Eigentlich hätten am Donnerstag im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland die Sirenen heulen sollen. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, hielt das aber für keine gute Idee und sagte den geplanten Warntag kurzfristig ab. Damit wolle er eine Verunsicherung der Bevölkerung vermeiden, teilte der CDU-Politiker den Kommunen mit. Angesichts des Kriegs in der Ukraine könnten die schrillen Sirenen möglicherweise unbegründet Ängste auslösen.
In der von Bundeskanzler Scholz festgestellten Zeitenwende ist der Zivilschutz momentan wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Dass Warnungen zuletzt reichlich spät (oder gar nicht) den Weg zu den Bürgerinnen und Bürgern gefunden haben, sorgt spätestens seit der Flutkatastrophe des vergangenen Sommers bei vielen für ein mulmiges Gefühl. Damals hatte offenbar das System KATWARN versagt. Auch in der Warn-App NINA war es mitunter zu Serverproblemen gekommen. Wie gut ist der Zivilschutz in Deutschland also aufgestellt?
Investitionen dringend erforderlich
Zuständig für den Zivilschutz ist das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Dessen Budget reicht nach Ansicht verschiedener Politikerinnen und Politiker aber in der veränderten Situation nicht mehr aus. "Die sicherheitspolitische Debatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine muss auch den Zivilschutz der Bevölkerung umfassen", sagt etwa die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, der Zeitung "Welt" und sprach sich in diesem Zusammenhang für deutlich mehr Ressourcen und Personal für das BBK aus. Ähnlich äußerte sich auch der FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin.
Nur: Wo soll das Geld herkommen? Um die Investition in den Zivilschutz zu stemmen, könnte ein Teil des Sondervermögens für die Bundeswehr in den Zivilschutz fließen. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Leon Eckert, der auch Mitglied des Innenausschusses ist, will sich dafür einsetzen. Ein bis zwei Milliarden Euro der insgesamt 100 Milliarden Euro würden dafür aus seiner Sicht ausreichen.
Konkrete Vorschläge für die Verwendungen eines möglichen Zusatzetats gibt es auch schon. Eckert sieht etwa die Anschaffung modernerer Sirenen im Fokus. Der Innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, schlägt eine Verknüpfung der NINA-Warnapp mit der Corona-Warnapp vor, um noch mehr Menschen zu erreichen.
Ein nahe liegender Gedanke, schließlich übertreffen die über 30 Millionen Downloads der Corona-Warnapp die Abrufzahlen der NINA-App bei weitem. Für Armin Schuster, den Präsidenten des BBK, ist die Corona-Warnapp daher auch "für einen Bevölkerungsschützer ein unschätzbares Warnmittel für jedwede Krise".
Deutschlandweit faktisch keine nutzbaren Schutzräume
Neben heulenden und Push-Mitteilung-sendenden Warnsystemen waren aber stets auch Schutzräume zentraler Bestandteil des Zivilschutzes. In Deutschland gibt es nach Auskunft des Innenministeriums momentan nur noch rund 620 dieser öffentlich zugänglichen Anlagen - und faktisch keine davon ist in nach Angaben der verantwortlichen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben aktuell in einem nutzbaren Zustand.
Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz warnt trotzdem vor Aktionismus: "Ich glaube, dass die Unterbringungsmöglichkeiten nicht die Priorität Eins haben. Wir sollten nicht denken, wir müssen hier überall Schutzräume bauen." Wichtiger sei es, Risiken zu erkennen und davor warnen zu können, außerdem ein Vorrat an Medikamenten und sichere Strom- und Wasserversorgung. Lindholz sagt aber auch: "Trotzdem ist das ein Thema, wir sehen das ja jetzt in der Ukraine, dass Menschen sich fragen: Wohin kann ich mich im Notfall flüchten? Deswegen müssen wir das Schutzraum-Programm auf jeden Fall anschauen und überprüfen, was noch an Schutzräumen geeignet ist."
Die Erkenntnis, sich im Frühjahr 2022 wieder mit Themen beschäftigen zu müssen, die man als vergangen geglaubt hatte, zeigt sich am Beispiel der Schutzräume auch in der trockenen Einschätzung der CSU-Politikerin Lindholz: "Wir haben halt einfach geglaubt, wir brauchen das nicht mehr."