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Wo aber ist Faust geboren?

Goethes Faust soll ja einen Pakt mit dem Teufel gehabt haben, der ihn schließlich holte. Wo aber ist Faust geboren? Eine Erkundung in Knittlingen, wo der Alchemistenschrank steht, und bei den Waldenser-Nachfahren in Kleinvillars, wo der Ofen nie ausgeht.

Von Joachim Dresdner |
    Die Straße führt, nördlich von Pforzheim, am legendären Kloster Maulbronn vorbei, durch die Melanchtonstadt Bretten und durch Knittlingen. Ein Abschnitt der alten Strecke Mailand-Worms. Die berühmten Mailänder, die Sforza, ließen einen Postkurs anlegen. Im 15. Jahrhundert.

    Ging ganz gut! Ging durch Tirol, Innsbruck, vorbei an Memmingen und Ulm, durch Cannstatt und eben Knittlingen bis Worms. Da war der Reichstag - 1495. Postkurse samt Zeitvorgaben fielen später an den niederländischen Generalpostmeister Franz von Taxis. Die Zeitvorgaben, lange, lange vor dem E-Mail-Zeitalter des Internets, sahen so aus: Eilsendung von Brüssel nach Innsbruck - sommers in fünfeinhalb Tagen.

    Nach über 300 Jahren war Schluss mit der Thurn- und Taxischen Posthalterei in Knittlingen. Sie wurde verlegt.

    Die Poststation an der Stuttgarter Straße aber, die ist noch immer geöffnet! Sie heißt jetzt "Kanne-Post". In der Gaststätte gibt es - natürlich - Spätzle und Maultaschen, Knödel und Klöße. Das neue Rathaus mit der dunklen Faustskulptur davor lasse ich rechts liegen und gehe die kleine Straße hinauf zum Kirchplatz, zu dem Fachwerkhaus mit dem Faust-Museum.

    Die Chefin, sagt die junge Angestellte, sei im Archiv gleich hinter der Kirche. Ich mache kehrt, um die Leiterin des Faust-Archivs und des Museums abzuholen in der ehemaligen Lateinschule.

    Tor und Türe find' ich offen! Nun, da lässt sich endlich hoffen.

    "Das ist die alte Lateinschule, die wird im Zusammenhang mit Faust 1542 das erste Mal erwähnt. Da war Georg Faust schon zwei Jahre tot, aber, das ist ein wichtiger Beleg für die Existenz von Georg Faust, denn die Lateinschule hier in Knittlingen war zu klein und man kaufte ein neues Haus dazu, und da gibt's einen Kaufvertrag, und da steht drin: Dieses Haus befindet sich neben dem Haus "allwo Fausten born". Neben dem Haus wo Faust geboren wurde. 1542."

    Heike Hamberger ist eine temperamentvolle, schlanke, Frau mit blonder Kurzhaarfrisur und unauffälliger Brille.

    "Auf Grund dieses Kaufvertrages der Lateinschule war bekannt, dieses Haus muss das Geburtshaus von Georg Johann Faust sein. In der Faustforschung ist das noch nicht eindeutig geklärt, und da gibt es bis heute eine Diskussion, ist Knittlingen der Geburtsort, oder ist es vielleicht Helmstadt bei Heidelberg?"
    Wie anders tragen uns die Geistesfreuden, Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt .

    Auf neun Blättern steht was über den realen Faust: Er soll in Gelnhausen gewesen sein, dann steht er als Direktor der Kreuznacher Lateinschule zu Buche, danach Heidelberg, Erfurt, 1519/'20 Bamberg, acht Jahre später Ingolstadt, dann Nürnberg. Etwa 1538 stirbt Faust in Staufen im Breisgau:

    "Man muss die Zeit sehen, in der Georg Faust gelebt hat, es war die Zeit der Renaissance, eine Zeit des Umbruchs. Einerseits Fortschritt. War Georg Faust ein Wissenschaftler, der seiner Zeit voraus war? Es war aber andererseits auch die Zeit der Inquisition und der Hexenverfolgung und in der Zeit wussten die Menschen zum Beispiel nicht, was ist ein Alchemist."

    Heute wissen wir, das ist ein alter Zweig der Naturphilosophie. Daraus wurde später das heutige Wissenschaftsgebiet Chemie. Zu Faustens Zeiten konnte man an der Universität Krakau Magie studieren, gab es Weißmagier - die Guten, und Schwarzmagier - die Teuflischen. War Faust vielleicht ein Guter, frage ich vorsichtig die Historikerin. Heike Hamberger wägt Stationen seiner Lebensreise ab:

    "Er war auf einer Lateinschule. Wir hatten in Knittlingen eine alte Lateinschule, die er vielleicht besucht hat. Wir haben schriftliche Belege über die Familie Faust. Also es ist belegt, die Familie Faust war hier vor Ort, aber alles andere sind vage Quellen, bis auf eine einzige: Die Quelle, als er dem Bischof von Bamberg ein Horoskop erstellt, 1520, da ist ein Rechnungsbuch in Bamberg erhalten und da steht jetzt wirklich nur drin: Georg Faust erhält für die Erstellung eines Horoskops zehn Gulden. Georg Faust war Schulleiter in Bad Kreuznach. Diese Stelle hat er bekommen auf Grund der sehr guten Beziehungen zu Franz von Sickingen. Dann ist wieder auffällig: Er hat ein Horoskop erstellt für eine Expedition nach Venezuela, da war die Familie von Hutten beteiligt, also da hatte er schon 'ne Lobby und sehr, sehr seriöse Auftraggeber, und das widerspricht eigentlich diesem negativen Bild."

    Der Reichsritter Franz von Sickingen unterstützte die Anhänger der Reformation. Und Philipp von Hutten suchte zweimal als Hauptmann einer Expedition in Venezuela nach Gold.

    Faust war ein Zeitgenosse der Sickinger, der von Hutten, auch von Luther, Paracelsus und Melanchton, der Faust hart als "Scheißhaus aller Teufel" verdammte. Der Zwang zum Glauben und der Drang nach Wissen, war das der Konflikt jener Zeit?

    Mit Heike Hamberger umrunde ich auf dem Weg von der Lateinschule mit dem Faust-Archiv abermals den Chor der St. Leonhardskirche mit seinen hohen, rechteckigen Fenstern. Im Knittlinger Museum wollen wir dann einen besonderen Giftschrank öffnen:

    "Dieser Schrank wurde 1837 im Boden vergraben in Scheune gefunden. Zwischen Geburtshaus und Lateinschule, da war der im Boden vergraben. Circa vor einem Jahr hat die Besitzerin des Geburtshauses, Frau Hanne Hochwald, diesen Schrank dem Museum als Dauerleihgabe übergeben."

    Du lieber Schreck! Wir stehen gerade vor ihrem Haus. Durch das offene Fenster hat sie womöglich das gehört, was sie ja eigentlich hören sollte!

    "Sie ist gestern extra gekommen und hat mit Politur den ganzen Schrank noch einmal aufgemöbelt, das schau'n wir uns jetzt an. Hanne! Hanne möchst' Deinen Schrank erklären? Das machst du? Warum net, grad' hab' ich's gesagt, komm runter. Da legt sie sehr viel Wert drauf. Hanne komm' runter, das musst Du selber erklären."

    Die quirlige Seniorin ist in ihrem Element. Ein sternförmiger Giftschrank aus dunklem, gemaserten Holz, mit magischen Symbolen und luftdicht abgeschlossenen Innenfächern. Den hat die Frau Hochwald fein aufpoliert und dem Museum übergeben. Das ist im Alten Rathaus untergebracht. Treten wir näher!

    Mit Johanna Hochwald, die seit 1941 im Faust-Geburtshaus wohnt und mit der Museumsleiterin Heike Hamberger. Hanna Hochwald will ihr Schmuckstück selbst vorstellen, denn der Alchemistenschrank ist eine Dauerleihgabe ihrer Familie.

    "Jetzt geh'n wir zum Fauststern, also das ist das Original. Wo wir das Haus 1941 gekauft haben, war der Schrank buchstäblich schwarz. Da hab' ich mit Petroleum eingerieben und den ganzen Dreck runter gezogen und dann sind die Intarsien rausgekommen. Das ist ja das Apothekerzeichen: Salzzeichen, Elohim - die Gottheit, Feuer, Wasser, Luft und Erde, das wär' die Dreieinigkeit, und wie sagst was es ist ? Das Symbol ist bis heut' noch nicht geklärt."

    Die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

    Es liegt in ihr so viel verborgenes Gift, Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.
    Was mag der Faust, was mögen seine oder spätere Zeitgenossen mit so einem Schrank gemacht haben? Wozu war der da?

    "Ein Holzschrank mit einer ganz seltsamen Form, es ist ein Stern. Es ist kein Pentagramm, es sind nicht fünf Zacken, sondern sechs Zacken, ein Hexagramm. Das Hexagramm heißt auf Hebräisch: Mogen Davids und ist das wichtigste Symbol in der Alchemie und dieser Schrank hat jetzt ganz seltsame Symbole, Intarsieneinlegearbeiten: Oben in der Spitze das Zeichen für Quecksilber, dann unten in der Spitze ein Kreis mit einem Querbalken, wird heutzutage interpretiert als Salz, ist falsch! Das ist das Symbol Sal, S.A.L., das ist kein chemisches Element, sondern ein philosophisches Element, dann haben wir Dreieck nach oben, Dreieck nach unten, jeweils das Dreieck mit einem Querstrich, das sind die Symbole der vier Elemente Wasser, Luft, Feuer, Erde. In der Mitte eine dreidimensionale Pyramide. Dieses Zeichen ist bis heute nicht geklärt und darum stehen als Metallintarsien die Buchstaben "Elochim", Hebräisch: Jawe, Gott.

    Das ist ein Alchemistenschrank, und jetzt stellt sich natürlich die Frage, was ist
    Al-Chemie? Steckt ja im Wort schon drin! Chemie ! Es ist die Vorläuferwissenschaft der Chemie."

    Die Al-Chemie, eine besondere, mit der Philosophie verbundene Geheimwissenschaft!

    Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt!
    Wer der kirchlichen Lehre brav folgte, dem wurde - für einen gewissen Ablass - der Himmel versprochen. Wer als Wissenschaftler nach Erklärungen für den Lauf der Welt suchte, der sollte in der Hölle schmoren. War Faust ein Wissenschaftler? Und was machte ein Wissenschaftler damals, im frühen 16. Jahrhundert?

    "Der stellt kein Gold her, das war wieder Volksglaube, der Alchemist kann aber nicht einfach nur hinstehen und ein Experiment machen, er muss sich geistig und körperlich darauf vorbereiten, und das war so das Symbol zu Vorbereitung, und erst dann kann er erfolgreich bei Experimenten sein, und er sucht tatsächlich den 'Stein der Weisen' - der 'Stein der Weisen' ist jetzt nicht das wertvollste Metall, wie viele glauben, daraus resultierte, der kann Gold herstellen, das ist falsch, sondern der 'Stein der Weisen' ist eigentlich nicht anderes, als das was Goethes Faust sucht: das höchste Wissen, der höchste Erkenntnisgrad."

    Im Knittlinger Museum gibt es viel mehr: die Volksbücher über den Faust, Faust in Rom, in Konstantinopel, Faust verfilmt, als Puppenspiel, als Ballett. Alles sehenswert, doch:

    Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

    Die Rückfahrt führt durch hügelig-grünes Land. Nach vier Kilometern vorbei an Wäldern und Obstwiesen kommt Kleinvillars, eine Neugründung der Waldenser. Obwohl der Teilort zu Knittlingen gehört, hat er ein Rathaus.

    Das ist heute ein Wirtshaus. Die Wirtsleute tragen den französisch klingenden Namen Vincon. Ich gehe durch den Torbogen. Auf dem Hof buntes Treiben: An langen Holztischen, unterm Zelt und im Freien genießen die Gäste Speisen und Getränke, Kaffee und Kuchen. Vor den Wiesen ist ein Spielplatz.

    Dann greif‘ ich mal hinein, ins volle Menschenleben, Ein jeder lebt's nicht vielen ist's bekannt.
    Die Familie Vincon suchte um 1990, als die Landwirtschaft für sie nicht mehr ertragreich war, nach einem Zusatzverdienst. Sie dachte an ihren Weinbau und eröffnete zunächst eine Besenwirtschaft. Irgendwann stand das Alte Rathaus zum Verkauf, sie hat es übernommen, umgebaut, und nun ist die Besenwirtschaft hier, geführt von Werner Vincon, tatkräftig unterstützt von seiner Mutter Ilse. Wo kam die Waldenserfamilie Vincon her, damals, fast 100 Jahre nach Faust, dessen fantasievolle Geschichten zu der Zeit gerade in den deutschen Landen verbreitet wurden?

    "1699 sind ja die ganzen Waldenser hier bei uns in der Gegend angekommen, und hier in Kleinvillars ist ein kleiner Ort gebaut worden, das heißt, die die hier angekommen sind, sind ja immer aus dem gleichen Ort von Italien gekommen, haben unter dem gleichen Namen hier ihre Siedlung gebaut. Und zwar kamen wir aus Villar Perosa, und das Kleinvillars ist dann an der Grenze von Knittlingen, Ölbronn und Ruit - an der Grenze ist das aufgebaut worden. Waldensersiedlungen sind immer an der Markungsgrenze aufgebaut worden, man wollte die ja weit weg von sich haben, weil man ja nicht gewusst hat was kommt da!"

    Sie kamen aus einem der drei Waldensertäler in der italienischen Region Piemont, aus Villar Perosa, einer kleinen Gemeinde in der Provinz Turin.

    "Die Waldenser Orte, die erkennt man ja an den französischen Namen wie Kleinvillars, Großvillars, Peros und Pinars. Die ganzen Orte hier in der Gegend und die Bevölkerung in den einzelnen Orten hat sich also mit der Einheimischen schon bald vermischt. Bei uns war das so, dass die vierte Generation, die eingewandert ist, sich praktisch, also der Großvater des Mannes war der erste, wo sich mit einer Nicht-Waldenserin verheiratet hat.

    Mein Mann hat seinen Stammbaum bis zur Einwanderung zurück, also bis 1699 nach rückwärts haben wir einen Stammbaum. Aber inzwischen ist das so, dass von den Waldensern nur noch die französischen Namen existieren und ansonsten sind wir der evangelischen Kirche angegliedert. Was halt noch ist, in der Kirche, in der Waldenserkirche selber, gibt's eigentlich kein Kruzifix, also kein Kreuz. Soll's nicht geben, und es sollen immer die Fenster schlicht sein. "

    Die ersten Waldenser waren für zehn Jahre von Steuern befreit. Sie bekamen Bauholz und eine Pfarrstelle. Noch lange wurde in ihren Schule Französisch gesprochen. Über den allerersten Waldenser, über Petrus Waldus, berichtet Ilse Vincon:

    "Sein Freund ist umgefallen und war tot, dann hat er sich überlegt, das kann's ja nicht gewesen sein und ist unvorbereitet in den Himmel gekommen, und ich muss mein Leben ändern und hat dann sein Geld an Arme verteilt, hat seine Familie versorgt und ist dann als Wanderprediger losmarschiert, war aber noch in der katholischen Kirche natürlich und wollte vom Papst das Recht haben, dass er predigt. Der hat ihm das aber verweigert und dann sind die, die zu ihm gehalten haben, die sind also schwer verfolgt worden."

    Alte Quellen sagen, Waldenser zeichneten sich aus durch "reine Sitten, Fleiß und Betriebsamkeit". Zum Abschied greife ich zu einem dieser großen runden Holzofenbrote im Regal einer Kammer vor dem Rathaustorbogen:

    "Früher hat ja jeder Ort nur Backhäuser gehabt und keine Bäcker und bei uns im Ort, in Kleinvillars, der ist ja klein, da hat's nie einen Bäcker gegeben, also hat man das Backhaus, backen, die Tradition weiter gepflegt, bis heut' - ich sag' immer, bei uns in Kleinvillars, da ist nie der Kamin ausgegangen, gell?! Der hat immer gebrannt!"

    Heute ist dieses Holzofenbrot so begehrt ist, dass fünf private Backhäuser im Ort für Nachschub sorgen und das Gemeindebackhaus. Der Kamin zum Brotebacken ist also nie ausgegangen, die "faustdicke" Geschichte aber, die ist jetzt erstmal aus!
    Fauststern im Alchemistenschrank Knittlingen.
    Fauststern im Alchemistenschrank Knittlingen. (Joachim Dresdner)