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WM-Analyse von Joachim Löw
Kein Umbruch bei der Nationalelf zu erwarten

Bundestrainer Joachim Löw und auch Teammanager Oliver Bierhoff haben sich in ihrer WM-Analyse selbstkritisch geäußert. Beide haben sportliche Fehler und auch in der Einschätzung des Falls Mesut Özil eingeräumt. Einen großen Umbruch in der Nationalmannschaft wird es aber wohl nicht geben.

Marina Schweizer im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.08.2018
    Bundestrainer Joachim Löw bei der WM-Analyse und Kader-Bekanntgabe für die Länderspiele gegen Frankreich und Peru
    Bundestrainer Joachim Löw bei der WM-Analyse und Kader-Bekanntgabe für die Länderspiele gegen Frankreich und Peru (dpa/picture alliance/Sven Hoppe)
    Martin Zagatta: Genau zwei Monate ist es her als mit der 0-2-Niederlage gegen Südkorea besiegelt war: Deutschland, der amtierende Fußball-Weltmeister, scheitert in der Vorrunde der WM in Russland. Das Team enttäuscht eigene Erwartungen und auch die der Fußballwelt. Es folgte nicht nur Kritik am Sportlichen, der Sommer war geprägt von der Debatte um den Rückzug von Mesut Özil inklusive Kritik an der Führung im Deutschen Fußballbund. Immerhin, die sportlichen Lehren aus dem WM-Sommer, die wurden jetzt präsentiert. Joachim Löw und auch Teammanager Oliver Bierhoff äußerten sich zu ihrer WM-Analyse. Marina Schweizer aus der Sportredaktion – haben die beiden denn Fehler eingeräumt?
    Marina Schweizer: Ja es sind einige Fehler genannt worden - sehr breit hat vor allem der Bundestrainer das Sportliche, die Taktik und auch das fehlende Feuer in der Mannschaft angesprochen, das habe er nicht so richtig vermocht zu entfachen. In seiner Analyse kapriziert er sich darauf: Es gebe nicht den einen Grund, es gibt viele Gründe, er spricht viel über Spielweise. Er hat einen Zeitstrahl aufgemacht wie sich die Nationalmannschaft entwickelt hat. Man sei immer mehr eine Mannschaft geworden, die über den Ballbesitz kommt. Dominanz. Und eine seiner taktischen Schlussfolgerungen ist:
    "Mein allergrößter Fehler, dass ich geglaubt habe, mit diesem dominanten Spiel, mit diesem Ballbesitz, dass wir da zumindest durch die Vorrunde kommen. Wenn wir dieses Spiel so, wie wir es getan haben und wie wir es auch häufig sehr gut gemacht haben, dann müssen auch alle Rahmenbedingungen stimmen. Es müssen alle Dinge erfüllt sein, damit wir dieses hohe Risiko, das wir normalerweise auch in den Spielen gehen, damit wir das auch tolerieren können."
    Soweit die taktische Analyse und Oliver Bierhoff sagte noch etwas zur viel kritisierten Selbstgefälligkeit und Darstellung der Mannschaft: Man habe das für einen Selbstläufer angesehen: "Uns hat die richtige Einstellung gefehlt", sagte er. Man habe den Erfolg und die Unterstützung unserer Fans für selbstverständlich gehalten.
    Rassismusvorwurf zurückgewiesen
    Zagatta: Joachim Löw hat sich ja bisher gar nicht zum Rücktritt Özils geäußert. Hat er da heute Stellung bezogen?
    Schweizer: Ja, das war ganz interessant. Joachim Löw erzählte, dass an dem Tag, an dem die Erklärung und damit auch der Rücktritt Özils herauskam, ihn Özils Berater angerufen hätte und Löw äußerte seine Verwunderung über dieses Vorgehen:
    "Normalerweise war es in der Vergangenheit immer so: wenn Spieler zurücktreten, wenn Spieler ein Problem haben, dann gab es immer sehr, sehr gute Gespräche. Der Mesut hat sich für einen anderen Weg entschieden, mich bis heute nicht anzurufen, obwohl ich seit eineinhalb, zwei Wochen mehrfach versucht habe, ihn zu erreichen."
    Man habe die ganze Situation mit den Fotos unterschätzt, sagte Löw dann noch. Dieses Thema habe Kraft gekostet. Aber das solle kein Alibi sein – sei nicht der Grund fürs Abschneiden der Mannschaft gewesen. Sowohl Joachim Löw als auch Oliver Bierhoff haben Mesut Özils Vorwurf des Rassismus im Deutschen Fußball-Bund zurückgewiesen:
    "Eines ist klar: Ein Nationalspieler kann keine Zielscheibe für rassistische Beleidigungen sein, da müssen wir gegen angehen und ich weise natürlich wie Jogi, unser Präsident, aber auch schon viele Spieler natürlich den Rassismusvorwurf in der Nationalmannschaft und auch im DFB klar zurück."
    Viele hatten ja den Vorwurf auch in die Richtung verstanden, dass man sich da nicht genügend vor Mesut Özil gestellt habe und er sich somit allein gefühlt habe und seinen Rassismusvorwurf in diese Richtung interpretiert.
    Rechtfertigungsdruck war zu spüren
    Zagatta: Was heißt das jetzt alles personell? Gibt es den großen Umbruch?
    Schweizer: Als, wenn Sie mich nach der Bewertung fragen, würde ich sagen: Nein. Co-Trainer Thomas Schneider wird ins Scouting versetzt. Nicht der Kahlschlag – den werden jetzt sicher einige als Bauernopfer bezeichnen. Löw hat sein Motto ausgegeben: Wichtig sei es jetzt, einen richtigen Mix zwischen Erfahrung und jungen, dynamischen, hungrigen Spielern zu bekommen. Im Aufgebot für die Spiele gegen Weltmeister Frankreich und Peru fehlen Sami Khedira und Kevin Trapp. Neu dabei sind Kai Havertz von Bayer Leverkusen, Thilo Kehrer von Paris Saint Germain und Nico Schulz von 1899 Hoffenheim. Außerdem kehren Leroy Sané, Nils Petersen, Jonathan Tah und Matthias Ginter zurück ins Team. Was noch ganz interessant war, dass man gesagt hat: Man will den Expertenstab oder Betreuerstab verkleinern, um mehr aufs Wesentliche zu schauen.
    Zagatta: Was war Ihr Eindruck: War der Bundestrainer angeknackst?
    Schweizer: Nein, er hat sich sehr selbstbewusst gegeben. Es war trotzdem sehr interessant, mit wie vielen Zahlen er hantiert hat. Man hat schon gemerkt, es gibt einen gewissen Rechtfertigungsdruck, dem der DFB da auch nachgeben wollte.