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"Wöller wurde da gewissermaßen im Regen stehen gelassen"

Sachsens Kultusminister Roland Wöller ist zurückgetreten - aus Protest gegen Kürzungen in seinem Etat. Angesichts des dramatischen Lehrermangels dürfe der schlechten Finanzsituation des Landes nicht alles untergeordnet werden, findet auch der sächsische CDU-Abgeordnete Thomas Colditz.

Thomas Colditz im Gespräch mit Manfred Götzke | 21.03.2012
    Manfred Götzke: An einigen Schulen in Sachsen gab es dieses Jahr Halbjahreszeugnisse light, denn manche Lehrer konnten keine Halbjahresnoten erteilen, weil zu viel Unterricht ausgefallen ist. Sachsen leidet an massivem Lehrermangel. Die Landesregierung hat deshalb eine Lehrereinstellungsoffensive gestartet, 250 Millionen Euro will Sachsen für neue Lehrer ausgeben. 100 Millionen davon sollen allerdings aus dem Etat des Kultusministeriums selbst kommen, ist also eigentlich kein zusätzliches Geld für zusätzliche Lehrer. Das Ganze macht wenig Sinn. Noch weniger Sinn macht es aber, dass Kultusminister Roland Wöller von seinem Ministerpräsidenten angewiesen wurde, diese 100 Millionen Euro ausgerechnet aus dem Lehrerstellenetat zu berappen. Da beißt sich die Katze dann in den Schwanz! Was auch der Kultusminister so gesehen hat und das Handtuch warf.

    Und ich möchte darüber jetzt mit dem sächsischen Landtagsabgeordneten Thomas Colditz sprechen. Er ist Parteifreund von Roland Wöller und Bildungsexperte der CDU in Sachsen. Guten Tag, Herr Colditz!

    Thomas Colditz: Guten Tag, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Colditz, was läuft schief in Sachsens Bildungspolitik, wenn ein etablierter Kultusminister nach vier Jahren im Amt so plötzlich das Handtuch wirft?

    Colditz: Also, das, was gestern passiert ist, hat ja eine Vorgeschichte. Wir reden ja schon seit einem Dreivierteljahr über die aktuelle Situation, was die Personalausstattung unserer Schulen anbelangt. Und insbesondere reden wir über die Perspektiven von Schule in Sachsen. Wir wissen, dass bis 2020 8000 Lehrer unser Schulsystem verlassen, und wissen auch, dass dafür Vorsorge zu treffen ist. Das ist selbst beim Finanzminister unstrittig. Die Frage ist ganz einfach, welche finanziellen Rahmenbedingungen dafür notwendig sind. Und da hat die Koalition im Dezember vorigen Jahres ein Paket verabschiedet, ein sogenanntes Bildungspaket, womit man scheinbar die Probleme lösen will. Es hat sich im Nachgang herausgestellt, dass dieses Bildungspaket nicht durchfinanziert ist und dass es auch, was die Inhalte anbelangt, bei Weitem nicht die Bedarfe abdeckt, die im Schulbereich vorhanden sind. Das ist deutlich zutage getreten. Und der Kultusminister hat zwar diesem Paket zunächst zugestimmt, und hat aber dann mittlerweile, nachdem er festgestellt hat, dass also er nicht zur Mitfinanzierung dieses Pakets in der Lage ist, die Reißleine gezogen.

    Götzke: Hat er sich da verlesen im Paket? Herr Colditz, hat er sich da verlesen, hat er das nicht richtig überblickt?

    Colditz: Das kann ich so nicht nachvollziehen. Also, ich habe ihm schon auch im Dezember vorgeworfen, dass er gewissermaßen einen Kniefall vorm Finanzminister vollzogen hat, eigentlich wider besseres Wissen, das kann ich ihm auch nicht im Nachgang entschuldigen, das muss ich ehrlich sagen. Er hätte da dem Paket nie zustimmen dürfen, vor allen Dingen in Kenntnis dessen, was er damals schon wusste. Denn das, was heute zutage tritt, hatte er damals schon gewusst.

    Götzke: Das, was heute zutage tritt, das muss man ja noch mal ganz klar sagen, die Anweisung, ausgerechnet im Personaletat Geld einzusparen, um künftig mehr Personal einzustellen, das macht doch überhaupt keinen Sinn?

    Colditz: Das ist ein Widerspruch in sich, das ist richtig. Man geht also von der Behauptung aus, dass man sagt, es seien zu viele Lehrer außerhalb der Schule, man will die Lehrer wieder zurückholen. Scheinbar seien sie in Verwaltungen, in irgendwelchen angelagerten Institutionen, oder es gibt Abminderungsstunden, die nicht gerechtfertigt waren oder sind. Das sind alles Unterstellungen, die so nicht stimmen. Selbst wenn man sich die Zahlen zugrunde legt, gerät man da maximal über 500 Stellen, die da infrage kommen, nicht über Tausende, so wie das Finanzministerium das darstellt. Und gewisse Rücknahmen sind dort ganz einfach nicht möglich. Ich kann einen 56-jährigen Kollegen, der also eine Stunde Abminderung hat, aus Altersgründen diese Stunde nicht wegnehmen, wenn ich weiß, dass ich für ihn keine Alternative, Perspektive habe, was die Altersteilzeit beispielsweise anbelangt. Er muss bis 67 durchhalten, der Kollege. Und wenn ich ihm dann noch sage, dass er die Abminderungsstunde für sein Alter auch noch weggenommen bekommt, können Sie sich vorstellen, wie dann die Reaktion in den Lehrerkollegien ist.

    Götzke: Jetzt könnte man sagen, Roland Wöller hat möglicherweise Fehler gemacht. Aber hat der Ministerpräsident Stanislaw Tillich nicht auch Fehler gemacht, wenn er ausgerechnet so krass bei der Bildung sparen will?

    Colditz: Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt nicht allein bei Roland Wöller. Die liegt bei der gesamten Staatsregierung. Insbesondere natürlich mit beim Finanzministerium, aber auch bei der Staatskanzlei. Wir haben auch mehrfach angemahnt, auch in der öffentlichen Diskussion im Landtag, dass aufgrund der Konstellation zwischen Kultus- und Finanzministerium, aufgrund dieser festgefahrenen Situation auch die Staatskanzlei sich doch einbringen solle und koordinieren solle und auch vermitteln solle zwischen den beiden Häusern. Das hat möglicherweise stattgefunden, aber eben nur einseitig zugunsten des Finanzministers und nicht zugunsten des Kultusressorts. Also, Wöller wurde da gewissermaßen im Regen stehen gelassen.

    Götzke: Die Lage in Sachsen, die ist ja derzeit wirklich dramatisch. Ich habe es vorhin ja schon mal gesagt, es konnten Zwischenzeugnissen nicht korrekt ausgestellt werden, weil zu viele Stunden ausgefallen sind. Wie kann man in einer solchen Situation überhaupt daran denken, Lehrerstellen zu streichen oder im Kultus- und Lehreretat zu streichen?

    Colditz: Wir haben in Sachsen das Problem, dass unsere Staatsregierung - und da muss ich auch leider meine regierungstragende Fraktion mit einbeziehen - sich visionär eigentlich im Blick auf 2020 vordergründig nur von der Vorstellung leiten lässt, dass wir die Verschuldung zurückfahren müssen, dass wir ein Verschuldungsverbot in die Verfassung schreiben müssen, dass wir also uns anpassen müssen an die Finanzentwicklung, die 2020 einsetzt. Und dem werden alle anderen Fachentscheidungen untergeordnet. Ich möchte da nicht falsch verstanden werden: Ich sehe diese Finanzsituation, die auf uns zukommt, ganz genau so. Aber ich kann dem nicht alles unterordnen. Und wenn ich in der Bildung Bedarfe feststelle, die unabweisbar sind, dann müssen wir ganz einfach darüber reden, wie wir durch Prioritätenverschiebung ganz einfach erreichen, dass diese Bedarfe abgesichert werden können. Ich kann also nicht fragen, was darf es kosten, sondern was muss es kosten, um Bildung in Sachsen auf dem Niveau zu halten, was wir bisher haben.

    Götzke: Der CDU-Bildungsexperte Thomas Colditz war das zum Rücktritt des sächsischen Kultusministers Roland Wöller. Ich danke Ihnen!

    Colditz: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.