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Wittig: Ein Kapitän trägt die "ultimative Verantwortung" für ein Schiff

Kapitän Willi Wittig, Vizepräsident des Verbandes deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere, sagt, dass der Kapitän die obersten Entscheidungsbefugnisse für alle Fälle, auch für Krisenfälle habe. Bei der Abwesenheit des Kapitäns würden nachgeordnete Wachoffiziere Sorge für eine "sichere Schiffsführung" tragen.

Willi Wittig im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Mehrere Tote sind bereits geborgen worden, von den Rettungskräften rund um das verunglückte Kreuzfahrtschiff. Weitere Passagiere werden noch vermisst, darunter auch deutsche Gäste. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese die Havarie im Mittelmeer nicht überlebt haben. Über 4.000 Menschen sind am Freitag, am Tag des Unglücks, auf der Costa Concordia an Bord gewesen. Das Kreuzfahrtunternehmen wirft dem Kapitän schwerwiegende Fehler vor.
    Bei uns am Telefon begrüße ich nun Kapitän Willi Wittig, Vizepräsident des Verbandes deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere. Guten Tag nach Bremen.

    Willi Wittig: Schönen guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Wittig, wie viele Fehler muss ein Kapitän machen, damit so etwas passiert?

    Wittig: Wenn es hart auf hart kommt, reicht schon einer.

    Müller: Sagen Sie uns, welcher.

    Wittig: ... , wobei in der Regel es eben halt nicht der eine einzige Fehler ist, der kausal ursächlich ist, sondern in der Regel bildet sich da schon eine recht massive Fehlerkette im Vorfelde heraus.

    Müller: Herr Wittig, Sie waren nicht mit dabei. Aber was hat er falsch gemacht?

    Wittig: Ich weiß leider nicht viel mehr als die Bevölkerung allgemein über diesen Vorfall, und aus dem, was ich gehört habe, fällt es mir wirklich schwer, ein Fehlverhalten jetzt erst mal abzuleiten. Und ich möchte auch hier dafür werben, dass wir mit der Frage, welche Fehler sind passiert, vielleicht so lange warten, bis dann die offiziellen Untersuchungsergebnisse auch vorliegen.

    Müller: Aber liegt das nicht nahe, dass er einfach das Schiff viel zu nah an die Gefahrenzone herangesteuert hat?

    Wittig: Wenn er den Felsen gestreift hat, dann wird er sicherlich zu nah an Land gewesen sein. Aber wo da jetzt der Fehler war, weiß ich nicht. Wir haben ja jetzt gerade auch in dem Beitrag noch wieder weitere Informationen dazu gehört, warum er möglicherweise so dicht unter Land gefahren ist. Wenn es denn so gewesen sein sollte, klar, dann würde ich sagen, war das ein Fehler, aber bislang haben wir nur die ersten Informationen verfügbar, und ich glaube, auf der Grundlage sollten wir davon absehen, das weiter zu bewerten.

    Müller: Aber wenn Sie sagen, das ist nicht klar, dass das eventuell der Fehler gewesen sein muss, wie könnte er anders ausgesehen haben? Es ist für viele ja völlig unverständlich: Das Schiff läuft auf in einem Küstengewässer, wo wir jetzt erfahren haben, dass viele italienische kleine Patrouillenboote gar nicht so nah herangehen wie jetzt dieses große Kreuzfahrtschiff.

    Wittig: Wir bewegen uns nach wie vor im Bereich der Spekulation und es ist durchaus denkbar - wir haben ja in den verschiedenen Beiträgen eine ganze Menge gehört. Da war die Rede davon, dass irgendwie kurze Zeit die elektrische Versorgung ausgefallen sein soll, möglicherweise ist in dem Zusammenhang auch Ausrüstung der Navigation nicht mehr zur Verfügung gewesen. Es mag sein, dass er tatsächlich, um diesem Besatzungsmitglied was Gutes zu tun, dichter unter Land gefahren ist, was ich mir auch nur schwer vorstellen kann, weil es war ja dunkler Abend und was hätte der eine oder der andere davon. Ich vermag es wirklich aus der Ferne nicht einzuschätzen, was da für die Kollision mit dem Unterwasserhindernis jetzt nun letztlich ursächlich gewesen ist.

    Müller: Herr Wittig, um da noch einmal nachzufragen. Es könnte aus Ihrer Sicht sein - Sie sagen ja zurecht natürlich, wir kennen die Einzelheiten noch nicht -, dass er gar keine Schuld trägt?

    Wittig: Das ist durchaus auch denkbar, aber auch da würde ich mich jetzt nicht weit aus dem Fenster hängen und für eine Unschuld plädieren wollen, sondern da müssen wir in der Tat - ich kann es leider nur wiederholen - abwarten, bis denn die zuständige Seeunfall-Untersuchungskommission sich das genauer angeschaut hat. Denn der Fahrtenschreiber, also die Blackbox, ist ja geborgen, und daraus kriegt man ja eine ganze Menge an Informationen über die tatsächliche Situation an Bord heraus.

    Müller: Bei einem solch modernen Schiff, Herr Wittig, da müssen Sie uns jetzt einmal weiterhelfen - Sie sind selbst als Kapitän auf hoher See -, ist das möglich, dass die Elektronik ausfällt und dass damit alles versagt, oder gibt es da Ersatzmodule?

    Wittig: Normalerweise gibt es redundante Systeme, wobei wenn es einen tatsächlichen totalen Blackout gegeben haben sollte, dann helfen einem auch die redundanten Systeme nicht mehr so richtig weiter.

    Müller: Was kann man dann noch machen, wenn alles ausfällt? Kann man dann noch zurückfahren, kann man anhalten, kann man stoppen?

    Wittig: Stoppen kann man in jedem Fall, und scheinbar scheint in der Gegend, wo der Unfall passiert ist, ja auch ausreichend flaches Wasser verfügbar zu sein, sodass auch im Zweifelsfall ein Notanker-Manöver durchaus denkbar ist.

    Müller: Das wäre vielleicht eine andere Alternative gewesen.

    Wittig: Das wäre möglicherweise eine Alternative gewesen.

    Müller: Kreuzfahrtschiffe sind ja auch zur Belustigung, zum Entertainment gebaut worden und nach wie vor dafür da. Es werden immer mehr Passagiere, weltweit, gerade auch in Europa, auch immer mehr deutsche Gäste buchen eine solche Reise, es ist relativ preiswert geworden. Liegt darin auch eine gewisse Gefahr, dass man sehr spektakulär gegenüber den Gästen agieren möchte?

    Wittig: Man will natürlich den Gästen als Reiseveranstalter, egal in welchem Reisesegment, immer was Besonderes anbieten, wobei das am dunklen Abend dicht unter der Küste entlangfahren, zu Zeiten, wo denn wohl scheinbar, wenn ich da die Berichte der Presse richtig interpretiere, der überwiegende Teil der Besatzung und der Fahrgäste beim Captain's Dinner waren, da glaube ich nicht, dass es irgendwas Besonderes hätte werden sollen und können, da jetzt an dieser Stelle dichter unter Land vorbeizufahren.

    Müller: Viele kennen Kreuzfahrtschiffe in Deutschland vor allem durch unsere erfolgreiche Serie "Traumschiff", die im ZDF läuft. Ich weiß jetzt nicht, wie viele Klischees dort bedient werden. Viele sagen jetzt aber, der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes ist vielleicht mehr Conférencier als Schiffsführer. Ist da was dran?

    Wittig: Nein. Auch auf einem Kreuzfahrtschiff ist der Kapitän nach wie vor derjenige, der die ultimative Verantwortung für das Schiff trägt. Er ist derjenige, der die obersten Entscheidungsbefugnisse für alle Fälle, auch vor allen Dingen für Krisenfälle hat.

    Müller: Aber er muss nicht immer auf der Brücke sein?

    Wittig: Nein, nein. Wenn wir uns das vorstellen: so eine Reise dauert ja - ich glaube, das war jetzt hier eine 14-tägige Reise, die geplant war. Da kann er ja nur sehr schwer die ganze Zeit auf der Brücke sein, sondern er hat natürlich seine, ihm nachgeordneten Wachoffiziere, die dann auch Sorge tragen, dass eine sichere Schiffsführung stattfindet.

    Müller: Und Sie würden auch in gefährlichen Gewässern Ihrem Ersten Offizier vertrauen?

    Wittig: Wenn es zu sehr dichter Landannäherung kommt, wenn es zu bestimmten Situationen kommt, in denen ein sehr schnelles, von der bisherigen Planung abweichendes Handeln Not wird, dann würde ich natürlich zusehen, dass ich entweder selber, oder mein direkter Vertreter, der Staffkapitän auf einem Kreuzfahrtschiff, dann auch auf der Brücke ist.

    Müller: Wir hören uns vielleicht, Herr Wittig, gemeinsam einmal ein Statement eines Admirals der italienischen Küstenwache an. Es geht dabei um die Rolle des Kapitäns.

    Admiral Küstenwache: "Da waren immer noch Menschen an Bord. Wir haben ihn wiederholt aufgefordert, zum Schiff zurückzukehren, um sicherzustellen, dass alle Passagiere und Besatzungsmitglieder herunterkommen."

    Müller: So weit ein hoher Offizier der italienischen Küstenwache. - Ist das eine Mär, dass der Kapitän als Letztes das Schiff verletzt?

    Wittig: Es ist gute Tradition, dass der Kapitän als Letzter das Schiff verlässt, und es ist auch so eine Art moralische Verpflichtung. Aber es ist zumindest nach meinem Kenntnisstand keine rechtliche Verpflichtung.

    Müller: Also ist kein Gesetz?

    Wittig: Kein Gesetz, also zumindest keines, das ich kennen würde.

    Müller: Könnte etwas, Herr Wittig, dafür sprechen, sich das Ganze von außen sozusagen anzuschauen, das heißt von einem Schiff, von einem Hubschrauber aus, um zu versuchen, diese Rettungsmaßnahmen zu koordinieren, denn wer wird das Schiff besser kennen als der Kapitän?

    Wittig: Im Idealfall ist es tatsächlich der Kapitän, der sein Schiff am besten kennt, und es ist auch derjenige, der die Notfallpläne am besten kennt, und es ist auch derjenige, der die Notfallabarbeitung zu koordinieren hat. Es mag Situationen geben, wo, vielleicht um sich eine Übersicht zu verschaffen, es tatsächlich angebracht ist, das von außerhalb des Schiffes zu tun, aber die Ressourcen, die er braucht, um den Notfall zu bearbeiten, sind natürlich alle auf dem Schiff.

    Müller: Gehen wir, Herr Wittig, vielleicht noch einmal zum Schluss auf die Kritik ein, die es in Richtung Mannschaft gegeben hat. Unmittelbar nach der Havarie soll alles ganz chaotisch abgelaufen sein. Viele sagen auch, es gibt erhebliche Sprachprobleme, Kommunikationsprobleme unterhalb des Mannschaftspersonals, weil die aus verschiedenen Ländern kommen, nicht aufeinander abgestimmt sind. Ist das heutzutage viel realistischer geworden, dass es nicht klappt, als früher?

    Wittig: Ich glaube nicht, dass das sich heute deutlich anders darstellt als in der Vergangenheit, denn Seefahrt war immer ein internationales Geschäft, Besatzungen kamen sehr, sehr häufig, gerade auf Kreuzfahrtschiffen, oder auf großen Passagierschiffen, immer aus verschiedenen Teilen der Welt, und damit hatten wir die Situation des multikulturellen und multilingualen Arbeitsplatzes schon immer gehabt. Was sicherlich schwierig ist, ist dann auf einem Schiff, das auch ein internationales Publikum bedient, denn wenn wir uns das so anhören, dann kamen die Fahrgäste - was haben wir? 3700, 3800 Fahrgäste - ja doch nicht aus einer Region und einer sprachlichen Region, sondern aus vielen Regionen dieser Welt und damit auch aus einem multilingualen Umfeld, hier dann ausreichend qualifizierte Mitarbeiter immer zur Verfügung zu stellen, also sprachlich ausreichend qualifizierte Mitarbeiter immer zur Verfügung zu stellen, wobei insgesamt Englisch auf solchen Schiffen als allgemeine Bord-Arbeitssprache in der Regel festgelegt ist. Auf der anderen Seite haben wir auch gehört, dass ein ganzer Teil der Fahrgäste schon auch deutlich älter waren, dann auch möglicherweise kognitiv nicht mehr so steuerbar waren, was in einer Notsituation durchaus keine riesengroße Überraschung darstellt, und dann auch noch in einer fremden Sprache kommunizieren zu müssen, das ist natürlich schon dann auch aus Sicht der Fahrgäste eine Situation, die dann natürlich noch bedrohlicher auf die Fahrgäste wirkt als die Gesamtsituation.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Kapitän Willi Wittig, Vizepräsident des Verbandes deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Bremen.

    Wittig: Gerne. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.