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WM als Lebensversicherung
Katar nutzt Fußball für Sicherheitspolitik

Bei den Asienmeisterschaften steht ein Team besonders im Fokus: Katar, Gastgeber der WM 2022. Die Mannschaft trifft in der Vorrunde auf Saudi-Arabien. Der übermächtige Nachbar hatte gegen Doha eine Blockade verhängt. Doch Katar hat seine Sicherheitspolitik angepasst - ein wichtiges Element dabei ist der Fußball.

Von Ronny Blaschke |
    Das Khalifa International Stadium in Doha (Katar)
    Das Khalifa International Stadium in Doha (Katar), wo 2022 WM-Spiele stattfinden sollen. (picture alliance/dpa/Foto: Sven Hoppe)
    Im Juni 2017 verhängte Saudi-Arabien eine Blockade über Katar. Ägypten, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate schlossen sich an und setzten ihre diplomatischen Beziehungen mit Doha aus. Doch schon vor dieser Isolierung stand Katar unter Druck, sagt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut, und erinnert an 1990: Damals marschierte der übermächtige Irak in das kleine Kuweit ein, die USA mussten zur Befreiung anrücken.
    Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche
    Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche (Deutschlandradio/ Ronny Blaschke)
    "Die Hoffnung der Katarer ist, dass sie durch Sport so stark wahrgenommen werden, dass ihnen sowas nicht widerfährt. Sportgroßveranstaltungen als eine Art Lebensversicherung, da das Land von großen mächtigen Nachbarn umgeben ist. Also das ist schon die Hoffnung, einfach durch diese Präsenz auch Sicherheit zu haben. Weil jeder weiß, der Katar angreifen würde, dass das eine unheimliche Aufmerksamkeit erlangen würde."
    Investition in "Soft Power"
    Die Fläche von Saudi-Arabien ist 200 Mal so groß wie die von Katar, die des Iran 150 Mal. Katar hat die zweitkleinste Armee im Mittleren Osten, mit 12.000 Soldaten. Saudi-Arabien und Iran verfügen jeweils über mehr als 500.000 Streitkräfte. Katar beherbergt zwar eine der größten Militärbasen der USA, doch das muss in Zeiten der unberechenbaren Politik Donald Trumps nicht von Dauer sein. Daher investiert Katar in "Soft Power", eine Strategie, die nicht auf militärische Maßnahmen setzt, sondern auf einen Kulturaustausch. Dazu gehöre die WM 2022, sagt Danyel Reiche, aber auch der Kauf von Paris Saint-Germain oder der Sponsoreneinstieg beim FC Barcelona und beim FC Bayern München.
    "Die Ziele sind die gleichen wie bei der Organisation von Sport-Großveranstaltungen: Beziehungen mit so vielen Menschen und Ländern wie möglich aufzubauen. Im Fall von Paris Saint-Germain war der Neymar-Transfer interessant, der wenige Wochen verkündet wurde, nachdem Saudi-Arabien die Blockade gegenüber Katar verkündet hat. Das war, denke ich, eine strategische Meisterleistung von Katar. Ökonomisch war der Transfer vielleicht Unsinn, weil viel zu teuer. Aber damit hat man das ganze Narrativ in der internationalen Presse zum Thema des ,armen Katar‘, das einer Blockade ausgesetzt ist, verändert. Und plötzlich haben alle davon geredet, dass Katar Neymar gekauft hat."
    Viele Kataris stehen der WM ablehnend gegenüber
    Innenpolitisch wurden die vergangenen Weltmeisterschaften als Symbol für gesellschaftliche Einigkeit gedeutet, in Südafrika, Brasilien oder Russland. In Katar ist das anders: Von den zweieinhalb Millionen Einwohnern haben nur rund zehn Prozent einen katarischen Pass. In Bildung oder Gesundheitsvorsorge genießen Staatsbürger Privilegien, ihr Pro-Kopf-Einkommen ist eines der höchsten weltweit. Viele von ihnen fürchten, dass die Debatten rund um die WM ihr Land verändern könnten, zum Beispiel die internationale Kritik an Arbeits- oder Menschenrechtsverletzungen. Florian Bauer, sportpolitischer Autor der ARD, hat häufig in Katar recherchiert.
    "In diesem Land leben viele Kataris, die dieser Öffnung nicht offen oder ablehnend gegenüberstehen. Sie haben Angst um ihre Pfründe. Sie haben Angst, dass die alten Riten dadurch verwässert werden, dass beispielsweise Alkohol getrunken werden darf während der Weltmeisterschaft. Um mal ganz pragmatisch da heran zu gehen. Das sind Dinge, vor denen viele Kataris Angst haben, und wo viele Kataris mir auch hinter vorgehaltener Hand, und auch erst, wenn man dort ein paar Mal hingereist ist, sagen: ,Wir wollten diese WM gar nicht‘."
    Vor kurzem wurden in Katar die Alkoholpreise durch neue Steuern massiv erhöht. Ein Zugeständnis an konservative Kreise, denn nur in mit innenpolitischer Stabilität lässt sich außenpolitische "Soft Power" vorantreiben. Ob Frauenrechte, Arbeitsbedingungen oder Pressefreiheit: Die katarische Monarchie muss Fortschritte vorweisen, wenn sie von der westlichen Welt anerkannt werden will. Doch größere Reformen könnten konservativere Nachbarn wie Saudi-Arabien, Iran oder Bahrain unter Zugzwang bringen. Deshalb verteilt Katar Investments auf mehrere Regionen, sagt Florian Bauer, deutlich werde das auch bei den geplanten WM-Stadien.
    "Von denen werden sie hinterher eine Vielzahl entweder ganz oder teilweise zurückbauen und auf eigene Kosten in Entwicklungsländer verschiffen. Und dort auf eigene Kosten wieder aufbauen. So steht es zumindest in der ursprünglichen Bewerbung. Das ist natürlich etwas, womit man einen Goodwill schafft. Und natürlich schafft man auch intensive politische Verbindungen zu den Entwicklungsländern. Und das hat Katar in den letzten zehn Jahren sowieso sehr intensiv gemacht, vor allem mit Ländern in Afrika sehr starke politische Beziehungen zu halten."
    Panarabische Spiele finden keinen Gastgeber
    Laut Florian Bauer könnte das kleine Katar ein wichtiger außenpolitischer Vermittler sein. Mit Kontakten zu den USA, Großbritannien und Frankreich, drei ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates. Aber auch mit Beziehungen zu Israel, Palästina und Iran. Doch die Blockade Saudi-Arabiens steht dem entgegen. Und so dürften die Pläne von Gianni Infantino unrealistisch bleiben. Der Fifa-Präsident wünscht sich für 2022 eine WM mit 48 statt wie geplant mit 32 Mannschaften. Doch aus Mangel an Stadien, Trainingsstätten und Hotels bräuchte Katar Unterstützung aus der Nachbarschaft. Die Hoch-Zeiten des Pan-Arabismus sind jedoch vorbei, sagt Danyel Reiche.
    "Es gibt die panarabischen Spiele, die allerdings das letzte Mal 2011 ausgetragen wurden. Als Spiegelbild der politischen Spannungen, weil man sich nicht auf einen neuen Ausrichter bislang einigen konnte. Es gab immer rund um die panarabischen Spiele Konflikte, zum Beispiel als sie 1997 im Libanon waren, haben Kuweit und Saudi-Arabien gesagt, sie würden nicht daran teilnehmen, wenn Irak teilnimmt. Und dann hatte der Libanon Irak keine Visa ausgestellt, damit dann Kuweit und Saudi-Arabien teilnehmen, weil die sich im Vorfeld auch an der Finanzierung von Infrastruktur beteiligt hatten. Und solche Konflikte gibt es fast um jede panarabischen Spiele."
    Die vorerst letzten panarabischen Spiele fanden 2011 in Doha statt. Nun bei der Fußball-Asienmeisterschaft treffen etliche Nationen aufeinander, deren Regierungen sich kritisch und sogar feindselig gegenüberstehen. Katar trifft in der Vorrunde am 17. Januar auf Saudi-Arabien. Es ist das letzte Gruppenspiel, in dem es vielleicht um nichts mehr geht. Oder um alles.