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Woche der Analphabeten in Frankreich
Gemeinsam für mehr Lese- und Schreibkompetenz

2,5 Millionen Franzosen können nicht richtig lesen und schreiben. Sie gelten als funktionale Analphabeten. Anders als in Deutschland ziehen Staat und Zivilgesellschaft in Frankreich jedoch an einem Strang und veranstalten bereits zum fünften Mal eine Aktionswoche für mehr Lese- und Schreibkompetenz.

Von Suzanne Krause |
    Das Wort "Alphabet", zusammengesetzt aus Buchstaben-Nudeln
    Schätzungen sind auch in Deutschland rund 7,5 Millionen Menschen nicht in der Lage, längere Texte zu lesen und inhaltlich zu verstehen (picture alliance / Universität Jena)
    Eine sehr schicke Mittfünfzigerin erzählt davon, wie sie am Arbeitsplatz lange ihre Schwächen kaschierte. Wurde sie gebeten, ein Schriftstück zu lesen oder selbst etwas zu schreiben, entschuldigte sie sich regelmäßig, sie habe gerade die Brille verlegt oder keinen Stift zur Hand. De facto hatte sie Lesen und Schreiben verlernt. Dank einer betrieblichen Bildungsmaßnahme hat sich die Französin die Kompetenzen wieder angeeignet. Das ebnete ihr den Weg zum beruflichen Aufstieg, gab ihr neues Selbstvertrauen.
    Das Video läuft zum Auftakt eines Kolloquiums in der Aktionswoche gegen funktionalen Analphabetismus in Frankreich. Viele mit ähnlichem Schicksal kommen darin zur Wort, Frauen und Männer, jung und alt. Sie holen mit ihren offenen Berichten das Thema aus der Tabuzone. Denn es ist ein Thema, das viele betrifft: Rund 2,5 Millionen Erwachsene in Frankreich sind des Lesens und Schreibens kaum mächtig.
    Gemeinsam gegen den Analphabetismus
    "Dem typischen Profil entspricht ein Mann im Alter über 45 Jahre. Er lebt im ländlichen, dünn besiedelten Raum und ist berufstätig. Bei mehreren Erhebungen wurde auch gefragt, welche Sprache man als Fünfjähriger zuhause nutzte. In 70 Prozent der Fälle war das Französisch."
    Hervé Fernandez ist Chef der 'Agence nationale de lutte contre l'illettrisme'. Die staatliche 'Agentur für den Kampf gegen Analphabetismus' wurde im Jahr 2000 gegründet und koordiniert die landesweite Politik.
    "Frankreich geht kollektiv gegen den Funktionalen Analphabetismus vor: Eingebunden sind da die öffentliche Hand, die Ministerien, die Unternehmenswelt, die Gewerkschaften, Vereine sowie die Zivilgesellschaft."
    Erste Erfolge
    Auch in Deutschland gilt jeder siebte Arbeitnehmer als 'funktionaler Analphabet'. Aber hier ziehen Staat und Zivilgesellschaft weit weniger an einem Strang als in Frankreich. Dort sind erste Erfolge sichtbar: innerhalb von acht Jahren sank die Zahl der 'funktionalen Analphabeten von 3,1 Millionen auf 2,5. Zu verdanken ist das auch dem Engagement von Unternehmen, die zunehmend Alphabetisierungskurse im betrieblichen Bildungsangebot verankern. 2011 hat die Stef-Gruppe, in Europa führend im Bereich Kühltransporte, erstmals an 80 Standorten Kurse angeboten. Auf freiwilliger Basis, sagt Céline Luc von der Personalabteilung.
    "Was gut funktioniert, sind Terrain nahe Kurse: Wenn jemand Nachtschicht schiebt, laufen die zwei Kursstunden eben nachts. Wir bilden Gruppen, von zwei bis maximal vier Personen, da wird ein Kollektiv zusammengeschweißt."
    Die Kurse stehen allen offen, längst nicht nur funktionalen Analphabeten. Das genau verringert die Zugangs-Hemmschwelle für die, die kaum Schreiben und Lesen können. Céline Luc sagt: das Bildungsangebot sorge bei der Stef-Gruppe mit dafür, den betrieblichen Turnover niedrig zu halten.
    "Die Mitarbeiter sagen: Mein Unternehmen ermöglicht mir, beruflich voranzukommen. Mich am Arbeitsplatz wohlzufühlen."
    Macron-Regierung will betriebliche Bildungsangebote fördern
    Die Macron-Regierung will mit mehreren politischen Maßnahmen solche betrieblichen Bildungsangebote fördern. Nicolas Bourgerie begrüßt das ausdrücklich: Seit zehn Jahren bietet er Betrieben Alphabetisierungskurse.
    "Wenn ein Unternehmen erfolgreich gegen funktionalen Analphabetismus vorgehen will, ist es unabdingbar, dass die Chefetage wie auch die Manager voll dahinter stehen. Sonst kann man es gleich vergessen."