Es müsse schonungslos aufgeklärt werden, fordert der Aufsichtsrats-Vorsitzende von Werder Bremen und Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport, Willi Lemke im Deutschlandfunk. Er warte ab, was dabei raus käme, und dann müssten die entsprechenden Konsequenzen von dem Fußball-Weltverband (FIFA) gezogen werden.
Auch er sei überrascht gewesen, als die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar ging. Sollten die Korruptionsvorwürfe zutreffen, sei es Sache der FIFA die Vergabe rückgängig zu machen. Er sei neugierig auf die Reaktion und hoffe auf die Kraft der Selbstreinigung beim Weltverband.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Jetzt taucht auch Russland immer häufiger auf, ebenso wie Australien. Dabei stand Katar an diesem Wochenende im Fokus der Berichterstattung: erneut massive Bestechungsvorwürfe gegen den Wüstenstaat, um den Zuschlag für die Fußball-WM 2022 sicherzustellen, für sich zu entscheiden gegen die Mitbewerber beispielsweise aus den USA, Südkorea oder auch Japan oder eben Australien. Auch hier spekulieren die Medien nun, inwieweit Australien Geld investiert hat, um das heiß begehrte Tournier ausrichten zu können. Und was ist passiert mit Russland, das Gastland der Weltelite 2018? Und jetzt Brasilien, in acht Tagen geht das Ganze los. Proteste, soziale Verwerfungen, Sicherheitskräfte, die immer häufiger auf Gewalt setzen, um Demonstrationen unter Kontrolle zu bekommen. Über allem steht und schwebt die FIFA, der Weltfußballverband, der Sepp-Blatter-Verband plus Konsorten, wie zahlreiche Kritiker ihn manchmal nennen.
Illegale Absprachen, Schmiergelder und Vetternwirtschaft – die Anschuldigungen wiegen schwer gegen den internationalen Fußball. Darüber sprechen wollen wir nun mit Willi Lemke, UN-Sonderbeauftragter für den Sport, viele Jahre Manager von Werder Bremen, jetzt Aufsichtsratsvorsitzender des Bundesliga-Clubs. Guten Morgen.
Willi Lemke: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Lemke, ist das jetzt ein günstiger Zeitpunkt, den noch ausstehenden vierten Teil des Paten zu drehen?
Lemke: Wenn man diese ganzen Zusammenschnitte, die Sie in der Collage eben zusammengebracht haben, sich anhört, kann man ja richtig Lust haben, so was mal zusammenzufügen. Aber das sage ich jetzt eher ironisch oder sarkastisch, weil das tut unheimlich weh, weil natürlich die ganzen positiven Werte des Sports und natürlich auch des Fußballs weltweit und auch der Aktivitäten in verschiedenen sozialen Projekten der FIFA völlig in den Hintergrund geraten. Das tut mir als Sportler, auch als Sportfunktionär unheimlich weh.
Millionen Fußballfans freuen sich auf die WM
Müller: Weil die Spitze ganz anders ist als der Rest des Verbandes?
Lemke: Nein, weil die Fokussierung natürlich gerade vor solch einem Großereignis die schlechte Seite des Fußballs ganz deutlich macht, völlig zurecht, aber das tägliche Engagement von Übungsleitern, Trainern, Jugendlichen auf der ganzen Welt - und jetzt rede ich nicht über ein paar Tausend, sondern das sind millionenfache Dinge bei sieben Milliarden Menschen -, das geht völlig dabei unter. Das tut mir weh!
Müller: Gibt es eine Alternative dazu, als das jetzt möglichst rasch und einmal konsequent zu klären, was da oben vorgeht?
Lemke: Ich denke, wir müssen das einzeln abarbeiten. Sie haben ja in Ihrem Beitrag eben sehr, sehr viele Aspekte genannt. Zunächst einmal sage ich, die Weltmeisterschaft in Brasilien steht vor der Tür und ich habe manchmal das Gefühl, keiner freut sich darauf, weil es sind Unruhen zu erwarten. Ich bin selber auch nächste Woche am Mittwoch in Brasilien und begleite den Generalsekretär der Vereinten Nationen zum Eröffnungsspiel. Ein großer Teil der Brasilianer freut sich auf die Fußballweltmeisterschaft, Millionen Fußballfans in der Welt freuen sich darauf, aber es wird garantiert große Demonstrationen geben, es gibt Unruhen, es wird ein Riesen-Polizeiaufgebot geben. Das gefällt mir überhaupt nicht. Das hat ja mit dem Wesen des Sports, des fairen Vergleichs überhaupt nichts zu tun. Ich habe große Sorgen auch wegen der ganzen Umstände, die Sie geschildert haben. Brasilien ist ein wirtschaftlich aufstrebendes Land. Nur in der großen Mittelschicht des Landes kommt nichts an. Es gibt große Armut, die kann man in den Favelas sehen, und es gibt großen Reichtum, das kann man in den großen Villenvierteln Brasiliens auch sehen. Das sind nicht zu leugnende Fakten und jetzt hat man das große Problem und es ist völlig normal und richtig, dass es viele Menschen gibt, die davon betroffen sind, von der Benachteiligung, von der Nichtteilhabe am Aufschwung, die nutzen natürlich die Weltmeisterschaft, um zu demonstrieren, weil sie genau wissen, diese Meldungen gehen um die Welt.
Nur eine kleine Elite profitiert
Müller: Herr Lemke, ich sage jetzt ganz bewusst "uns". Warum fällt das uns jetzt erst auf?
Lemke: Uns Medien oder uns Bürgern, uns Funktionären?
Müller: Uns beiden zum Beispiel, dass wir das jetzt thematisieren. Das wussten wir vor ein paar Jahren, als es in Richtung Brasilien ging, ja auch und da haben die meisten aus meiner Erinnerung sich jedenfalls ja gefreut und haben gesagt, tolles Fußball-Land, super, da hinzugehen.
Lemke: Das ist genau exakt richtig, was Sie schildern. Es war meine Reaktion, als ich damals erfahren habe, Brasilien wird es, da habe ich mich unbändig gefreut: Wir gehen in ein fantastisches Land, wir gehen dahin, wo ich das Gefühl habe, das ist der beste Fußball auf der Welt mit riesiger Freude und nicht so durchgetaktet und nicht so taktisch eingestellt, sondern da wird mit Leidenschaft Fußball gespielt. So kenne ich das als Junge, als junger Mann und jetzt auch in älteren Jahren. Ich habe mich riesig gefreut. Aber dass der wirtschaftliche Aufschwung im Lande überhaupt nicht bei den Unterschichten und bei der Mittelschicht ankommt, sondern nur eine kleine Elite davon profitiert, habe ich zu dem Zeitpunkt nicht gewusst.
Müller: Aber wenn das unter anderem in Zukunft ein Kriterium sein sollte, werden soll, die sozialen Umstände, auch die soziale Verfasstheit eines Landes, dann bleiben ja nicht viele Länder übrig.
Lemke: Nein, da haben Sie völlig recht.
Müller: Ist das ein legitimes Kriterium dann?
Lemke: Das kann man nicht in einem Fünf-Minuten-Interview diskutieren, sondern man muss alles genau abwägen. Ich sage Ihnen mal das Gegenbeispiel: Als wir 2006 die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland durchgeführt haben, war das von A bis Z ein Riesenerfolg. Das hat nicht nur der deutschen Politik, sondern auch der deutschen Wirtschaft massiv geholfen, uns als freundliche, sympathische, heitere Gastgeber vorzustellen. Viele Millionen von Menschen haben dieses Bild von Deutschland vor der Fußball-WM nicht gekannt. Also ein sehr positiver Beitrag des Fußballs, von der FIFA organisiert, manchmal total überorganisiert, wie ich finde, zu weitgehend auch in den Forderungen mit den Steuerfreiheiten in verschiedenen Bereichen. Das geht mir viel zu weit, das müsste man deutlich zurückdrängen, und wenn das alle gemeinsam machen würden, jetzt die sportlich Verantwortlichen auch in der Politik, dann könnte man dem schon begegnen. Aber in der Tat, Sie haben völlig recht mit Ihrer Frage: Wo können denn überhaupt noch große Sportveranstaltungen stattfinden? Sie sehen es ja auch an der Haltung der Bevölkerung in München bei der Entscheidung Olympia oder nicht Olympia. Wenn ich mir vorstelle, dass es in Deutschland in Zukunft keine großen internationalen Sportveranstaltungen mehr gibt, finde ich, ist Deutschland ärmer.
Überrascht von der Entscheidung für Katar
Müller: Willi Lemke, wenn ich Ihnen jetzt so gespannt zuhöre, dann habe ich jetzt gerade vergessen, reden wir über IOC oder über FIFA. Wir sind ja bei der FIFA. Über den IOC haben wir ja auch schon ähnliche Gespräche geführt. Das ist offenbar ein bisschen systemimmanent. Ist es jetzt Zeit, das große mächtige Imperium FIFA kleiner zu machen?
Lemke: Erstens bin ich der Meinung, dass das ein Prozess sein muss, der von innen ausgeht. Das ist vielleicht schwierig, angesichts der Strukturen, aber ich denke, es ist an der Zeit – das zeigen ja auch die Belege. Wir waren alle furchtbar überrascht, dass Katar damals den Zuschlag bekommen hat, und konnten das alle überhaupt nicht verstehen. So groß die Freude bei Brasilien war und auch die Akzeptanz bei mir für Russland - das ist absolut ein Land, das auch mal die Fußballweltmeisterschaft austragen kann -, aber wir waren alle unglaublich überrascht und konnten uns nicht vorstellen, wie das passiert ist, dass Katar die Fußballweltmeisterschaft kriegt. Drei Kriterien: Jahreszeit - das war allen bekannt bei der Entscheidung -, Arbeitsmigranten, das große Problem der sogenannten Gastarbeiter, wir nennen das Arbeitsmigranten, die aus unglaublich schlechten Bedingungen kommen, aus Bangladesch, Nepal und anderen Staaten, verdienen das Doppelte, aber arbeiten unter menschenunwürdigen Umständen. Da waren wir alle total überrascht. Wenn sich herausstellen sollte, dass, was Michael Garcia aus den USA gerade versucht zu prüfen, dass es dort richtig zur Sache gegangen ist mit Korruption, ist es Sache der FIFA, diese Entscheidung rückgängig zu machen, und ich bin sehr neugierig auf den Bericht, der ja schon im Februar veröffentlicht werden sollte. Jetzt wird er etwa im August oder September erwartet und ich bin dann sehr neugierig auf die Reaktion der FIFA und ich hoffe auf die Kraft der Selbstreinigung innerhalb der FIFA, dass man dann den Mut hat, entsprechende Konsequenzen auch zu ziehen bei allen, die involviert waren.
Müller: Ist auch Sepp Blatter das Problem?
Lemke: Es fällt mir schwer, diese Frage zu stellen.
Müller: Sie müssen sie nur beantworten.
Lemke: Bitte?
Es muss von der FIFA selbst ausgehen
Müller: Sie müssen sie nur beantworten, die Frage nur beantworten. Sie können ja mal fünf Minuten kein Diplomat sein.
Lemke: Nein, das kann ich eben nicht. Ich bin Sonderberater des Generalsekretärs, da muss ich sehr genau überlegen, was ich hier in einem Interview sage bei der Beantwortung einer Frage. Ich sage es noch einmal, vielleicht etwas diplomatisch: Es muss von der FIFA selbst ausgehen. Da gibt es Kommissionen, die müssen die Kraft haben zur Veränderung. Die müssen alles auf den Tisch legen, was gelaufen ist, warum es gelaufen ist, und müssen dann die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Müller: Wäre das mutig, wäre das ein positives Signal, jetzt zu sagen, das ist nicht richtig gelaufen, wir ziehen das Ganze zurück und vergeben noch einmal?
Lemke: Das hat unglaubliche juristische Konsequenzen, was Sie gerade vorschlagen. Aber wenn es nicht anders geht und die Kommission kommt nach dem Bericht von Michael Garcia, immer als Konjunktiv gesprochen, zu den Ergebnissen, dass hier massiv mit Korruption die Entscheidung beeinflusst worden ist, dann muss man dieses durchspielen und dann möglicherweise auch damit leben können, dass es milliardenschwere Prozesse darum gibt. Weil denken Sie nur mal an die vielen Aufträge, die mittlerweile vergeben sind, das viele Geld, was ausgegeben worden ist in Katar für die entsprechenden Bauten. Da sind übrigens auch eine Menge deutsche Firmen davon betroffen. Wenn die alle jetzt die Verträge entzogen bekämen, ist das eine Riesen-Prozesslawine, die dann auf die FIFA zukommt. Das muss man genau abwägen, wie man sich in so einer Frage ganz konkret verhält, und natürlich auch, welche Menschen in Katar dafür verantwortlich waren. Es gibt ja nicht nur Leute, die schmieren, sondern es gibt ja auch Leute, die sich schmieren lassen. Das muss alles richtig, schonungslos aufgeklärt werden. Wir haben einen der besten Aufklärer der Welt dafür ausgewählt mit dem Amerikaner Garcia. Ich bin neugierig, wie die Ergebnisse sind, und will nicht zu schnell urteilen, denn wir tun ja so, als wenn das schon alles beschlossene Sache ist, sondern wir warten ab, was dabei herauskommt, und dann müssen die entsprechenden Konsequenzen von der FIFA gezogen werden.
Müller: Der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport, Willi Lemke, bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
Lemke: Danke sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.