"Die politische Zeit mit der Lega ist abgeschlossen, die kann sich nie wieder öffnen." Klare Worte vom bisherigen Premier Italiens, Giuseppe Conte. Nur wer und was kommt jetzt? Morgen beginnt beim Staatspräsidenten die zweite Sondierungsrunde und spätestens Mittwoch müssten Sozialdemokraten und Fünf Sterne, so sie denn eine Koalition bilden wollen, auch klarstellen, wer neuer Ministerpräsident wird. Diese Frage hat die Verhandlung zwischen Fünf Sterne und PD an diesem Wochenende vor allem dominiert. Schaffen sie es nicht, sich zu einigen, kommt das, was sich der Verursacher der Regierungskrise, Lega-Chef Salvini, wünscht: Neuwahlen. Wie wahrscheinlich also ist jetzt eine gelbrote Regierung in Italien? Und wie gut passt das, was die Sterne bislang umgesetzt haben, zu sozialdemokratischer Politik - darüber sprechen wir mit unserem Korrespondenten Jörg Seisselberg in Rom
Manfred Götzke: Den Sternen wurde oft vorgeworfen, vor allem Salvinis rechtspopulistische Politik zu unterstützen und selbst wenig zu liefern. Welche eigenen Projekte konnte die Partei denn selbst umsetzen?
Jörg Seisselberg: Also da gibt es vor allen Dingen eines, das ist das Leuchtturmprojekt der Fünf-Sterne-Bewegung, das Bürgergeld, das sie versprochen und auch eingeführt haben. Menschen ohne Einkommen in Italien bekommen jetzt maximal 780 Euro im Monat. Viele waren dann auch enttäuscht, als es konkret umgesetzt wurde, weil es doch deutlich weniger war als 780 Euro, aber es ist das erste Mal so etwas wie Sozialhilfe in Italien, eine sozialpolitische Revolution. Vorher war man auf die Familie oder die Caritas angewiesen. Jetzt kümmert sich erstmals auch der Staat um Menschen, die kein Einkommen haben. Das ist sicherlich der große Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung bislang.
Bürgergeld und geringere Abgeordnetenpensionen
Dann haben sie noch zwei andere Projekte, auf die sie selber stolz sind. Ganz oben steht da, das mag für deutsche Ohren etwas komisch klingen, aber die Kürzung der Abgeordnetenpension, und zwar nicht derjenigen, die jetzt sitzen im Parlament, sondern der Abgeordneten, die teilweise schon lange raus sind im Parlament, denen ist kräftig die Pension gekürzt worden, und das hatten die Fünf Sterne in der Tat als eine große Forderung auch in ihrem Wahlprogramm und das dann entsprechend auch umgesetzt. Das spart letztendlich nur ein paar Millionen.
Das ist wirklich Peanuts für den gesamten Staatshaushalt Italiens, aber sehr wichtig für die Botschaft der Fünf-Sterne-Bewegung, wir tun etwas gegen die politische Kaste. Dann gibt es die Reform, die sie eingeleitet haben im Bereich der Arbeitsverträge. Dort haben sie befristete Arbeitsverträge begrenzt, dass man die nicht unendlich ausstellen darf und einsetzen darf. In keiner Firma darf es mehr als 30 Prozent an Zeitverträgen geben in Italien. Das ist sicherlich auch eine wichtige sozialpolitische Reform, auch eine, die nicht so weit von sozialdemokratischen Ideen entfernt ist. Dann ein viertes großes Projekt, auf das die Sterne stolz sind: Sie haben Entschädigungen für Aktionäre gezahlt, die betroffen sind von Pleiten in Italien. Auch das klingt für deutsche Ohren komisch, dass jemand, der Aktienverluste erlitten hat, dann vom Staat entschädigt wird, aber das war ein großes Thema, das vor allen Dingen von den Populisten in Italien vorangetrieben wurde, mit dem Ergebnis jetzt, dass 1,5 Milliarden ausgegeben wurde, um Aktionäre zu entschädigen, die Verluste erlitten haben, indem sie beispielsweise auf Aktien italienischer Banken gesetzt haben.
Götzke: Aber im Großen und Ganzen klingt das ja durchaus nach sozialdemokratischer Politik und passend zur PD.
Seisselberg: Ja, das ist nicht so weit entfernt. Die Sterne sind ja entstanden mit der Botschaft, die sie immer noch von Zeit zu Zeit setzen: Wir sind weder links noch rechts, wir sind nah am Puls des Volkes. Auffällig ist gewesen im letzten Jahr, dass sich die Fünf-Sterne-Bewegung versucht hat, auf der linken Seite zu positionieren, also da den Sozialdemokraten der demokratischen Partei das Wasser abzugraben. Das hat man vor allen Dingen in den Europawahlen gemerkt.
Größter Streitpunkt: das Personal
Dort stand ganz oben auf der Forderungsliste der Fünf Sterne ein Mindesteinkommen, also eine klassisch sozialdemokratische Forderung, auch eine stärkere Besteuerung wurde gefordert von internationalen Unternehmen, ein Kampf gegen Steuerhinterziehung, Investitionen für Vollbeschäftigung, für Wachstum. Auch das klingt sehr sozialdemokratisch. Das war wirklich ein Versuch, hier die Lücke, die die Sozialdemokraten, die schwächelten in den vergangenen Jahren, die Stimmen verloren haben in Italien, deren Platz zu besetzen.
Götzke: Woran könnten die Verhandlungen denn überhaupt noch scheitern?
Seisselberg: Es gibt einen großen Streitpunkt, das ist das Personal, jetzt schon verwunderlich, auch wenn man Koalitionsverhandlungen in Deutschland kennt, wo erst mal über die Inhalte und dann über das Personal geredet wird. Die Fünf Sterne haben als eine Forderung gestellt, dass auf jeden Fall Conte Ministerpräsident bleiben muss. Da sagt die Demokratische Partei, nein, nein, das geht nicht, wir wollen eine Regierung der Wende, und dann kann nicht der gleiche Ministerpräsident vorher weitermachen, der vorher mit Matteo Salvini am Kabinettstisch gesessen hat.
Also das scheint ein großer Streitpunkt zu sein, die symbolische und letztendlich ja auch faktisch wichtige Position des Ministerpräsidenten. Hier haben die Demokraten gesagt, Conte kommt für uns nicht infrage, und die Fünf Sterne beharren darauf. Das sieht danach aus, als wenn das wirklich jetzt auf der Schlussphase, auf den letzten Metern der Koalitionsverhandlungen ein großes Problem werden könnte.