Archiv

Wochenzeitung "Cóndor"
Von Patagonien bis zur Osterinsel

Seit 1938 erscheint in Chile die deutschsprachige Wochenzeitung "Cóndor", gegründet mit völkisch-nationalistischer Ausrichtung. Heute wollen die Redakteure vor allem Alltag und Kultur aus Deutschland darstellen – auch weil viele Deutschstämmige noch nie in der Heimat ihrer Vorfahren waren.

Von Michael Marek |
Auf einem Bürgersteig sitzen drei Personen, die Zeitungen lesen und deren Köpfe dahinter versteckt sind. Auf den Zeitungen sind die Titel zu lesen: "Latercera", "Condor" und "El Mercurio".
Die Wochenzeitung "Cóndor" gehört zu den traditionsreichen Zeitungen in Chile. (dpa/ Arne Dettmann)
Ein Straßenkiosk im Zentrum von Santiago: Zigaretten und Lotterielose werden hier verkauft, Schokoriegel und die bunten Blätter der Boulevardpresse. Zwischen den beiden größten überregionalen Tageszeitungen "La Tercera" und "El Mercurio" springt ein blau-weißes Logo mit deutschsprachiger Schlagzeile ins Auge: "Wer hat Angst vor dem bösen Wolf". Nicht Brexit, nicht Syrienkrieg - der Zeitungsaufmacher beschäftigt sich mit der Frage, warum sich Wölfe in Deutschland wieder ausbreiten.
"Wir bringen nicht mehr ausufernde Berichterstattungen und Tagesaktuelles aus Politik und Wirtschaft. Wir haben das ziemlich reduziert, das lesen die Leute ohnehin in anderen Zeitungen, im Internet, sehen es im Fernsehen", sagt Arne Dettmann, Chefredakteur der deutsch-chilenischen Wochenzeitung "Cóndor".
"Nicht einmal die Wahl vom CDU-Vorsitz… Eine Nachricht wäre für uns jetzt, wenn es einen neuen Bundeskanzler/ -kanzlerin gibt, also irgendetwas Grundlegendes. Das Aufkommen der AfD, das stellt man dann einmal im ‚Cóndor‘ dar, aber nicht das Tagesaktuelle, davon sind wir abgegangen."
Sprachrohr und Brückenbauer
Huelén im Nordosten der chilenischen Hauptstadt, eine kleine Seitenstraße im Stadtteil Providencia, hier wohnt Santiagos Mittelstand: Ein mehrstöckiges, unscheinbares Wohnhaus, die Fenster im Erdgeschoss sind vergittert. Im ersten Stock befinden sich die Redaktionsräume des "Cóndor".
"Generell vertrete ich nach wie vor die These, die Existenzberechtigung des ‚Cóndor‘ ist, deutsche Kultur und deutsche Sprache zu fördern, beizubehalten. Und eine Kultur erschließt sich in erster Linie über die Sprache."
Arne Dettmann, Redaktionsleiter der deutsch-chilenischen Zeitung "Condor" sitzt an seinem Schreibtisch.
"Condor"-Chefredakteur Arne Dettmann (dpa/ Walter Krumbach)
Als deutschsprachige Wochenzeitung ist der "Cóndor" vor allem Sprachrohr und Brückenbauer der deutschsprachigen Gemeinschaft. Etwa 300.000 deutschstämmige Chilenen leben im Land, erklärt der in Hamburg geborene Chefredakteur: "Ich denke, eine Aufgabe ist, ein modernes, realistisches Deutschlandbild zu vermitteln. Das heißt nicht, antiquierte Vorstellungen von Deutschland wiederzugeben. Einfach zu zeigen: Wie ist Deutschland jetzt? Denn es gibt viele Leser, die vielleicht noch nie in Deutschland waren. Zum Beispiel das Thema Einwanderung: Wie wird das in Deutschland diskutiert? Pro und Contra. Es ist halt nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen."
Multimediale Ausrichtung
Der "Cóndor" erscheint jeden Freitag in Santiago de Chile und ist in erster Linie eine Abonnement-Zeitung. Finanzielle Unterstützung vom deutschen oder chilenischen Staat gibt es keine. Wie andere Printmedien kämpft der "Cóndor" mit der schwindenden Leserschaft und veränderten Mediengewohnheiten.
"Wir haben einen völlig neuen Internetauftritt mit den sozialen Medien, mit einem elektronischen Abonnement und bedienen die Kanäle Facebook, Twitter, Instagram. Wir haben einen Newsletter eingeführt für unsere Leser, damit die den ‚Cóndor‘ auch digital online lesen können auf ihrem Computer, auf ihrem Handy."
Die Auflage der Wochenzeitung liegt derzeit bei 7.000 Exemplaren. Etwa 20.000 bis 30.000 Leser erreicht der "Cóndor" - von Patagonien über die Osterinsel bis hin zur Atacama-Wüste im Norden des Andenlandes. Sorgen bereitet Dettmann vor allem das Anzeigengeschäft.
"Die Situation ist nicht gerade leicht, und das hat auch was hauptsächlich damit zu tun, dass Firmen generell nicht mehr so viel in Zeitungen Anzeigen schalten, sicher auch, weil sie globalisiert und international ausgerichtet sind, sich dann auch fragen: Warum soll ich diese Zeitung jetzt durch eine Anzeige unterstützen, fördern?"
Hoher journalistischer Anspruch
Der größte Unterschied zwischen deutschen und chilenischen Medien: Sich selbst in Frage zu stellen, das entspräche nicht der chilenischen Mentalität, so Dettmann.
"Was ich für sehr wichtig halte, ist, dass das journalistische Niveau der Zeitung, dass das gut sein muss, also sowohl was den Inhalt anbelangt, als auch die grafische Gestaltung. Dass man das hält und nicht den Fehler macht, zu sagen: Oh, wir sind jetzt knapp bei Kasse, da müssen wir an der Redaktion sparen. Ob die Leute das dann auf ihrem Handy lesen und die andere Hälfte am Wochenende in der Druckausgabe zu Hause, ist ja in Ordnung, aber Hauptsache es wird gelesen."