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Wo der Sonnenkönig vor Neid erblasste

18.000 Arbeiter mussten sich für Nicolas Fouquet, den Finanzminister von Louis XIV., ins Zeug legen, um ein Schloss zu bauen, das so prächtig ausfiel, dass der Sonnenkönig vor Neid erblasste. Eine Familie bemüht sich heute darum, es in seinem ursprünglichen Zustand zu erhalten.

Von Bettina Kaps |
    Sonntagnachmittag im Schlosspark von Vaux-le-Vicomte. Elegante Herrschaften spazieren zwischen Broderiebeeten mit akkurat geschnörkeltem Buchsbaum und Wasserbecken, so, wie einst der Sonnenkönig Louis XIV., als seien auch sie Gäste des Schlossherrn Nicolas Fouquet. Die Damen tragen bauschige lange Kleider, die Herren kragenlose Röcke, Halstücher mit Spitzen, Kniebundhosen. Zwei junge Frauen fächeln sich Luft zu.

    "Wir leiden, wie die Frauen damals. Sie fielen ja oft in Ohnmacht, weil ihr Korsett zu eng geschnürt war. Auch wir tragen Korsett. Wir haben Stunden gebraucht, um uns fertigzumachen. Angefangen mit der Lockenfrisur, über den Kopfschmuck bis hin zu den Gewändern, Schmuck und Schminke. Aber es lohnt sich!"

    In ihren Kleidern mit den breiten Hüftpolstern sehen die beiden Mädchen nicht wie Gymnasialschülerinnen aus. Der Tag, an dem alle Besucher aufgefordert sind, kostümiert ins Schloss zu kommen, wird hier "Grand Siècle" genannt. Zwei Männer sind extra aus den Ardennen angereist. Sie stellen sich vor.

    Ritter Danceny und Vicomte de Valmont, so nennen sie sich, tragen brokatbesetzte Mäntel, weiß gelockte Perücken, Dreispitz. Beide sind dem bekannten Briefroman "Die gefährlichen Liebschaften" entsprungen.

    "Wir sind Stammgäste im Schloss Vaux-Le-Vicomte. Wir kommen jedes Jahr zu diesem Fest, um in der Vergangenheit zu leben. Das ist ein wahrer Genuss. Ich persönlich bin ein junger Ritter, der in Liebesdingen zunächst ganz unschuldig ist. Aber am Ende des Romans nicht mehr."

    Im wirklichen Leben heißt der Ritter Damien und arbeitet in einer Metallbaufirma. Er zeigt auf seine Schnallenschuhe: Die silbernen Spangen hat er selbst in seinem Betrieb angefertigt, auch der Blitzableiter auf dem Kuppelturm des Schlosses kommt aus seiner Fabrik, erzählt er. Aber eigentlich will Damien den Alltag des 21. Jahrhunderts heute vergessen.

    "Im 18. Jahrhundert finden wir die elegantesten Frauen, da fühlen wir uns wohl. So, wie wir jetzt gekleidet sind, haben wir Lust, ihnen den Hof zu machen."

    Das Schloss Vaux-le-Vicomte ist zwar ein Meisterwerk des 17. Jahrhunderts, aber das stört den Ritter nicht. Eine Dame in Grün fährt in einer Kutsche vorbei. Der junge Mann lächelt ihr zu, verneigt sich. Dann geht er zur Grotte am Ende des Parks, denn da, sagt er, ist er mit der Marquise de Mertheuil verabredet.

    Der Weg zur künstlichen Höhle führt am Spiegelweiher vorbei. Dort sitzt ein drahtiger Mann auf einem Mäuerchen. Alexandre de Vogüé betrachtet den Park mit den kostümierten Besuchern. Schloss und Garten sind sein Zuhause. Alexandre wurde vor 43 Jahren in Vaux-le-Vicomte geboren. Ausgerechnet er fühlt sich in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen wohler als in Barockmode. Für den Erben bedeutet das Anwesen eine große Verantwortung.

    "Ich habe meine Kindheit und Jugend hier verbracht. Mein Vater sprach fast täglich voller Bewunderung von Nicolas Fouquet und Alfred Sommier. Fouquet ließ das Schloss bauen. Sommier ermöglichte seine Renaissance. 1875 hat er es in verwahrlostem Zustand ersteigert und restauriert. Beide Männer waren Ästheten. Sie haben ihr Leben dafür eingesetzt, dieses Wahrzeichen zu erhalten."

    Der reiche Zuckerfabrikant Alfred Sommier war Alexandres Ururgroßvater. Grandiose Kulissen ist der Schlosserbe gewohnt: Bis vor Kurzem arbeite er im Mont-Blanc-Massiv, als Hochgebirgsführer. Aber vor zwei Jahren zog es ihn zurück in die Ebene 60 Kilometer östlich von Paris. Alexandre de Vogüé wollte seinen Vater Patrice ablösen. Der hat das Schloss vor 45 Jahren als Museum eingerichtet und für Besucher geöffnet. Dafür zog die Familie aus der Beletage in die Nebengebäude. Heute kümmert sich Alexandre gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder um die Verwaltung des Denkmals, das als das Schönste seiner Zeit gilt. Denn der Bauherr Nicolas Fouquet war überaus anspruchsvoll.

    "Fouquet war ein Visionär. Er wollte ein sehr modernes Schloss haben, das mit allen Stilregeln in Sachen Architektur, Landschaftsgestaltung und Dekoration brechen sollte. Er beauftragte drei geniale Künstler: den Architekten Le Vau, den Maler Lebrun und den Landschaftsgestalter Le Nôtre. Sie haben ein Anwesen geschaffen, das revolutionär war. In den nachfolgenden 150 Jahren war Vaux Le Vicomte Vorbild und Inspirationsquelle für viele Paläste in Europa, allen voran für das Schloss von Versailles."

    Nicolas Fouquet besaß die Mittel für seine Ambitionen: Als Finanzminister des jungen Königs Louis XIV. hatte er sich enorm bereichert. Für sein Bauprojekt kaufte er zuerst einmal Ländereien, gut gelegen zwischen den königlichen Schlössern von Vincennes und Fontainebleau. Zwei Dörfer, die es dort gab, ließ er einfach abreißen. Die Arbeiten an Schloss und Parkanlagen dauerten 20 Jahre. 18.000 Arbeiter mussten sich für Fouquet ins Zeug legen. Als alles fertig war, wollte der ehrgeizige und hochmütige Marquis seinen Schatz standesgemäß vorführen. Am 17. August 1661 ließ er ein großes Fest steigen – Ehrengast war der König.

    "Die Schriftstellerin Madame de Scudéry hat das Fest ausführlich beschrieben. Dadurch wissen wir, dass es ein heißer Tag war. Louis XIV. spazierte in der Mittelallee, die hier vor uns liegt. Wasserspeier sorgten für Feuchtigkeitsnebel, die den Hofstaat erfrischten. Etwa tausend Gäste waren geladen. Molière führte mit seiner Truppe ein neues Theaterstück auf. Zum Abschluss gab es ein Feuerwerk, das von der Kuppel des Schlosses abgeschossen wurde. Bis heute geht man davon aus, dass es das schönste Fest des 17. Jahrhunderts war und seine Epoche geprägt hat."

    Aber der Minister griff zu hoch. Voltaire fasste die Geschichte später knapp zusammen: "Um sechs Uhr abends war Fouquet der König von Frankreich, um zwei Uhr morgens war er nichts mehr", schrieb der Philosoph. Die Pracht seines Schlosses und die Art, wie er es zur Schau stellte, besiegelten seinen Ruin, sagt der heutige Schlossbesitzer, Alexandre de Vogüé.

    "Der König lebte damals nur auf Baustellen: der Louvre, das Schloss in Vincennes, nichts war fertig. Als er auf Einladung von Fouquet zu dem großen Fest nach Vaux-le-Vicomte kam, war er geblendet von so viel Größe, Schönheit und Gold. Er hat sich wohl gesagt: Es darf nicht sein, dass einer meiner Minister in einem solchen Palast wohnt, während ich von einer Baustelle zur nächsten ziehe und keine königliche Bleibe habe."

    Drei Wochen nach dem Fest schickte Ludwig XIV. seinen Musketier D´Artagnan aus und ließ Fouquet verhaften. Der Monarch hatte Angst, sein Minister könne zu mächtig werden. Viele berühmte Künstler unterschrieben Petitionen zugunsten ihres Mäzens. Aber es nützte nichts: Fouquet blieb bis zu seinem Tod im Gefängnis. Seinen Architekten aber, seine Künstler und seinen Gärtner holte der König zum Bau seines Schlosses nach Versailles.

    Vaux-le-Vicomte wurde versiegelt. Vorher beschlagnahmte die königliche Garde alles, was nicht niet- und nagelfest war: Möbel, Gemälde, Tapisserien, 120 Statuen aus dem Park, ja sogar die Karpfen aus den Fischweihern nahmen sie mit. Vieles davon schmückte anschließend Versailles aus. Als Fouquets Witwe das Schloss schließlich zurück erhielt, musste sie es verkaufen, um die Schulden ihres Mannes zu begleichen.

    Die Pracht des Schlosses erhalten, ohne Schulden zu machen – dieses Kunststück muss jetzt die Familie de Vogüé fertigbringen. Der Unterhalt verschlingt Unsummen, sagt Alexandre. Gerade erst wurde das große Kuppeldach erneuert und die Wasserbecken rinnen wie Abtropfsiebe. Um Geld aufzubringen, wird das Schloss vermietet. Zum Beispiel an Filmemacher. Sophia Coppola drehte hier "Marie Antoinette". Und der indische Milliardär Lakshmi Mittal feierte in Vaux-le-Vicomte die Hochzeit seiner Tochter. Dazu ließ er Elefanten und einen Hindu-Tempel in den Park bringen.

    Aber die Familie de Vogüé ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Sie verfolgt vor allem ein Ziel: die Besucher an einem Ort zu empfangen, der die Atmosphäre des 17. Jahrhunderts ausstrahlt.

    "Mein Vater hat immer gesagt: Sollte Nicolas Fouquet eines Tages auf Erden zurückkehren, dann soll er sein Schloss wieder erkennen und es genauso lieben wie zu Lebzeiten. Genau dieses Ziel verfolgen wir: Dieser außergewöhnliche Ort muss den Glanz und die Strahlkraft des 17. Jahrhunderts bewahren, denn für uns ist das hier die schönste Bleibe in ganz Frankreich."