Jürgen Zurheide: Über das Schicksal der syrischen Flüchtlinge wollen wir reden mit Cornelia Füllkrug-Weitzel, der Direktorin von "Brot für die Welt" und der Diakonie Katastrophenhilfe. Zunächst einmal schönen guten Morgen!
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Zunächst einmal: Unterscheidet sich Syrien eigentlich von anderen Konfliktherden, die Sie weltweit kennen? Sie sind in Syrien gewesen, aber eben auch in vielen anderen Ländern, weil dieses Leid Sie immer wieder auch beruflich beschäftigt. Gibt es da Unterschiede?
Füllkrug-Weitzel: Im Moment ist sicherlich Syrien in einer ganz besonderen Lage weltweit, weil in Syrien eben große Teile des Landes unter Gewalthandlungen stehen, das heißt also, es ist für die Menschen in Syrien jetzt auch ganz wahnsinnig schwierig geworden, innerhalb des Landes noch Bleiben zu finden, wo sie einigermaßen sicher für eine Weile leben können. Viele Flüchtlige in Syrien, die Mehrheit der Flüchtlinge in Syrien lebt ja auch in Syrien selbst, also 4,25 Millionen Menschen derer, die ihr Haus verlassen mussten, driften in Syrien selber rum, und für die ist es immer schwieriger, überhaupt noch einen Ort zu finden. Das ist vielleicht ungewöhnlich, weil hier das ganze Land inzwischen in den Konflikt einbezogen ist.
Zurheide: Welche Rolle spielte eigentlich die religiöse Zugehörigkeit in dem Zusammenhang? Wir hören ja oft davon, dass auch die Christen dann ganz besonders unter Druck stehen? Oder gilt das eigentlich für alle wechselseitig irgendwo, weil alle nirgendwo mehr richtig sicher sind?
Füllkrug-Weitzel: Genau, Letzteres. Also die Christen waren sehr stark betroffen. Viele sind ja inzwischen in den Libanon ausgewandert. Aber generell gilt es bei diesen ständig wechselnden Fronten und auch bei der sehr unterschiedlichen Zusammensetzung, auch innerhalb der Opposition, dass immer irgendjemand sich meint, an irgendjemandem rächen zu müssen oder irgendjemandem zum besonderen Feind anerkannt zu haben ... Also die Grundtatsache der Toleranz, der religiösen Toleranz ist absolut nicht gegeben, und zwar von allen Seiten nicht.
Zurheide: Wenn wir jetzt mal fragen: Wenn Sie als Hilfsorganisation - für Ihre Organisation, aber auch für andere gilt das ja -, wenn Sie dann im Land was tun wollen, mit wem kann man überhaupt noch kooperieren? Kann man sich auf irgendetwas noch verlassen, geht das überhaupt noch?
Füllkrug-Weitzel: Ja, das ist genau das Problem, in Syrien ist es extrem schwierig, die Neutralität der humanitären Hilfe zu wahren, die wiederum ist eine der Grundvoraussetzungen und Grundprinzipien der humanitären Hilfe überhaupt. Nur wenn humanitäre Hilfe neutral bleiben kann, hat sie überhaupt eine Zulassung sozusagen durch die Regierung in der Regel. Es ist aber wahnsinnig schwierig hier, zu durchschauen, wer ist wer, und in welchem Gebiet operieren wir, und wer könnte uns instrumentalisieren oder wer versucht es, wer versucht, die Hilfe zu missbrauchen? Nichtsdestotrotz muss man es einfach tun, denn die Menschen können ja nichts dafür, und insofern, ja, war es in Syrien von Anfang an extrem schwierig.
Am Anfang war es vielleicht noch schwieriger: Solange ganz klar war, dieses Gebiet ist rein in der Hand der Opposition und dieses Gebiet ist rein in der Hand des Landes, wurde man dann entsprechend zugeordnet. Inzwischen sind die Fronten ja sehr wirr und täglich wechselnd. Da ist dann das größere Problem vor allen Dingen auch der Zugang, weil viele Straßen gesperrt sind, egal welche Seite, egal welche Kämpfertruppen, auch die Opposition ist ja in sich sehr zerspalten, alle blockieren die Straßen und versuchen, entweder was von den Hilfsgütern abzupressen, oder lassen einfach überhaupt niemanden durch. Also inzwischen ist das größte Problem nicht die politische Neutralität oder Nicht-Neutralität, sondern der Zugang überhaupt.
Zurheide: Das hört sich alles nicht sehr ermutigend an. Dann schauen wir in die Nachbarländer, die leiden ja dann unter dem anderen Flüchtlingsstrom, das heißt, diejenigen, die nicht im Land unterkommen, die fliehen außerhalb, nur, die Lage da ist ja auch schwierig. Wenn ich an Jordanien denke, ein Land, was ohnehin mit eigenen Flüchtlingen zu tun hat und das kaum beherrscht – wie dramatisch ist da die Lage?
Füllkrug-Weitzel: Die Lage in Jordanien und im Libanon ist sicherlich in besonderer Weise dramatisch. In Jordanien leben inzwischen über eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien. Es gab am Anfang den Versuch, die in Satari, in einem großen Camp an der Grenze aufzufangen. Dieses Camp war ursprünglich für 60.000 Flüchtlinge ausgelegt, da leben inzwischen 140.000. Es ist mithin die fünftgrößte Stadt Jordaniens geworden, was keine sehr gesunde Situation ist. Aber wie gesagt, es leben über 500.000 Menschen in Jordanien aus Syrien, 140.000 nur in Satari, das heißt, der Rest lebt in zum Teil kleineren, schnell errichteten Lagern, aber die wesentliche Mehrheit lebt in den Städten, in den Dörfern, ist untergekommen bei Verwandten, Bekannten.
Ich war am Anfang dieses Jahres in Jordanien selber, muss sagen, ich war unglaublich beeindruckt von der Gastfreundschaft der Bevölkerung, die wirklich auch das letzte Hemd noch geteilt haben mit den Flüchtlingen und sie in ihre eigenen Räume mit aufgenommen haben, aber natürlich alle immer in der Erwartung, na ja, das wird so vielleicht drei Monate gehen und dann ist es vorüber, aber statt, dass es vorüber ist, dauert es immer länger und es kommen immer mehr. Jordanien ist sehr an der Grenze seiner Belastungsfähigkeit, das betrifft die einzelnen Familien, sowohl die Flüchtlingsfamilien wie die gastgebenden Familien, das betrifft aber auch die gesamte Gesellschaft, die wirklich am absoluten Rand auch der sozialen Stabilität ist dadurch. Und wenn Sie in den Libanon blicken, Sie hatten ja den Bericht aus dem Libanon eben: Libanon ist ein Land so groß wie Hessen, und in diesem Land allein haben jetzt schon über 712.000 Menschen Zuflucht gefunden. Da können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, zumal im Libanon fast keine Lager möglich sind aufgrund der politischen Situation. Das heißt, die absolute Mehrheit dieser Menschen lebt auch wiederum in den Dörfern. Ja, das ist ein Wechsel der Bevölkerung gegenwärtig dann.
Zurheide: Wenn ich dann jetzt gerade mal die Parenthese aufmache und sage, in Deutschland sind 5000 libanesische Flüchtlinge, die aufgenommen werden sollen, da gibt es dann schon Diskussionen, ob wir das können - das mutet dann einigermaßen schwierig an. Ich will aber da gar nicht weiter drauf eingehen, nur mal die Frage stellen: Okay, ist es dann eine Lösung, die Menschen hierhin zu holen auf Dauer?
Füllkrug-Weitzel: Es muss vielfältige Lösungen geben, eine Lösung ist die bessere Versorgung in den gastgebenden Ländern, weil es ... Der UNHCR, der dafür zuständig ist, das Flüchtlingskommissariat der UN, hat selbst von den ursprünglichen Zusagen - und die waren relativ am Anfang des Krieges gemacht worden, als es noch gar nicht diese Dimensionen hatte -, noch nicht mal ein Drittel der zugesagten Gelder erhalten, hat also riesige Versorgungsschwierigkeiten, riesige Finanzschwierigkeiten. Das muss also ganz schnell klargestellt werden, dass die internationale Gemeinschaft da den UNHCR angemessen finanziell ausstattet. Und man muss natürlich trotzdem auch in den europäischen Ländern und wo immer es auf der Welt geht, Flüchtlinge aufnehmen, einfach aus dem Grund, um ihnen einen sicheren Unterschlupf zu gewähren, denn natürlich: Auch die Nachbarländer sind ja in einer permanenten Phase der Destabilisierung, und wann die Kriegshandlungen überspringen, Beispiel Libanon, weiß man nicht. Also 5000 ist gewisslich von Ferne keine angemessene Zahl, 5000 entspricht der Zahl, die täglich neu zu Flüchtlingen werden in Syrien.
Zurheide: Das war Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin "Brot für die Welt" und der Diakonie Katastrophenhilfe. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, danke schön!
Füllkrug-Weitzel: Vielen Dank, Herr Zurheide!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Zunächst einmal: Unterscheidet sich Syrien eigentlich von anderen Konfliktherden, die Sie weltweit kennen? Sie sind in Syrien gewesen, aber eben auch in vielen anderen Ländern, weil dieses Leid Sie immer wieder auch beruflich beschäftigt. Gibt es da Unterschiede?
Füllkrug-Weitzel: Im Moment ist sicherlich Syrien in einer ganz besonderen Lage weltweit, weil in Syrien eben große Teile des Landes unter Gewalthandlungen stehen, das heißt also, es ist für die Menschen in Syrien jetzt auch ganz wahnsinnig schwierig geworden, innerhalb des Landes noch Bleiben zu finden, wo sie einigermaßen sicher für eine Weile leben können. Viele Flüchtlige in Syrien, die Mehrheit der Flüchtlinge in Syrien lebt ja auch in Syrien selbst, also 4,25 Millionen Menschen derer, die ihr Haus verlassen mussten, driften in Syrien selber rum, und für die ist es immer schwieriger, überhaupt noch einen Ort zu finden. Das ist vielleicht ungewöhnlich, weil hier das ganze Land inzwischen in den Konflikt einbezogen ist.
Zurheide: Welche Rolle spielte eigentlich die religiöse Zugehörigkeit in dem Zusammenhang? Wir hören ja oft davon, dass auch die Christen dann ganz besonders unter Druck stehen? Oder gilt das eigentlich für alle wechselseitig irgendwo, weil alle nirgendwo mehr richtig sicher sind?
Füllkrug-Weitzel: Genau, Letzteres. Also die Christen waren sehr stark betroffen. Viele sind ja inzwischen in den Libanon ausgewandert. Aber generell gilt es bei diesen ständig wechselnden Fronten und auch bei der sehr unterschiedlichen Zusammensetzung, auch innerhalb der Opposition, dass immer irgendjemand sich meint, an irgendjemandem rächen zu müssen oder irgendjemandem zum besonderen Feind anerkannt zu haben ... Also die Grundtatsache der Toleranz, der religiösen Toleranz ist absolut nicht gegeben, und zwar von allen Seiten nicht.
Zurheide: Wenn wir jetzt mal fragen: Wenn Sie als Hilfsorganisation - für Ihre Organisation, aber auch für andere gilt das ja -, wenn Sie dann im Land was tun wollen, mit wem kann man überhaupt noch kooperieren? Kann man sich auf irgendetwas noch verlassen, geht das überhaupt noch?
Füllkrug-Weitzel: Ja, das ist genau das Problem, in Syrien ist es extrem schwierig, die Neutralität der humanitären Hilfe zu wahren, die wiederum ist eine der Grundvoraussetzungen und Grundprinzipien der humanitären Hilfe überhaupt. Nur wenn humanitäre Hilfe neutral bleiben kann, hat sie überhaupt eine Zulassung sozusagen durch die Regierung in der Regel. Es ist aber wahnsinnig schwierig hier, zu durchschauen, wer ist wer, und in welchem Gebiet operieren wir, und wer könnte uns instrumentalisieren oder wer versucht es, wer versucht, die Hilfe zu missbrauchen? Nichtsdestotrotz muss man es einfach tun, denn die Menschen können ja nichts dafür, und insofern, ja, war es in Syrien von Anfang an extrem schwierig.
Am Anfang war es vielleicht noch schwieriger: Solange ganz klar war, dieses Gebiet ist rein in der Hand der Opposition und dieses Gebiet ist rein in der Hand des Landes, wurde man dann entsprechend zugeordnet. Inzwischen sind die Fronten ja sehr wirr und täglich wechselnd. Da ist dann das größere Problem vor allen Dingen auch der Zugang, weil viele Straßen gesperrt sind, egal welche Seite, egal welche Kämpfertruppen, auch die Opposition ist ja in sich sehr zerspalten, alle blockieren die Straßen und versuchen, entweder was von den Hilfsgütern abzupressen, oder lassen einfach überhaupt niemanden durch. Also inzwischen ist das größte Problem nicht die politische Neutralität oder Nicht-Neutralität, sondern der Zugang überhaupt.
Zurheide: Das hört sich alles nicht sehr ermutigend an. Dann schauen wir in die Nachbarländer, die leiden ja dann unter dem anderen Flüchtlingsstrom, das heißt, diejenigen, die nicht im Land unterkommen, die fliehen außerhalb, nur, die Lage da ist ja auch schwierig. Wenn ich an Jordanien denke, ein Land, was ohnehin mit eigenen Flüchtlingen zu tun hat und das kaum beherrscht – wie dramatisch ist da die Lage?
Füllkrug-Weitzel: Die Lage in Jordanien und im Libanon ist sicherlich in besonderer Weise dramatisch. In Jordanien leben inzwischen über eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien. Es gab am Anfang den Versuch, die in Satari, in einem großen Camp an der Grenze aufzufangen. Dieses Camp war ursprünglich für 60.000 Flüchtlinge ausgelegt, da leben inzwischen 140.000. Es ist mithin die fünftgrößte Stadt Jordaniens geworden, was keine sehr gesunde Situation ist. Aber wie gesagt, es leben über 500.000 Menschen in Jordanien aus Syrien, 140.000 nur in Satari, das heißt, der Rest lebt in zum Teil kleineren, schnell errichteten Lagern, aber die wesentliche Mehrheit lebt in den Städten, in den Dörfern, ist untergekommen bei Verwandten, Bekannten.
Ich war am Anfang dieses Jahres in Jordanien selber, muss sagen, ich war unglaublich beeindruckt von der Gastfreundschaft der Bevölkerung, die wirklich auch das letzte Hemd noch geteilt haben mit den Flüchtlingen und sie in ihre eigenen Räume mit aufgenommen haben, aber natürlich alle immer in der Erwartung, na ja, das wird so vielleicht drei Monate gehen und dann ist es vorüber, aber statt, dass es vorüber ist, dauert es immer länger und es kommen immer mehr. Jordanien ist sehr an der Grenze seiner Belastungsfähigkeit, das betrifft die einzelnen Familien, sowohl die Flüchtlingsfamilien wie die gastgebenden Familien, das betrifft aber auch die gesamte Gesellschaft, die wirklich am absoluten Rand auch der sozialen Stabilität ist dadurch. Und wenn Sie in den Libanon blicken, Sie hatten ja den Bericht aus dem Libanon eben: Libanon ist ein Land so groß wie Hessen, und in diesem Land allein haben jetzt schon über 712.000 Menschen Zuflucht gefunden. Da können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, zumal im Libanon fast keine Lager möglich sind aufgrund der politischen Situation. Das heißt, die absolute Mehrheit dieser Menschen lebt auch wiederum in den Dörfern. Ja, das ist ein Wechsel der Bevölkerung gegenwärtig dann.
Zurheide: Wenn ich dann jetzt gerade mal die Parenthese aufmache und sage, in Deutschland sind 5000 libanesische Flüchtlinge, die aufgenommen werden sollen, da gibt es dann schon Diskussionen, ob wir das können - das mutet dann einigermaßen schwierig an. Ich will aber da gar nicht weiter drauf eingehen, nur mal die Frage stellen: Okay, ist es dann eine Lösung, die Menschen hierhin zu holen auf Dauer?
Füllkrug-Weitzel: Es muss vielfältige Lösungen geben, eine Lösung ist die bessere Versorgung in den gastgebenden Ländern, weil es ... Der UNHCR, der dafür zuständig ist, das Flüchtlingskommissariat der UN, hat selbst von den ursprünglichen Zusagen - und die waren relativ am Anfang des Krieges gemacht worden, als es noch gar nicht diese Dimensionen hatte -, noch nicht mal ein Drittel der zugesagten Gelder erhalten, hat also riesige Versorgungsschwierigkeiten, riesige Finanzschwierigkeiten. Das muss also ganz schnell klargestellt werden, dass die internationale Gemeinschaft da den UNHCR angemessen finanziell ausstattet. Und man muss natürlich trotzdem auch in den europäischen Ländern und wo immer es auf der Welt geht, Flüchtlinge aufnehmen, einfach aus dem Grund, um ihnen einen sicheren Unterschlupf zu gewähren, denn natürlich: Auch die Nachbarländer sind ja in einer permanenten Phase der Destabilisierung, und wann die Kriegshandlungen überspringen, Beispiel Libanon, weiß man nicht. Also 5000 ist gewisslich von Ferne keine angemessene Zahl, 5000 entspricht der Zahl, die täglich neu zu Flüchtlingen werden in Syrien.
Zurheide: Das war Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin "Brot für die Welt" und der Diakonie Katastrophenhilfe. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, danke schön!
Füllkrug-Weitzel: Vielen Dank, Herr Zurheide!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.