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WM-Stadien in Uruguay
Erinnerungen an die große Fußball-Ära

Fußball machte Uruguay einst berühmt: In dem Land wurde die erste Fußballweltmeisterschaft überhaupt ausgetragen. Die Stadien von damals sind unberührt und atmen die Geschichte einer bedeutenden Ära - die lange vorbei ist.

Von Christoph Sterz |
    Der uruguayische Fußball-Nationalspieler Hector Castro (2. v. r.) erzielt das vierte Tor für seine Mannschaft während des Endspiels Uruguay-Argentinien (4:2) bei der Fußball-Weltmeisterschaft am 30.07.1930 in Montevideo. Argentiniens Torhüter Juan Botasso (l) springt vergeblich durch die Luft.
    Historischer Moment im Centenario: Uruguays Nationalspieler Hector Castro (2. v. r.) erzielt das vierte Tor für seine Mannschaft während des Endspiels Uruguay-Argentinien (4:2) bei der Fußball-WM am 30.07.1930 in Montevideo. (dpa/picture alliance/Empics)
    Wie fast jeden Morgen startet Franco Pérez seine Pilgertour für Fußballfans im Zentrum von Montevideo. Der 25-Jährige veranstaltet ganz spezielle Stadtführungen und nimmt es dafür sogar auf sich, dem Erzrivalen seines eigenen Lieblingsvereins regelmäßig einen Besuch abzustatten.
    "Wir fahren jetzt zum Museum vom Club Atlético Peñarol, einer der größten Vereine Uruguays und auch in ganz Südamerika ein wichtiger Club. Die haben fünf Mal den Copa Libertadores geholt, vergleichbar mit der Champions League in Europa; dazu kommen noch drei Weltpokale. Das ist für ein Land mit nur drei Millionen Einwohnern schon eine echte Leistung. Der Verein hat einen typisch uruguayischen Fußballstil: nicht schön, aber aus vollem Herzen."
    Als Franco aus seinem Auto aussteigt, vergisst er fast, ein in Uruguay quasi unverzichtbares Utensil mitzunehmen: seinen Mate-Becher samt metallenem Strohhalm. Zu Hause hat er das hölzerne Gefäß mit den getrockneten Mate-Kräutern gefüllt. Im Fußball-Museum lässt er sich jetzt erst mal heißes Wasser in seine Thermoskanne einfüllen. Von diesem Zeitpunkt an läuft er den ganzen Tag mit Thermoskanne unterm Arm durch die Gegend und mit Mate-Becher in der Hand. Das macht Franco auch so, wenn er sich im Stadion ein Fußballspiel anschaut. Mate gehört in Uruguay eben einfach dazu.
    "Selbst unsere Nationalmannschaft trinkt bis kurz vor dem Anpfiff noch Mate. Es ist offiziell erlaubt, ins Stadion Thermoskannen mitzubringen. Bierflaschen dürfen dagegen nicht rein, nicht mal Feuerzeuge. Aber Mate schon, weil es eben ein unverzichtbarer Teil unserer Kultur ist," sagt Franco, zieht an seinem Mate und läuft durch das Fußball-Museum, zu den vielen aufgereihten Pokalen; in verschiedensten Formen. Vom riesigen Pokal-Topf bis zur turmartigen Trophäe, alle eingesammelt vom Club Atlético Peñarol, die meisten schon vor Jahrzehnten.
    Dass die größten Erfolge des Vereins im Museum zu finden sind und eben nicht aktuell auf dem Spielfeld, steht symbolisch für den gesamten uruguayischen Fußball. Die besten Spieler verlassen schon früh das Land, um in Brasilien oder Europa Karriere zu machen. Jorge Caraballo, der Leiter des Museums, ist sich trotzdem sicher, dass das runde Leder für das Land immer noch sehr wichtig ist.
    "Wer in Uruguay aufwächst, bekommt sofort mit: Das Thema Fußball ist einfach immer und überall wichtig. Das fängt mit den Kindern an, die auf der Straße kicken und geht bis zu den Erwachsenen, die sich leidenschaftlich darüber streiten, welcher Verein denn nun der bessere ist. Jeder Uruguayer hat eine Meinung zum Fußball, selbst wenn er oder sie nicht selber spielt. Und wir haben immer noch sehr viele erfolgreiche Spieler, egal ob sie im Augenblick hier oder im Ausland spielen. All das zeigt, was für eine große Bedeutung dieser Sport immer noch für unser Land hat."
    Deutsche St.-Pauli-Fans auf Spurensuche
    Und dennoch: Die größten Erfolge des uruguayischen Fußballs liegen weit zurück. Die historischen Orte der großen Fußball-Ära des Landes sind aber immerhin heute noch zugänglich - halten die Erinnerung also am Leben. So ein Ort ist zum Beispiel das Estadio Gran Parque Central, das für den Fußball-Reiseführer Franco Pérez ein ganz besonders wichtiger Ort ist.
    "Die Fußball-Weltmeisterschaften haben hier ihren Anfang. Das allererste WM-Spiel überhaupt hat hier stattgefunden, am 13. Juli 1930. Eigentlich war für das Turnier extra ein neues Stadion gebaut worden, das Centenario. Das war zu dem Zeitpunkt aber noch nicht fertig. Deshalb musste improvisiert werden - und so hat das Eröffnungsspiel zwischen den USA und Belgien eben hier stattgefunden. Das Stadion ist für mich ein mystischer Ort. Es gibt Leute, die sagen, das hier ist neben berühmten Spielorten wie Wembley in England oder Maracaña in Brasilien das fußballhistorisch wichtigste Stadion der Welt. Und diese Geschichte ist immer noch lebendig, lässt sich immer noch besichtigen."
    So kommen aus der ganzen Welt Touristen extra nach Uruguay, um sich auf Fußball-Spurensuche zu begeben. Besonders viele Besucher kämen aus Brasilien, England, den USA und Deutschland, meint Franco Pérez. Bei den deutschen Fans hat Franco eine Sache bis heute nicht verstanden: Warum die, die hier anreisen, fast immer Fans vom FC St. Pauli sind. Vielleicht, weil die sich wirklich für den ursprünglichen Fußball interessierten und nicht nur für den Kommerz rundherum, mutmaßt Franco. Dafür hätten sie mit dem Parque Central in jedem Fall den passenden Ort. Besonders spektakulär ist das Stadion nämlich nicht - und gigantisch groß auch nicht. Im Prinzip ist alles so geblieben wie früher; und das ist das Besondere: Das Stadion atmet noch Geschichte - genau wie das eigentliche WM-Stadion Uruguays: das Centenario.
    "Das hier ist ein Tempel, ein kulturelles Zentrum"
    In nur sechs Monaten ist dieses weltberühmte Stadion erbaut worden; eine relativ flache Schüssel, auf einer der Geraden mit einem extrem schmalen, steil nach oben gehenden Beton-Turm, dem Torre de los Homenajes. Ein immens wichtiger Ort, meint Gerardo Cal, der Kurator des zum Stadion gehörenden Museo del fútbol:
    "Das Stadion ist nicht nur für uns etwas Besonderes, sondern für die ganze Welt. Es ist der einzige Ort, den die FIFA zum Weltfußballmonument ernannt hat; das gibt es nur hier! Deswegen darf hier auch nichts ohne Genehmigung verändert werden. Hier wurde das erste Finale der ersten Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen, am 30. Juli 1930. Uruguay gegen Argentinien. Wir haben gewonnen, im eigenen Land, und erst dadurch ist Uruguay weltweit bekannt geworden - durch den Fußball."
    Als Uruguay hier zum ersten Mal Weltmeister wurde, passten rund 80.000 Zuschauer in das Stadion. Inzwischen ist es aus Sicherheitsgründen nur noch für etwa 60.000 Fußballfans zugelassen, aber von seiner Aura hat es nichts eingebüßt. Selbst wenn das Stadion leer ist: Es hat auf die Besucher eine ganz besondere Wirkung; hier wurde Geschichte geschrieben; ein stimmungsvoller Ort, der auch den Tour-Organisator Franco Pérez immer wieder in seinen Bann zieht - auch wenn er hier schon unzählige Male zu Besuch war.
    "Das hier ist ein Tempel, ein kulturelles Zentrum; ein Ort, an dem unser kleines Land gezeigt hat, dass es unabhängig ist, auch von unserem Nachbarn Argentinien. Die neuen Stadien sind alle inhaltsleer, haben keine Geschichte. Ein berühmter Schriftsteller hat mal gesagt: Im Centenario ist es nie ruhig. Hier wurden so viele Spiele ausgetragen, so viele Schlachten geschlagen, dass man das spürt, dass man die Anfeuerungsrufe fast hören, dass man sich das richtig vorstellen kann. Wie gesagt: ein Tempel. Und wir hoffen, dass dieser Tempel für immer erhalten bleibt."