Als Kilian Mbappé in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Frankreich ins WM-Finale führt, ist der Jubel in Hongkong groß. Am Tag zuvor hat die Regierung mehrere Covid-19-Regeln abgeschafft. Der Besuch in Bars und Restaurants ist wieder ohne größere Hürden möglich.
So freuen sich diverse Lokale trotz der Anstoßzeit um 3 Uhr morgens Ortszeit über guten und lauten Besuch. Und das Publikum ist global. Wie immer in Hongkong.
"Gerade bin ich wieder an einer Bar vorbei gelaufen. Und sie feuern wirklich alle an", sagt Chin Yung Lu, der für die Hongkonger Stadtverwaltung arbeitet: „Die Großmächte sind hier natürlich besonders beliebt gewesen, wie Brasilien, Frankreich oder auch Portugal wegen Cristiano Ronaldo. Aber wenn kleine Mannschaften gewinnen, feuern wir auch die an.“
Begeisterung für Japan und Marokko
So wurde der Regionalnachbar Japan zur Sensation, als dieser Deutschland und Spanien geschlagen hatte. Kurz darauf hatte Marokko viele Fans. Als England – Hongkongs einstige Kolonialmacht – noch im Turnier war, unterstützten viele Hongkongerinnen auch diese Truppe.
„Die Kolonialvergangenheit bindet uns weder in die eine noch in die andere Richtung. Es geht uns um die gute Zeit, die wir dann verbringen“, sagt Chin Yung Lu. In nationalen Rivalitäten zu denken habe der Handelsmetropole Hongkong noch nie geholfen. Es wäre dem sozialen Gefüge auch nicht besonders dienlich.
Die Bevölkerung von 7,5-Millionen Menschen besteht zum Großteil aus Hongkongern und Festlandchinesinnen. Hinzu kommen Arbeitsmigranten vor allem aus Süd- und Südostasien, Europa und Nordamerika.
Flexibles Fußballherz
Die höchst diverse Gesellschaft dieses Ortes an der chinesischen Südküste, der sich selbst gern „Asiens Weltstadt“ nennt, lebt ihren Internationalismus nicht nur im Handel, sondern auch im Sport: Wer bei der Fußball-WM in Katar Publikumsliebling ist, hängt schlicht davon ab, wer gerade spielt.
"Ich hab auch schon ein paar Mal die Seiten gewechselt", sagt Oscar Venhuis, der selbst so international ist wie Hongkong. Geboren ist der 51-jährige Unternehmer in Südkorea, aufgewachsen in den Niederlanden, studiert hat er in England. Seit ungefähr einem Vierteljahrhundert hat Venhuis immer wieder in Hongkong gelebt. Entsprechend flexibel ist sein Fußballherz:
"Ich bin eher so ein Mitläufer. Natürlich hab ich am Anfang Südkorea angefeuert. Aber aufgewachsen bin ich ja in den Niederlanden, deshalb bin ich auch für die Niederlande. Aber ich bin auch für England. Hätte Hongkong eine Mannschaft, wäre ich auch für die."
Menschenrechte lieber nicht besprechen
Seinen Wohlstand verdankt Hongkong vor allem dem Hafen und den lockeren Regeln für Handel. So lebt die Metropole nicht nur vom Internationalismus, sondern auch vom Dynamischen und einem stets wachen Blick für neue Möglichkeiten.
Entsprechend wenig wird diese WM auf politischer Ebene diskutiert. Die Menschenrechtslage im Austragungsland Katar ist hier kein Thema – nicht zuletzt wohl deshalb, weil dann auch eine Diskussion über die Situation in Festlandchina nötig wäre, unter dessen Einfluss Hongkong steht.
Bei der WM geht es nicht um Haltung oder Zugehörigkeit:"Ja, in Europa würden die Leute das nicht mögen, wenn du über Nacht einfach die Seiten wechselst! Aber in Hongkong sind die Leute sehr beweglich. Einige machen dann auch Wetten und wechseln auf der Basis."
Ähnlich sieht es Peter, ein Taxifahrer. Während er am Vormittag durch den Stau navigiert, sagt er: "Unser heimischer Fußball ist natürlich nicht gut. Es gibt hier nur Amateure. Aber die Leute verfolgen die WM sehr genau. Die kannst es in jeder normalen Bar ansehen."
Auch für Peter spielt nicht nur der Unterhaltungswert eine Rolle: "Die Hongkonger Regierung erlaubt mittlerweile Fußballwetten. Die Regierung organisiert das Geschäft und gibt die Einnahmen für Sozialprogramme aus. Hier wetten alle auf die Spiele."
Fußballwetten sind erlaubt - und beliebt
Allgemein ist das Glücksspiel in Hongkong verboten. Um sich in Casinos zu vergnügen, müssen die Menschen zur nahegelegenen Insel Macau fahren. Aber seit rund 20 Jahren gilt neben dem Pferderennen auch für Fußballwetten eine Ausnahme – was der Popularität des Sports einen Schub verpasst hat.
Peter platzierte einiges Geld nach dem Achtelfinale, als Portugal mit 6:1 gegen die Schweiz gewonnen hatte: "Ich hab auf Portugal getippt. Gegen die Schweiz waren sie so stark. Cristiano Ronaldo. Ein Typ, der besser ist als eine ganze Mannschaft. Auf den muss man drei Männer stellen, damit man gegen ihn verteidigen kann. Wer gewinnt, ist uns eigentlich egal. Aber die Wetten geben es dann vor."
Im Finale ist Peter für Argentinien. Die Truppe fand er zum Turnierbeginn zwar nicht herausragend. Aber Lionel Messi sei in Topform. Und das Geld ist schon gesetzt.