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Wo die Hörsaalwände Ohren hatten

Studierende sind gefährlich frei: gerade aus der Familie entlassen, noch nicht als Produktivkraft in Arbeitsprozesse eingebunden. In der ehemaligen DDR hatte man das erkannt und gefürchtet - so sehr, dass man sich Stimmungsberichte aus den Unis verfassen ließ. Eine Studie über die Stasiberichte von der Uni Halle zeigt: Die hektische Spionage war teilweise unnötig. Viele waren freiwillig staatskonform.

24.02.2003
    Das Ziel des Ministeriums für Staatssicherheit waren keine "Rechenschaftsberichte und keine Hofberichtserstattung", betonte Dieter Knötzsch, Mitherausgeber der Studie, gegenüber Campus und Karriere. Im Auftrag der Landesbeauftragten für Stasiunterlagen in Sachsen-Anhalt hat er die Stimmungsberichte erforscht, die von Stasispitzeln an der Uni Halle 1959 bis 1989 regelmäßig verfasst wurden. Knötzsch kam zu einem vorsichtigeren Schluss: "Das Ministerium wollte eher die wichtigsten politischen Argumentationen der Studenten und des wissenschaftlichen Nachwuchses kennen lernen." Schnelle Informationen sollten her, damit die Regierung jederzeit richtig reagieren konnte.

    Die Berichterstattung war umfangreich - Dossiers mit bis zu 60 Maschinenseiten gingen an die Stasi - und bisweilen hektisch: Zu Zeiten des Prager Frühlings fragte Berlin mehrmals täglich telefonisch und telegrafisch nach der Stimmung in Halle. Die Meinung der Studenten war anscheinend gespalten, oft aber auch staatskonform: Viele betrachteten die Vorgänge im sozialistischen Bruderstaat als eine Aktion westlicher Politik und als eine Gefahr für die sozialistische Ordnung des gesamten Ostblocks.

    Politisch gefestigt waren Studenten an den DDR-Unis dabei keineswegs von Anfang an: Erst in den 60er Jahren hatten die Studenten dafür eine hinreichend lange Schulzeit hinter sich und wurden in den späten 70ern und den frühen 80ern zunehmend zum Studium ausgewählt.

    Ob allerdings die Berichterstattung ernsthafte Konsequenzen für kritische Studenten hatte, und ob überhaupt die Berichte wahrheitsgetreu waren, ist ein unlösbares methodisches Problem. "Wir können nur sagen, was in den Berichten stand!" erklärte Knötzsch abschließend.

    Link: Landesbeauftragte für Stasiunterlagen des Landes Sachsen-Anhalt