"Uns mögen sie nicht," sagt Svenja Schulze. Gemeint sind die fünf flauschig-weißen Pyrenäenhunde, die offenbar zwischen einer Bundesumweltministerin und einem Wolf keinen Unterschied sehen.
"Wir sind zu viele!"
"Die Hunde verbellen grundsätzlich alles, was ihren Schafen entgegenkommt."
So hohen Besuch aus Berlin und gut zwei Dutzend mitreisende Journalisten sind auch die Schafe nicht gewöhnt - schweigend glotzen sie die Besuchergruppe an und lassen die Hüte-Hunde ihre Arbeit tun. So gut lief es nicht immer. Schäfer Réne Jeronimus erinnert sich
"Wir hatten 2006 einen Wolfsübergriff. Zu der Zeit hat Brandenburg noch keine Wölfe richtig anerkannt. Wir standen alleine da damit. Wir haben diese Hunde seit fast elf Jahren. Seitdem haben wir null Übergriff."
René Jeronimus trägt Schlapphut und einen Schäferstock. Unter seinem grauen Wollpullover ragt ein kugelrundes Bäuchlein hervor. Doch trotz aller Gemütlichkeit, die der 48-Jährige ausstrahlt: Sein Beruf ist kein Zuckerschlecken. Seitdem der Wolf vor gut zwanzig Jahren nach Deutschland zurückgekehrt ist und sich vor allem in Brandenburg ausgebreitet hat, fürchten viele Schäfer um ihre Herden. Und um ihre ohnehin mageren Einnahmen:
"Unterhalt kostet mich der Hund zwei bis zweieinhalb tausend Euro im Jahr. Wir haben 16 Hunde, dafür kann ich ein Auto kaufen. Aber mit dem Unterhalt der Hunde stehen wir alleine da."
"Wichtig für die Natur und für den Artenschutz"
Dazu noch hohe Kosten für Elektrozäune und Schafnetze. Svenja Schulze, die die Weidetierhalter hier im südlichen Brandenburg besucht, steht mitten im Heidekraut und hört aufmerksam zu. Endlich mal kein nörgelnder Koalitionspartner wie im fernen Berlin, keine CO2-Steuerdebatten, und keine bohrenden Fragen zur verzagten SPD. Stattdessen verspricht die Ministerin, sich für eine Weidetierprämie einzusetzen:
"Solche Flächen, wie wir sie heute hier sehen konnten, die gäbe es nicht, wenn Weidetierhalter hier nicht wären, wenn sie die Landschaften hier nicht so erhalten würden, dann würde das hier innerhalb von kurzer Zeit hier verbuschen, und wäre dann irgendwann ein Wald. Und das ist wichtig, dass wir auch solche Landschaften hier haben, das ist wichtig für die Natur und für den Artenschutz."
Die traditionellen Sommerreisen, bei denen meist das halbe Bundeskabinett durchs Land reist, sind für die Ministerinnen und Minister durchaus angenehm. Es gibt lustige Tierfotos, Politiker im Grünen, und nah bei den Leuten.
Svenja Schulze wagt sich außerdem auf schwieriges Terrain: Nach Brandenburg und Sachsen. Hier finden am 1. September Landtagswahlen statt, und die Umweltministerin von der SPD hat nicht gerade Gewinnerthemen im Gepäck: Der Kohleausstieg, die Angst vor Arbeitslosigkeit, und nicht zuletzt auch: Die Angst vor dem Wolf.
"In der Lausitz war es so, die haben die Anwohner es erzählt. Bei Bautzen. Die Wölfe haben Dammwild durchs Dorf getrieben."
Gut zwei Reisebus-Stunden später im sächsischen Görlitz löchert der Reporter des Lokalradios die Ministerin mit Fragen. Von Biodiversität und Naturerbe will er nichts wissen, sondern eher, ob 18 Wolfsrudel allein in Sachsen nicht genug seien? Soll heißen, zu viel.
"Wenn es Wölfe sind, die Menschen zu nahe kommen, dann kann man sie auch entnehmen, oder eben erschießen auf Deutsch."
Auch ein Konflikt zwischen Tierschützern und Jägern
Ob hier im tiefen Südosten, in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein: Der Wolf hinterlässt Spuren. Naturschützer liegen mit Bauern im Clinch, in der Bundesregierung gerieten wieder einmal die Umwelt- und die Landwirtschaftsministerin aneinander, und im Internet wird der Wolf geliebt oder gehasst, mal heißt er liebevoll "Kurti", ein andermal einfach Problemwolf, und wissenschaftlich MT6 oder auch GW924:
"Das Schwierige beim Wolf ist, dass wir eine hohe Verwechslungsgefahr mit Hunden haben. Die nutzen halt ab und zu die Gelegenheit mal auszubüxen, und gerade Hunde wie tschechoslowakische Wolfshunde, Huskies, Malamutes, Schäferhundmischlinge können sehr leicht mit einem Wolf verwechselt werden", erklärt Ilka Reinhardt vom Lupus Institut für Wolfsmonitoring. Gemeinsam mit Wissenschaftlern im Naturkundemuseum in Görlitz untersucht Reinhardt die Wanderungen der Tiere: Sie erstellt Stammbäume, untersucht Kot, Haare, Blut und Zähne.
"Dafür ist die Genetik unverzichtbar, gerade je mehr Wölfe das werden. Und ja, Wölfe sind Opportunisten. Sie töten die Tiere, die sie am einfachsten bekommen."
Manche Wölfe reißen 40 oder 80 Schafe in einer Nacht, andere werden selbst getötet, immer wieder auch illegal. Es ist nicht nur ein Konflikt zwischen Tierschützern und Jägern, sondern der Graben verläuft auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung:
"Wir haben gestern Bekannte hier besucht, und die haben schon gesagt, die Kinder sollte man nicht mehr allein spazieren lassen gehen, denn es gibt bis zu acht Rudel, oder acht Wölfe und mehrere Rudel", erzählt Philipp Hentschel.
Wolf darf künftig leichter abgeschossen werden
Mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern ist er aus Berlin zu Besuch in Görlitz. Und bleibt beim Thema Wolf gelassen:
"Unser Sohn ist vier Jahre, der ist so laut, da würde wahrscheinlich jeder Wolf im Umkreis von hundert Kilometern flüchten! Aber – zumindest zum Nachdenken hat es mich angeregt."
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies hingegen forderte zwischenzeitlich eine "Obergrenze" für den Wolf. Parteifreundin Svenja Schulze wählt ein anderes Vokabular.
"Wir können die Schafe, die Ziegen, die hier sind, schützen. Und gleichzeitig organisieren, dass es trotzdem in der Region Wölfe gibt."
Ein typisch salomonischer Schulze-Satz. Im Herbst wird der Bundestag über eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes entscheiden. Der Wolf bleibt zwar ein geschütztes Tier, doch er darf künftig leichter abgeschossen werden, wenn er Schafe oder andere Nutztiere reißt. Das Thema bleibt hoch emotional. Ähnlich wie der Klimaschutz – auch da wird es im kommenden Herbst Jäger und Gejagte geben – in der schwarz-roten Koalition in Berlin.