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Wo Politiker und Wissenschaftler an einem Tisch sitzen

Offiziell spricht er nur Empfehlungen aus, doch sein Wort hat hohes Gewicht. Gegründet wurde der Wissenschaftsrat am 5. September 1957 von Bund und Ländern. Damit ist er das älteste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Europa. Das Jubiläum beginnt der Wissenschaftsrat heute in Berlin mit hochkarätigen Gästen: Bundespräsident Horst Köhler und Bildungsministerin Annette Schavan werden eine Festrede halten.

Von Antje Allroggen |
    "Ich betrachte es als Vorrecht des Bundespräsidenten in einem Gremium, das letztlich an die nationale Schicksalsfrage rührt, mitzuwirken. (...) Der Wissenschaftsrat wird kein Diskutierkränzchen sein, in dem das Zerbrochensein der Wissenschaften ( ... ) beklagt werden mag. Seine Aufgabe ist nicht solcher Art. Er soll die Argumente des anderen aufnehmen und zu werten lernen."

    Das sagte der damalige Bundespräsident Theodor Heuss im Deutschen Bundestag anlässlich der ersten Sitzung des Wissenschaftsrats am 6. Februar 1958. 12 Jahre nach Kriegsende unternahm die Bundesrepublik den Versuch, ihr Hochschul- und Wissenschaftssystem neu zu ordnen. Nie wieder sollte es möglich sein, dass der Staat die Freiheit von Lehre und Forschung bedrohen könne. Eine föderale Struktur erklärte die Wissenschaft zur Ländersache. Der Wissenschaftsrat sollte dabei die Interessen der Länder bündeln. Bereits drei Jahre nach seiner Gründung setzte er sich dafür ein, das einst elitäre Hochschulsystem zügig auszubauen und die Studierendenzahlen zu erhöhen. Wedig von Heyden, Generalsekretär des Gremiums:

    "Mit seiner ersten Empfehlung hat er einen enormen Einfluss gehabt, eine enorme Bedeutung erlangt, auf einen Schlag."
    "Schon damals stand das Grundproblem an wie halt ich es mit meiner Vorstellung, wie eine Hochschule aussehen soll auf der einen Seite, und wie kann ich gleichzeitig immer mehr Studenten eine vernünftige Ausbildung bieten."

    In den 70er Jahren realisierte sich die Vorstellung einer für alle Bildungsschichten offenen Hochschule: Vor allem in Nordrhein-Westfalen entstanden viele neue Universitäten. Die Hochschulen wurden zu anonymen Massenunis. Dem Wissenschaftsrat fehlte es an patenten Vorschlägen, einen Weg aus dieser Misere zu finden. Erst im Zuge der Wiedervereinigung erlebte das Gremium eine neue Hoch-Zeit:

    "Das war eine Glanzleistung des Wissenschaftsrats, in kurzer Zeit das Wissenschaftssystem eines ganzes Landes, eines ehemaligen Staates zu evaluieren. Natürlich sind dort auch Fehler gemacht worden, das ist unvermeidlich, was nicht bedeutet, dass es nicht im Prinzip und grundsätzlich ein großer Erfolg gewesen ist."

    Vom Hochschultypus der DDR blieb bei der Zusammenführung beider Systeme nichts übrig. Deshalb warnte der Wissenschaftsrat bereits 1990 davor, die ostdeutschen Hochschulen nicht zu vernachlässigen. Der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Dieter Simon, hätte den größeren Praxisbezug an den Hochschulen der DDR gerne nach der Wende auf das gesamtdeutsche Hochschulsystem übertragen, ebenso das bessere Betreuungsverhältnis zwischen Studenten und Lehrpersonal. Damals habe es jedoch keine Akzeptanz für seine Vorschläge gegeben, erklärte Dieter Simon in einem Interview aus dem Jahr 1992:

    "Diese beiden Dinge, die einfach mustergültig waren, die hätte man sich ja vorgestellt, dass man sie übernehmen könne und solle. Das ist aber nicht geschehen. Vielleicht gibt es das eine oder andere, was nach einer bestimmten Inkubationszeit dann doch noch aufwacht, weil es einmal als erfolgreich gewesenes Modell im Bewusstsein geblieben ist."

    Danach folgte für den Wissenschaftsrat ein erneuter Abschwung: Mit der Föderalismusreform verlor er viele seiner früheren zentralen Aufgaben: Hatte er früher den Ländern etwa beim Hochschulbau beratend zur Seite gestanden, ist der Bund nun dafür zuständig. Neue Aufgabenbereiche wie die Mitgestaltung der Exzellenzinitiative holten den Wissenschaftsrat aus seinem Tief.

    "Das hat sicherlich nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit hervorgerufen, sondern auch den Wissenschaftsrat besonders beansprucht."

    Nach wie vor ist der Wissenschaftsrat das einzige Gremium, in dem Politiker und Wissenschaftler an einem Tisch sitzen. Nicht immer ist es dabei einfach, sich nicht von politischen oder wissenschaftlichen Interessen leiten zu lassen. Dass das Gremium kein verlängerter Arm der Entscheidungsträger ist, zeigen seine Empfehlungen, die mitunter unbequeme Wahrheiten aussprechen. Etwa die, dass Frauen in der Wissenschaft immer noch unterrepräsentiert sind. Für die kommenden 50 Jahre bleiben für den Wissenschaftsrat also noch genügend Handlungsfelder bestehen.