder vielleicht muss, um voranzugehen, selbst wenn es heißt, dass im Moment etwas Wachstum verliert. Aber es heißt ja dann auch, man hat bestimmte Risiken nicht, und diejenigen, die die Risiken dann übernehmen, müssen dann auch eher mit den Folgen klarkommen. Also sollte man nicht manchmal mutiger vorangehen und sagen, okay, wir wagen das, wir machen es erst mal alleine?
Wissing: Das ist sehr schwer, denn die Frage ist, ob man, wenn man alleine reguliert, wirklich die Risiken nicht hat. Wenn Sie bestimmte Finanzgeschäfte von den deutschen Börsenplätzen nach dem Ausland verlagern, dann ist wegen der internationalen Verflechtung das Risiko am Ende für die Bundesrepublik genauso groß, wie wenn die Geschäfte an deutschen Börsenplätzen stattfänden, und man hat nichts erreicht. Gleichwohl darf man mit dem Argument, es muss international abgestimmt sein, sich nicht bequem zurücklehnen, sondern man muss durchaus entschieden und mutig vorangehen. Und deswegen hat die Bundesregierung auch in einzelnen Bereichen gesagt, hier wollen wir ein deutliches Signal setzen. Wir werden beispielsweise bestimmte Transaktionen an den Börsen strenger regulieren, man wird eine neue Regel für Leerverkäufe schaffen in Deutschland, das sind wir Vorreiter. Wir haben auch …
Zurheide: Was Helmut Schmidt dann mächtig kritisiert.
Wissing: Ja, das mag sein, dass er das kritisiert. Es gibt natürlich Kritik daran, wenn man einen nationalen Vorstoß wagt. Und ich sehe auch das durchaus als berechtigt an, wenn man sagt, die Problematik der Leerverkäufe ist nicht der Schwerpunkt, der zu der gegenwärtigen Krise geführt hat. Aber trotzdem muss man mutig vorangehen in einzelnen Fällen, aber ich warne davor, dass man in Deutschland die Regelungen auf den Weg bringt, die wir international brauchen, und dann abwartet, ob die anderen den Regeln folgen. Meine Vermutung ist, dass die anderen den Regeln dann nicht folgen und sich darüber freuen, dass die Finanzgeschäfte sich von unseren Börsenplätzen ins Ausland verlagern und wir am Ende nichts erreicht haben.
Im Übrigen ist in manchen Punkten die Regulierung in Deutschland bereits höher als in anderen Teilen der Welt. Wir haben beispielsweise, was Leerverkäufe angeht, in Deutschland eine sehr solide Praxis. Hier muss man sich bei einem Leerverkauf innerhalb von zwei Tagen eindecken, an anderen Börsenplätzen, etwa in London, hat man die Möglichkeit, bis zu 30 Tage mit dem Eindecken zu warten. Also man sieht, wir haben schon einen höheren Regulierungsstandard. Und auch aus diesem Grund können wir nicht diejenigen sein, die von einem höheren Niveau kommend noch weiter draufsatteln, ohne die anderen mitzunehmen. Ansonsten kriegen wir ein Ungleichgewicht. Wir hätten dann einen regulierten Markt in der Bundesrepublik Deutschland und um uns herum deregulierte Finanzmärkte mit vollem Risiko für unser Land – das kann man nicht verantworten.
Deswegen steht unsere Hoffnung und liegt unsere Hoffnung auf G20. Meine Sorge ist, dass Einzelne – das ist ganz deutlich zu erkennen – unehrlich umgehen mit dem Argument der internationalen Abstimmung. Manche wollen keine Regulierung, sagen dann, es geht nur international, und hoffen, dass es international nicht kommt. Das ist eine unehrliche Debatte und die ist auch destruktiv. Ich weiß und bin deswegen froh, dass die Bundesregierung offensiv und ehrlich an das Thema Regulierung und G20 herangeht.
Zurheide: Das war Volker Wissing, der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, zum Thema Finanzmarktregulierung. Ich bedanke mich für das Gespräch! Danke schön, auf Wiederhören!
Wissing: Auf Wiederhören!