Als hätte jemand einen langen schmalen Sandhaufen im Meer aufgeschüttet, ziemlich nah an der Küste, so liegt die Kurische Nehrung in der Ostsee. Am russischen Zipfel mit dem Kaliningrader, früher Königsberger, Gebiet verbunden, diente sie zu preußischen Zeiten von ein paar Fischerdörfern abgesehen nur als Postweg. Einer, der die Postillione zur Verzweiflung trieb, sagt die litauische Historikerin Nijole Strakauskeite:
"Die Räder der Postkutsche waren halb im Wasser, halb im Sand, dazu pfiff den Boten ununterbrochen der Wind um die Ohren, dass sie davon halb verrückt wurden."
Derart schinden muss sich heute niemand mehr, nicht Mensch, nicht Tier. Letztere leben hier im Paradies, seitdem die Kurische Nehrung Naturschutzgebiet ist.
"Wissen sie, die Menschen haben hier wirklich nicht so viel zu sagen."
Sagt ausgerechnet die oberste Wächterin des Naturschutzgebietes und wer Bedauern in ihrer Stimme heraushört, liegt goldrichtig. Aushra Feser, studierte Geografin, steht auf einer Plattform inmitten eines Waldstücks, das trostloser kaum aussehen könnte: abgestorbene mit blaugrauer Masse überzogene Bäume, die kaum noch Äste haben. Das zerstörerische Werk derer, die hier besonders geschützt werden sollten. Die Kormorane.
"Die Kormorane nisten ganz hoch oben in den Bäumen, deswegen ist diese Stelle für sie absolut optimal. Das Haff ist total flach, nur drei bis vier Meter tief, und der Kormoran kann bis zu zehn Meter tief tauchen und deswegen kann er im Haff jede Ecke erreichen, jeden Fisch."
Das Haff, also das Gewässer zwischen der Halbinsel und der Küste, gehörte früher Fischreihern und Kormoranen gemeinsam, heute nur noch Letzteren.
"Diese Population hier gab es seit Ewigkeiten. Aber man zählte einige Hunderte Familien. Es waren zwei Drittel Kormorane und ein Drittel Fischreiher. Schöne hübsche elegante Vögel. Die Kormorane haben sich explosionsartig vermehrt. Die Population steht unter Naturschutz. Man darf sie nicht töten, die Kormorane haben die Fischreiher verdrängt. Man zählt hier mehr als 3000 Familien. Familien! In jeder Familie sind zwei Kinder, mindestens."
Jeder Kormoran vertilgt, bis er ausgewachsen ist, 80 Kilogramm Fisch, den er im Haff fängt, auf dem Weg zum Nest frisst und dann verdaut, auf einem Baum. Am liebsten auf starken, großen Urwaldkiefern.
"Und der Baum ist irgendwann tot, weil der Kot den Baum irgendwann vergiftet. Und dann steht er kahl, ohne Äste. Zuerst fallen die Äste runter und dann fällt der Baum. Und dann braucht der Kormoran ein neues Zuhause. Katastrophe, schrecklich! Diese schönen Kiefern."
Dass ausgerechnet die Chef-Naturschützerin Kormorane nicht besonders mag, froh ist, wenn sie im Herbst Richtung Iran fliegen, liegt vor allem an deren Überzahl. Kormorane und das was sie hinten und manchmal auch vorn ausscheiden, wohin sie schaut.
"Ich war hier mit einer Wandergruppe unterwegs, plötzlich gehe ich und plötzlich fällt mir etwas Schweres direkt vor die Füße. Ich wurde bespritzt und da war ein etwa 30 Zentimeter langer Zander. Und wenn er fliegt von 30 Meter Höhe, dann ist er wie ein Stein. Wenn man den auf den Kopf bekommt, dann wird einem schwindelig. Also bei uns gibt es Plätze, wo die Fische vom Himmel fallen."
Neben Kormoranen bevölkern 60 Elche die Kurische Nehrung. Eine Elchkuh war eine echte Berühmtheit.
"Es war eine Elchkuh in dem Dorf Smiltine, die wurde "Mejle", "Liebe" genannt. Die kam immer auf den Hof, die war wie ein Haustier." Ich habe viele gesehen, Das schönste war, wie ein Elch eine Düne hochgeklettert ist, ich habe gesehen, wie ein Elch hoch auf eine Düne kommt. Das war ein Bild!"
Jedes Jahr dürfen acht Elche geschossen werden. Als jemand auf die Idee kam, die Elche zu schonen, traten die Jäger in einen Generalstreik und zogen sich von der Kurischen Nehrung samt und sonders zurück. Die Folge war eine Wildschwein-Plage. Wildschweine pflügten den Fußballplatz der Schule um, jede größere Grünfläche, die seitdem alle Zäune haben. Nur die Historikerin Nijole Strakauskeite freute sich.
"Ich machte einen interessanten Fund bei mir am Haus. Nach einer Wildschwein-Invasion. Sie haben meinen ganzen Garten umgepflügt, aber dabei diese Blechmarke zutage gefördert. Eine Arbeitsmarke von der 16. Königlichen Bernstein-Werkstatt. Die trugen die Arbeiter an der Kleidung, wie einen Dienstausweis, das war üblich um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert."
Wildschweine, die Geschichte schreiben. Manches allerdings ist für immer verschüttet. Oben auf der 60 Meter hohen Düne, die aussieht wie eine Mondlandschaft, weist die oberste Naturschützerin Aushra Feser mal in die eine, dann in die andere Richtung. Zu sehen ist jeweils: Sand.
"Das sind die versunkenen Dörfer, die die Düne begraben hat. Die Düne kam immer näher. Solange kein Wind ist, bleibt alles ruhig, da ist es sogar schön, eine Düne neben dem Haus zu haben. Und dann kommt der Sturm, der Garten wird zugeweht. Den kann man freischaufeln und weiterleben. Dann kommt noch ein Sturm, dann kann der Fischer die Tür nicht aufmachen, dann nimmt er die Säge, sägt seine Tür auf, springt raus und guckt: Soll er sich nur freischaufeln oder soll er alles auseinanderbauen und woanders wiederaufbauen. Diese Dörfer waren klein. Dieses Nidden ist Nummer 3."
Wenn selbst der Chef-Umweltwächterin der Naturschutz mitunter zu viel wird, wie geht es dann erst den Fischern? Von den Touristen gar nicht erst zu reden. Die dürfen nur auf vorgeschriebenen Wegen gehen oder fahren, außerdem gilt ruhe als oberstes Gebot. Aushra Feser gibt zu, dass das Regime heute in mancher Hinsicht strenger ist als zu Sowjetzeiten.
"Ab 20 oder 21 Uhr durfte man nicht mehr Richtung Strand laufen. Am Strand wurden abends mit dem Traktor und Rechen solche Spuren gemacht und keiner durfte ins Wasser, wirklich ganz strenge Regeln."
Damals wollten die Menschen fliehen, raus aus der Sowjetunion, heute kommen sie freiwillig, ins EU-Land Litauen, denn so viel Wasser, Sand, Natur verspricht vor allem Eins: Ruhe, sogar die Vögel halten manchmal die Schnäbel.
"Die Räder der Postkutsche waren halb im Wasser, halb im Sand, dazu pfiff den Boten ununterbrochen der Wind um die Ohren, dass sie davon halb verrückt wurden."
Derart schinden muss sich heute niemand mehr, nicht Mensch, nicht Tier. Letztere leben hier im Paradies, seitdem die Kurische Nehrung Naturschutzgebiet ist.
"Wissen sie, die Menschen haben hier wirklich nicht so viel zu sagen."
Sagt ausgerechnet die oberste Wächterin des Naturschutzgebietes und wer Bedauern in ihrer Stimme heraushört, liegt goldrichtig. Aushra Feser, studierte Geografin, steht auf einer Plattform inmitten eines Waldstücks, das trostloser kaum aussehen könnte: abgestorbene mit blaugrauer Masse überzogene Bäume, die kaum noch Äste haben. Das zerstörerische Werk derer, die hier besonders geschützt werden sollten. Die Kormorane.
"Die Kormorane nisten ganz hoch oben in den Bäumen, deswegen ist diese Stelle für sie absolut optimal. Das Haff ist total flach, nur drei bis vier Meter tief, und der Kormoran kann bis zu zehn Meter tief tauchen und deswegen kann er im Haff jede Ecke erreichen, jeden Fisch."
Das Haff, also das Gewässer zwischen der Halbinsel und der Küste, gehörte früher Fischreihern und Kormoranen gemeinsam, heute nur noch Letzteren.
"Diese Population hier gab es seit Ewigkeiten. Aber man zählte einige Hunderte Familien. Es waren zwei Drittel Kormorane und ein Drittel Fischreiher. Schöne hübsche elegante Vögel. Die Kormorane haben sich explosionsartig vermehrt. Die Population steht unter Naturschutz. Man darf sie nicht töten, die Kormorane haben die Fischreiher verdrängt. Man zählt hier mehr als 3000 Familien. Familien! In jeder Familie sind zwei Kinder, mindestens."
Jeder Kormoran vertilgt, bis er ausgewachsen ist, 80 Kilogramm Fisch, den er im Haff fängt, auf dem Weg zum Nest frisst und dann verdaut, auf einem Baum. Am liebsten auf starken, großen Urwaldkiefern.
"Und der Baum ist irgendwann tot, weil der Kot den Baum irgendwann vergiftet. Und dann steht er kahl, ohne Äste. Zuerst fallen die Äste runter und dann fällt der Baum. Und dann braucht der Kormoran ein neues Zuhause. Katastrophe, schrecklich! Diese schönen Kiefern."
Dass ausgerechnet die Chef-Naturschützerin Kormorane nicht besonders mag, froh ist, wenn sie im Herbst Richtung Iran fliegen, liegt vor allem an deren Überzahl. Kormorane und das was sie hinten und manchmal auch vorn ausscheiden, wohin sie schaut.
"Ich war hier mit einer Wandergruppe unterwegs, plötzlich gehe ich und plötzlich fällt mir etwas Schweres direkt vor die Füße. Ich wurde bespritzt und da war ein etwa 30 Zentimeter langer Zander. Und wenn er fliegt von 30 Meter Höhe, dann ist er wie ein Stein. Wenn man den auf den Kopf bekommt, dann wird einem schwindelig. Also bei uns gibt es Plätze, wo die Fische vom Himmel fallen."
Neben Kormoranen bevölkern 60 Elche die Kurische Nehrung. Eine Elchkuh war eine echte Berühmtheit.
"Es war eine Elchkuh in dem Dorf Smiltine, die wurde "Mejle", "Liebe" genannt. Die kam immer auf den Hof, die war wie ein Haustier." Ich habe viele gesehen, Das schönste war, wie ein Elch eine Düne hochgeklettert ist, ich habe gesehen, wie ein Elch hoch auf eine Düne kommt. Das war ein Bild!"
Jedes Jahr dürfen acht Elche geschossen werden. Als jemand auf die Idee kam, die Elche zu schonen, traten die Jäger in einen Generalstreik und zogen sich von der Kurischen Nehrung samt und sonders zurück. Die Folge war eine Wildschwein-Plage. Wildschweine pflügten den Fußballplatz der Schule um, jede größere Grünfläche, die seitdem alle Zäune haben. Nur die Historikerin Nijole Strakauskeite freute sich.
"Ich machte einen interessanten Fund bei mir am Haus. Nach einer Wildschwein-Invasion. Sie haben meinen ganzen Garten umgepflügt, aber dabei diese Blechmarke zutage gefördert. Eine Arbeitsmarke von der 16. Königlichen Bernstein-Werkstatt. Die trugen die Arbeiter an der Kleidung, wie einen Dienstausweis, das war üblich um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert."
Wildschweine, die Geschichte schreiben. Manches allerdings ist für immer verschüttet. Oben auf der 60 Meter hohen Düne, die aussieht wie eine Mondlandschaft, weist die oberste Naturschützerin Aushra Feser mal in die eine, dann in die andere Richtung. Zu sehen ist jeweils: Sand.
"Das sind die versunkenen Dörfer, die die Düne begraben hat. Die Düne kam immer näher. Solange kein Wind ist, bleibt alles ruhig, da ist es sogar schön, eine Düne neben dem Haus zu haben. Und dann kommt der Sturm, der Garten wird zugeweht. Den kann man freischaufeln und weiterleben. Dann kommt noch ein Sturm, dann kann der Fischer die Tür nicht aufmachen, dann nimmt er die Säge, sägt seine Tür auf, springt raus und guckt: Soll er sich nur freischaufeln oder soll er alles auseinanderbauen und woanders wiederaufbauen. Diese Dörfer waren klein. Dieses Nidden ist Nummer 3."
Wenn selbst der Chef-Umweltwächterin der Naturschutz mitunter zu viel wird, wie geht es dann erst den Fischern? Von den Touristen gar nicht erst zu reden. Die dürfen nur auf vorgeschriebenen Wegen gehen oder fahren, außerdem gilt ruhe als oberstes Gebot. Aushra Feser gibt zu, dass das Regime heute in mancher Hinsicht strenger ist als zu Sowjetzeiten.
"Ab 20 oder 21 Uhr durfte man nicht mehr Richtung Strand laufen. Am Strand wurden abends mit dem Traktor und Rechen solche Spuren gemacht und keiner durfte ins Wasser, wirklich ganz strenge Regeln."
Damals wollten die Menschen fliehen, raus aus der Sowjetunion, heute kommen sie freiwillig, ins EU-Land Litauen, denn so viel Wasser, Sand, Natur verspricht vor allem Eins: Ruhe, sogar die Vögel halten manchmal die Schnäbel.