"Es ist und bleibt ein zentrales Anliegen, die SED-Diktatur konsequent und differenziert aufzuarbeiten, und zwar nicht nur historisch, das ist wichtig, sondern immer auch aktuell politisch."
... ..betont Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Er hat vor kurzem unter dem Titel "Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen" ein Konzept zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit vorgelegt. Dazu wird morgen der Kulturausschuss des Bundestags erstmals Experten anhören.
Im Kern geht es um die Frage, wie künftig an die SED-Diktatur erinnert und wo die Stasi-Akten aufbewahrt werden sollen. Bislang nimmt die Stasi-Unterlagen-Behörde, nach ihrer Leiterin kurz Birthler-Behörde genannt, eine Sonderstellung ein. Sie verwaltet die schriftliche Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit, gewährt Opfern Akteneinsicht, betreibt Bildungsarbeit und ermöglicht Forschern des Hauses exklusive Einblicke in geheime Dossiers.
Doch 18 Jahre nach der Wende vom 9. November 1989 werden die Stimmen lauter, die das Ende der Birthler-Behörde fordern. Die Mission der weltweit einzigartigen Institution sei erfüllt. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
"Es war allen von Anfang an klar, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde nur für eine befristete Zeit existieren sollte, dass die Archivalien irgendwann dann in die normale Archivstruktur überführt werden. Die Behörde hat dann nur einen Zug entwickelt, sich selbst für unverzichtbar zu halten."
Kritiker wie Hubertus Knabe verweisen auf Fehler und Versäumnisse der Behörde. So beschäftige sie zum Beispiel immer noch ehemalige Stasi-Mitarbeiter oder präsentiere angeblich sensationelle Funde aus dem Archiv, die längst bekannt seien. Der hohe finanzielle und personelle Aufwand stehe in keinem Verhältnis zu den Leistungen.
"Wenn man in den letzten Tätigkeitsbericht der Behörde schaut und liest, dass von 50 Kilometer Akten, die die Stasi bereits ins Archiv geschafft hat, bis heute nur 2,6 Prozent erschlossen sind, dann ist das ein echtes Armutszeugnis. "
Allerdings hat sich die Behörde in den zurückliegenden Jahren vornehmlich darauf konzentriert, Stasi-Opfern ihre Akten zugänglich zu machen und Anfragen zu beantworten, ob jemand für das MfS gespitzelt hat, für das Ministerium für Staatssicherheit. Insgesamt wurden bisher mehr als 1,7 Millionen Personen überprüft, 2,3 Millionen beantragten Akteneinsicht. Allein im vergangenen Jahr wollten fast 100.000 ihre Unterlagen sehen, ein Anstieg von 20 Prozent gegenüber 2005. Hartmut Weber, Präsident des Bundesarchivs:
"Es ist eine archivarische Binsenweisheit, wenn man einen großen Anfragedruck hat, dann muss man das Personal sozusagen auf die Recherchen im Archivgut selbst, das Personal damit beschäftigen, man kann es nicht damit beschäftigen, zu erschließen."
Zu erinnern ist daran, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde - kurz BSTU - nur entstehen konnte, weil im Januar 1990 DDR-Bürgerrechtler die Geheimdienstzentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße stürmten und die Akten vor dem Reißwolf retteten. Und später waren es wiederum Bürgerrechtler, die der Bundesregierung das Zugeständnis abrangen, die Stasi-Archive zu öffnen. Die Ursprünge der BSTU prägen ihr Selbstverständnis bis heute. Nicht zufällig standen bzw. stehen mit Joachim Gauck und Marianne Birthler zwei Personen an der Spitze, die aus der DDR-Opposition und nicht aus der Verwaltungspraxis kommen.
Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er hat im vergangenen Jahr eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission geleitet, die sich u.a. mit der Zukunft der Birthler-Behörde beschäftigte.
"Es handelt sich ja hier nun auch um eine Sonderbehörde, die im Rahmen der friedlichen Revolution entstanden ist und aus einer Wurzel gewachsen ist, die nicht die Professionalität der Aktenablage kannte, sondern sie sich erst erworben hat. Und diese Geburtsschwäche, die gleichzeitig auch eine Geburtsstärke ist, dass diese Umstände bis heute noch fortwirken, würde ich jetzt der Behörde nicht entgegen halten wollen."
Von Beginn an war jedoch klar, dass die BSTU keine unbefristete Einrichtung sein würde. Die Fragen nach ihrer Auflösung werden lauter, seitdem das öffentliche Interesse an geheimen Akten und Stasi-Spitzeln nachlässt und keine spektakulären Enthüllungen mehr zu erwarten sind. Klaus Schröder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, hält es für einen untragbaren Zustand, dass nach wie vor nur die Wissenschaftler der Birthler-Behörde Einblick in die vollständigen Akten nehmen dürfen, während andere Experten lediglich Auszüge und teilweise geschwärzte Seiten zu Gesicht bekommen.
"Die Behörde hat ja ihre Aufgabe politisch erledigt. Es ist ja nicht so, dass nichts geschehen wäre in diesen 15 Jahren, ganz im Gegenteil, der Auftrag ist politisch erfüllt. Die Überprüfungen sind ja eingeschränkt und werden demnächst auch auslaufen. Also insofern geht es jetzt um eine professionelle Aufarbeitung und um die Einbettung der Geschichte des MfS in die allgemeine DDR-Geschichte."
Deshalb sollen, so die Meinung vieler Historiker, die Stasi-Unterlagen möglichst bald ins Bundesarchiv kommen. Der Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel erhofft sich davon, dass es für Wissenschaftler, Journalisten und Bürger dann leichter sein wird, Akten einzusehen. Grindel vertritt die CDU im Kulturausschuss.
"Der Eindruck, der auch in Teilen der SPD und der Grünen erweckt wird, als ob mit einer Überführung der Stasi-Akten in das Bundesarchiv nun auch die Aufklärung zu Ende wäre, ist völlig falsch. Genau andersrum ist es richtig, dass wir frische Luft sozusagen in die Behörde hineinbekommen wollen, dass wir die Kompetenz der Forscher und Wissenschaftler von außen auch nutzbar machen wollen, dass wir ihnen besseren Zugang zu den Akten ermöglichen wollen. Und das Bundesarchiv hat gezeigt, dass es dazu in der Lage ist."
Das Bundesarchivgesetz schreibt allerdings eine allgemeine Sperrfrist von 30 Jahren vor, bei personenbezogenen Unterlagen sogar bis 30 Jahre nach dem Tod. Würde diese Vorschrift auch für das MfS-Material gelten, hätten Stasi-Opfer ihre Akten nicht einsehen, Journalisten keine Spitzel enttarnen und Wissenschaftler der BSTU nicht die Strukturen der DDR-Geheimpolizei erforschen können. Dies war nur möglich, weil der Bundestag mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz einen Sonderweg zu den Akten öffnete.
Doch auch hier gibt es Einschränkungen. Altbundeskanzler Helmut Kohl klagte vor Gericht erfolgreich gegen die Herausgabe seiner Stasi-Akten, weil es sich zum großen Teil um rechtswidrig gewonnenes Material einer Geheimpolizei handelt. Diesen Restriktionen wären die Unterlagen auch im Bundesarchiv unterworfen, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
"Die Probleme werden bleiben, denn etwa mit dem Kohl-Urteil, die beziehen sich ja nicht auf die Behörde, das Urteil mit den Einschränkungen bezieht sich auf die Akten, das heißt die Fragen, die damit entstehen, werden auch im Zusammenhang des Bundesarchivs bleiben. Deshalb darf man nicht dem Fehlschluss erliegen, dass man sagt: Wenn ich heute eine bestimmte Akte im Bundesarchiv suche, geht das relativ schnell, bei der Stasi-Behörde dauert das länger, dann liegt das nicht unbedingt an der schlecht arbeitenden Behörde, sondern daran, dass hier besondere Dinge zu berücksichtigen sind, dass vorher geschwärzt werden muss möglicherweise, um Datenschutzbestimmungen gerecht zu werden."
Welche rechtlichen und praktischen Konsequenzen eine Verlagerung von Stasi-Akten ins Bundesarchiv haben würde, ist noch völlig unklar. Auch Experten vertreten unterschiedliche Auffassungen. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und der Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber:
"Solange aus verfassungsrechtlichen Gründen gesonderte Normen für die Stasi-Unterlagen erforderlich sind, ist ja für die Verwendung der Akten auch nichts gewonnen, wenn sie im Bundesarchiv lägen. Und da macht's dann praktisch überhaupt keinen Unterschied für den Nutzer, ob er die Unterlagen hier oder dort haben muss. Das Bundesarchivgesetz ist ja ein Gesetz, das die Forschung im Regelfall ermöglicht, während das Stasi-Unterlagengesetz, da ist es umgedreht, es geht davon aus, dass zunächst mal die Akten zu sein sollen, und es nennt Ausnahmen, in denen die Akten dennoch benutzt werden dürfen."
Nicht jede Stasi-Akte wäre demnach im Bundesarchiv sofort frei zugänglich, zumal das Archivgesetz vorschreibt, schutzwürdige Belange zu berücksichtigen, zum Beispiel die Intimsphäre von Personen. Der Zeithistoriker Martin Sabrow:
"Im Grenzfall müsste man in der Tat damit leben, dass einzelne Betroffene nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf die Tilgung ihrer nicht rechtsstaatsgemäß erhobenen Daten pochen können. Und es kann sein, dass der Staatsbürger über den Historiker dann siegt, und der Historiker zugeben muss, dass er bestimmte Quellen nicht einsehen darf, weil in ihnen Material gespeichert ist, das dem rechtsstaatsmäßigen Umgang und der Würde des Menschen nicht entspricht. Ich glaube nicht, dass das in sehr starkem Maße der Fall sein wird, aber wenn es der Fall sein sollte, obsiegt hier m.E. das politische Recht des Staatsbürgers, über solche Daten selbst verfügen zu dürfen - bis hin zur Löschung -, gegenüber der Neugier des Historikers."
Bereits jetzt befindet sich das Schriftgut der SED, der DDR-Blockparteien, Massenorganisationen und Gewerkschaften im Bundesarchiv. Es unterliegt nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich nicht der 30-jährigen Sperrfrist wie andere Archivalien. Eine ähnliche Regelung könnte der Bundestag auch für die Stasi-Unterlagen beschließen. Er müsste dann aber die besonderen rechtlichen Probleme der personenbezogenen Akten berücksichtigen.
"Ich würde mir wünschen vom Gesetzgeber, dass er allen Beteiligten eine ausreichende Planungszeit gibt von mindestens drei Jahren, um die Überleitung ordnungsgemäß hinzukriegen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, wenn er meint, dass für eine gewisse Übergangszeit die Stasi-Unterlagen noch einen besonderen Schutz genießen sollen, dann auch solche Vorkehrungen noch in das Bundesarchivgesetz rein zu schreiben."
Immerhin sind sich die Parteien weitgehend einig, dass es Bürgern, Journalisten und Wissenschaftlern auch künftig erlaubt sein soll, Einblick in die Akten zu nehmen. Selbst Petra Pau, Abgeordnete der Linken und Vizepräsidentin des Bundestags, plädiert für eine großzügige Regelung. Und ihre Genossinnen und Genossen von der PDS sind in der Vergangenheit nicht unbedingt als radikale Stasi-Aufklärer in Erscheinung getreten.
"Der Zugang muss weiter offen bleiben. Es ist ja doch etwas Einmaliges, was hier passiert ist, dass die Archive eines Geheimdienstes in dieser Weise der Forschung wie auch der persönlichen Aufarbeitung ermöglicht wurden. Da kann man nicht sagen, wir ziehen an dieser Stelle einen Schlussstrich."
Noch bevor die inhaltlichen Fragen einer Überleitung geklärt sind, reden die Politiker bereits über Termine. Kulturstaatsminister Neumann spricht vage von einer mittelfristigen Lösung. Weitere Ausführungen zu seinem Gedenkstättenkonzept will er derzeit nicht machen. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel versteht unter mittelfristig das Jahr 2011, der SPD-Parlamentarier Markus Meckel denkt an den 30. Jahrestag der Wende von 1989.
"Es ist gar keine Frage, dass ich persönlich wie auch andere Kollegen das Auslaufen der Amtszeit von Frau Birthler für einen geeigneten Zeitpunkt für diesen strukturellen Akt halten würde. Aber ich kann mir auch hier etwas spätere Zeitvorstellungen denken.
Wir haben hier eine Sondersituation geschaffen, und zwar mit gutem Recht damals, als es darum ging, die Akten zugänglich zu machen. Wir haben dann jetzt vorgeschlagen, dass man 30 Jahre nach diesem Ereignis, also 2019/2020, sehen sollte, dass man in die normale Struktur kommt, dass die Akten - wie auch die anderen DDR-Akten - in das Bundesarchiv kommen."
In den Anfangsjahren zählte die BSTU 3.200 Mitarbeiter, heute sind es noch 2.000. Eine Großbehörde mit einem Jahresetat von 100 Millionen Euro steht zur Disposition und weckt Begehrlichkeiten. Wer die Akten bekommt und wem Forschung und Bildungsarbeit übertragen werden, erhält Personal, Geld und Einfluss. Doch noch wehrt sich die Bundesbeauftragte Marianne Birthler gegen eine baldige Auflösung ihrer Behörde.
"Vor dem Jahr 2019 meiner Ansicht nach scheint es ganz indiskutabel zu sein, eher später."
Unterstützung erhält Marianne Birthler von ihrer Partei, den Bündnisgrünen. Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Bundestags:
"Wenn wir sehen, dass es mehr Wünsche auf Akteneinsicht gibt, heißt das für meine Begriffe ganz klar, dann wird sie offensichtlich noch gebraucht."
Der Kulturausschuss des Bundestags wird sich morgen nicht nur mit der Zukunft der Birthler-Behörde beschäftigen, sondern auch der Frage nachgehen, wie an die SED-Diktatur erinnert werden soll, zum Beispiel welche Bedeutung dem Alltagsleben in der DDR geschenkt wird. In dem Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung heißt es dazu:
Das Thema "Alltag in der DDR" wird berücksichtigt, um einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder "Ostalgie" entschieden entgegenzuwirken. Darstellungswürdig sind nicht die vermeintlichen "Bindungskräfte" der DDR, sondern das "Angst-Anpassungssyndrom des Alltags".
Politische Bildung dürfe sich nicht darauf beschränken, nur die repressiven Seiten totalitärer Herrschaft zu thematisieren, kritisiert Martin Sabrow das Konzept des Kulturstaatsministers.
"Es wird die Diktatur reduziert auf Angst, Anpassung, Korruption. Und es wird dabei vergessen, dass gerade diese Mischung von Duldungsstarre und Begeisterung, Anpassungs-Loyalität und Glaube an die Fortschrittlichkeit dieser SED-Herrschaft entscheidend sind, um Diktaturen zu erklären."
Bisher konzentrierte sich das öffentliche und politische Interesse an der DDR-Vergangenheit vor allem auf die Stasi-Akten. Experten beklagen die einseitige Fixierung auf den Verfolgungs- und Überwachungsapparat, statt die grundlegenden Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur zu analysieren. Deshalb soll möglichst bald in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin eine Ausstellung über Repression und Widerstand in der DDR entstehen.
Haus 1 in der Normannenstraße ist schon seit längerem als Erinnerungsstätte im Gespräch, residierte dort doch bis 1989 Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit. Bürgerrechtler haben in dem Gebäude nach der Wende mit bescheidenen Mitteln eine kleine Ausstellung aufgebaut. Hier ließe sich an einem authentischen Ort ein Dokumentationszentrum errichten, das die Täter und ihr Handeln in den Mittelpunkt stellt, eine Art "Anatomie der SED-Diktatur". Aber eignet sich Haus 1 auch als Ort des Widerstands? Hubertus Knabe:
"
Widerstand in Diktaturen findet nun mal im Verborgenen statt und nicht in irgendwelchen großen Hallen, wo man sich versammelt hat und wo man dann später vielleicht Ausstellungen gestalten könnte. Deswegen muss man notgedrungen ausweichen auf Orte, die vielleicht eine andere oder doppelte Bedeutung haben. Und nicht zuletzt wurde diese Zentrale im Januar 1990 gestürmt von Bürgerrechtlern, ein Bürgerkomitee überwachte dann die Auflösung der DDR-Geheimpolizei. Und dieser Akt des Widerstandes ist ein weiteres Argument für mich, hier an diesem Ort an Widerstand in der DDR zu erinnern."
Haus 1 soll gleichzeitig die Repressions- wie die Widerstandsseite der DDR-Diktatur darstellen; eine Notlösung, weil es keine überzeugenden Alternativen gibt. Der SPD-Politiker Markus Meckel, zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Opposition engagiert:
"Ich glaube nicht, dass der Ort in der Normannenstraße der richtige Ort ist, denn man muss sich deutlich machen, der Widerstand bezog sich nicht nur auf die Repression, sondern auf die Diktatur als Ganzes. Und er war nicht nur eine Reaktion auf die Repression, sondern er war von Menschenrechten und von eigenen Werten hergeleitet."
Markus Meckel schlägt stattdessen als Erinnerungsstätte die derzeit leerstehende Kirchliche Hochschule in der Borsigstraße in Berlin vor, ein Ort freien Denkens, wie er sagt. Allerdings stünde dann die kirchliche Opposition im Vordergrund. Anderen Widerstandsformen würde dieser Standort kaum gerecht werden.
Wie langwierig und schwierig es ist, angemessen an eine Diktatur zu erinnern, zeigt ein Blick auf die Gedenkstätten zum Nationalsozialismus. Erst mehr als 60 Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes haben in diesen Tagen in Berlin auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände die Bauarbeiten für einen Neubau der Topographie des Terrors begonnen.
Während jedoch die Erinnerung an den Nationalsozialismus als gesamtdeutsche Aufgabe inzwischen weithin akzeptiert wird, ist das Erbe der SED-Diktatur eine noch ungelöste Herausforderung. Nur ein Fünftel der Deutschen hat existenzielle Erfahrungen mit dem Kommunismus gemacht. Viele Menschen, vor allem im Westen der Republik, könnten die aktuelle Diskussion um die Stasi-Akten und die Auflösung der Birthler-Behörde zum Anlass nehmen, die DDR-Vergangenheit buchstäblich zu den Akten zu legen.
"Wenn wir junge Leute fragen, wer war Erich Mielke, dann sagt ihnen dieser Name überhaupt nichts mehr, bestenfalls tippen sie auf einen Schriftsteller. Hier muss die politische Bildung nicht nur beibehalten, sondern sogar verstärkt werden. Kein Schlussstrich kann möglich sein. Es geht um das langfristige Etablieren der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in dem Institutionengefüge von Gedenkstätten, Lernorten der politischen Bildung in Deutschland."
... ..betont Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Er hat vor kurzem unter dem Titel "Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen" ein Konzept zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit vorgelegt. Dazu wird morgen der Kulturausschuss des Bundestags erstmals Experten anhören.
Im Kern geht es um die Frage, wie künftig an die SED-Diktatur erinnert und wo die Stasi-Akten aufbewahrt werden sollen. Bislang nimmt die Stasi-Unterlagen-Behörde, nach ihrer Leiterin kurz Birthler-Behörde genannt, eine Sonderstellung ein. Sie verwaltet die schriftliche Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit, gewährt Opfern Akteneinsicht, betreibt Bildungsarbeit und ermöglicht Forschern des Hauses exklusive Einblicke in geheime Dossiers.
Doch 18 Jahre nach der Wende vom 9. November 1989 werden die Stimmen lauter, die das Ende der Birthler-Behörde fordern. Die Mission der weltweit einzigartigen Institution sei erfüllt. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
"Es war allen von Anfang an klar, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde nur für eine befristete Zeit existieren sollte, dass die Archivalien irgendwann dann in die normale Archivstruktur überführt werden. Die Behörde hat dann nur einen Zug entwickelt, sich selbst für unverzichtbar zu halten."
Kritiker wie Hubertus Knabe verweisen auf Fehler und Versäumnisse der Behörde. So beschäftige sie zum Beispiel immer noch ehemalige Stasi-Mitarbeiter oder präsentiere angeblich sensationelle Funde aus dem Archiv, die längst bekannt seien. Der hohe finanzielle und personelle Aufwand stehe in keinem Verhältnis zu den Leistungen.
"Wenn man in den letzten Tätigkeitsbericht der Behörde schaut und liest, dass von 50 Kilometer Akten, die die Stasi bereits ins Archiv geschafft hat, bis heute nur 2,6 Prozent erschlossen sind, dann ist das ein echtes Armutszeugnis. "
Allerdings hat sich die Behörde in den zurückliegenden Jahren vornehmlich darauf konzentriert, Stasi-Opfern ihre Akten zugänglich zu machen und Anfragen zu beantworten, ob jemand für das MfS gespitzelt hat, für das Ministerium für Staatssicherheit. Insgesamt wurden bisher mehr als 1,7 Millionen Personen überprüft, 2,3 Millionen beantragten Akteneinsicht. Allein im vergangenen Jahr wollten fast 100.000 ihre Unterlagen sehen, ein Anstieg von 20 Prozent gegenüber 2005. Hartmut Weber, Präsident des Bundesarchivs:
"Es ist eine archivarische Binsenweisheit, wenn man einen großen Anfragedruck hat, dann muss man das Personal sozusagen auf die Recherchen im Archivgut selbst, das Personal damit beschäftigen, man kann es nicht damit beschäftigen, zu erschließen."
Zu erinnern ist daran, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde - kurz BSTU - nur entstehen konnte, weil im Januar 1990 DDR-Bürgerrechtler die Geheimdienstzentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße stürmten und die Akten vor dem Reißwolf retteten. Und später waren es wiederum Bürgerrechtler, die der Bundesregierung das Zugeständnis abrangen, die Stasi-Archive zu öffnen. Die Ursprünge der BSTU prägen ihr Selbstverständnis bis heute. Nicht zufällig standen bzw. stehen mit Joachim Gauck und Marianne Birthler zwei Personen an der Spitze, die aus der DDR-Opposition und nicht aus der Verwaltungspraxis kommen.
Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er hat im vergangenen Jahr eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission geleitet, die sich u.a. mit der Zukunft der Birthler-Behörde beschäftigte.
"Es handelt sich ja hier nun auch um eine Sonderbehörde, die im Rahmen der friedlichen Revolution entstanden ist und aus einer Wurzel gewachsen ist, die nicht die Professionalität der Aktenablage kannte, sondern sie sich erst erworben hat. Und diese Geburtsschwäche, die gleichzeitig auch eine Geburtsstärke ist, dass diese Umstände bis heute noch fortwirken, würde ich jetzt der Behörde nicht entgegen halten wollen."
Von Beginn an war jedoch klar, dass die BSTU keine unbefristete Einrichtung sein würde. Die Fragen nach ihrer Auflösung werden lauter, seitdem das öffentliche Interesse an geheimen Akten und Stasi-Spitzeln nachlässt und keine spektakulären Enthüllungen mehr zu erwarten sind. Klaus Schröder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, hält es für einen untragbaren Zustand, dass nach wie vor nur die Wissenschaftler der Birthler-Behörde Einblick in die vollständigen Akten nehmen dürfen, während andere Experten lediglich Auszüge und teilweise geschwärzte Seiten zu Gesicht bekommen.
"Die Behörde hat ja ihre Aufgabe politisch erledigt. Es ist ja nicht so, dass nichts geschehen wäre in diesen 15 Jahren, ganz im Gegenteil, der Auftrag ist politisch erfüllt. Die Überprüfungen sind ja eingeschränkt und werden demnächst auch auslaufen. Also insofern geht es jetzt um eine professionelle Aufarbeitung und um die Einbettung der Geschichte des MfS in die allgemeine DDR-Geschichte."
Deshalb sollen, so die Meinung vieler Historiker, die Stasi-Unterlagen möglichst bald ins Bundesarchiv kommen. Der Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel erhofft sich davon, dass es für Wissenschaftler, Journalisten und Bürger dann leichter sein wird, Akten einzusehen. Grindel vertritt die CDU im Kulturausschuss.
"Der Eindruck, der auch in Teilen der SPD und der Grünen erweckt wird, als ob mit einer Überführung der Stasi-Akten in das Bundesarchiv nun auch die Aufklärung zu Ende wäre, ist völlig falsch. Genau andersrum ist es richtig, dass wir frische Luft sozusagen in die Behörde hineinbekommen wollen, dass wir die Kompetenz der Forscher und Wissenschaftler von außen auch nutzbar machen wollen, dass wir ihnen besseren Zugang zu den Akten ermöglichen wollen. Und das Bundesarchiv hat gezeigt, dass es dazu in der Lage ist."
Das Bundesarchivgesetz schreibt allerdings eine allgemeine Sperrfrist von 30 Jahren vor, bei personenbezogenen Unterlagen sogar bis 30 Jahre nach dem Tod. Würde diese Vorschrift auch für das MfS-Material gelten, hätten Stasi-Opfer ihre Akten nicht einsehen, Journalisten keine Spitzel enttarnen und Wissenschaftler der BSTU nicht die Strukturen der DDR-Geheimpolizei erforschen können. Dies war nur möglich, weil der Bundestag mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz einen Sonderweg zu den Akten öffnete.
Doch auch hier gibt es Einschränkungen. Altbundeskanzler Helmut Kohl klagte vor Gericht erfolgreich gegen die Herausgabe seiner Stasi-Akten, weil es sich zum großen Teil um rechtswidrig gewonnenes Material einer Geheimpolizei handelt. Diesen Restriktionen wären die Unterlagen auch im Bundesarchiv unterworfen, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
"Die Probleme werden bleiben, denn etwa mit dem Kohl-Urteil, die beziehen sich ja nicht auf die Behörde, das Urteil mit den Einschränkungen bezieht sich auf die Akten, das heißt die Fragen, die damit entstehen, werden auch im Zusammenhang des Bundesarchivs bleiben. Deshalb darf man nicht dem Fehlschluss erliegen, dass man sagt: Wenn ich heute eine bestimmte Akte im Bundesarchiv suche, geht das relativ schnell, bei der Stasi-Behörde dauert das länger, dann liegt das nicht unbedingt an der schlecht arbeitenden Behörde, sondern daran, dass hier besondere Dinge zu berücksichtigen sind, dass vorher geschwärzt werden muss möglicherweise, um Datenschutzbestimmungen gerecht zu werden."
Welche rechtlichen und praktischen Konsequenzen eine Verlagerung von Stasi-Akten ins Bundesarchiv haben würde, ist noch völlig unklar. Auch Experten vertreten unterschiedliche Auffassungen. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und der Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber:
"Solange aus verfassungsrechtlichen Gründen gesonderte Normen für die Stasi-Unterlagen erforderlich sind, ist ja für die Verwendung der Akten auch nichts gewonnen, wenn sie im Bundesarchiv lägen. Und da macht's dann praktisch überhaupt keinen Unterschied für den Nutzer, ob er die Unterlagen hier oder dort haben muss. Das Bundesarchivgesetz ist ja ein Gesetz, das die Forschung im Regelfall ermöglicht, während das Stasi-Unterlagengesetz, da ist es umgedreht, es geht davon aus, dass zunächst mal die Akten zu sein sollen, und es nennt Ausnahmen, in denen die Akten dennoch benutzt werden dürfen."
Nicht jede Stasi-Akte wäre demnach im Bundesarchiv sofort frei zugänglich, zumal das Archivgesetz vorschreibt, schutzwürdige Belange zu berücksichtigen, zum Beispiel die Intimsphäre von Personen. Der Zeithistoriker Martin Sabrow:
"Im Grenzfall müsste man in der Tat damit leben, dass einzelne Betroffene nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf die Tilgung ihrer nicht rechtsstaatsgemäß erhobenen Daten pochen können. Und es kann sein, dass der Staatsbürger über den Historiker dann siegt, und der Historiker zugeben muss, dass er bestimmte Quellen nicht einsehen darf, weil in ihnen Material gespeichert ist, das dem rechtsstaatsmäßigen Umgang und der Würde des Menschen nicht entspricht. Ich glaube nicht, dass das in sehr starkem Maße der Fall sein wird, aber wenn es der Fall sein sollte, obsiegt hier m.E. das politische Recht des Staatsbürgers, über solche Daten selbst verfügen zu dürfen - bis hin zur Löschung -, gegenüber der Neugier des Historikers."
Bereits jetzt befindet sich das Schriftgut der SED, der DDR-Blockparteien, Massenorganisationen und Gewerkschaften im Bundesarchiv. Es unterliegt nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich nicht der 30-jährigen Sperrfrist wie andere Archivalien. Eine ähnliche Regelung könnte der Bundestag auch für die Stasi-Unterlagen beschließen. Er müsste dann aber die besonderen rechtlichen Probleme der personenbezogenen Akten berücksichtigen.
"Ich würde mir wünschen vom Gesetzgeber, dass er allen Beteiligten eine ausreichende Planungszeit gibt von mindestens drei Jahren, um die Überleitung ordnungsgemäß hinzukriegen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, wenn er meint, dass für eine gewisse Übergangszeit die Stasi-Unterlagen noch einen besonderen Schutz genießen sollen, dann auch solche Vorkehrungen noch in das Bundesarchivgesetz rein zu schreiben."
Immerhin sind sich die Parteien weitgehend einig, dass es Bürgern, Journalisten und Wissenschaftlern auch künftig erlaubt sein soll, Einblick in die Akten zu nehmen. Selbst Petra Pau, Abgeordnete der Linken und Vizepräsidentin des Bundestags, plädiert für eine großzügige Regelung. Und ihre Genossinnen und Genossen von der PDS sind in der Vergangenheit nicht unbedingt als radikale Stasi-Aufklärer in Erscheinung getreten.
"Der Zugang muss weiter offen bleiben. Es ist ja doch etwas Einmaliges, was hier passiert ist, dass die Archive eines Geheimdienstes in dieser Weise der Forschung wie auch der persönlichen Aufarbeitung ermöglicht wurden. Da kann man nicht sagen, wir ziehen an dieser Stelle einen Schlussstrich."
Noch bevor die inhaltlichen Fragen einer Überleitung geklärt sind, reden die Politiker bereits über Termine. Kulturstaatsminister Neumann spricht vage von einer mittelfristigen Lösung. Weitere Ausführungen zu seinem Gedenkstättenkonzept will er derzeit nicht machen. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel versteht unter mittelfristig das Jahr 2011, der SPD-Parlamentarier Markus Meckel denkt an den 30. Jahrestag der Wende von 1989.
"Es ist gar keine Frage, dass ich persönlich wie auch andere Kollegen das Auslaufen der Amtszeit von Frau Birthler für einen geeigneten Zeitpunkt für diesen strukturellen Akt halten würde. Aber ich kann mir auch hier etwas spätere Zeitvorstellungen denken.
Wir haben hier eine Sondersituation geschaffen, und zwar mit gutem Recht damals, als es darum ging, die Akten zugänglich zu machen. Wir haben dann jetzt vorgeschlagen, dass man 30 Jahre nach diesem Ereignis, also 2019/2020, sehen sollte, dass man in die normale Struktur kommt, dass die Akten - wie auch die anderen DDR-Akten - in das Bundesarchiv kommen."
In den Anfangsjahren zählte die BSTU 3.200 Mitarbeiter, heute sind es noch 2.000. Eine Großbehörde mit einem Jahresetat von 100 Millionen Euro steht zur Disposition und weckt Begehrlichkeiten. Wer die Akten bekommt und wem Forschung und Bildungsarbeit übertragen werden, erhält Personal, Geld und Einfluss. Doch noch wehrt sich die Bundesbeauftragte Marianne Birthler gegen eine baldige Auflösung ihrer Behörde.
"Vor dem Jahr 2019 meiner Ansicht nach scheint es ganz indiskutabel zu sein, eher später."
Unterstützung erhält Marianne Birthler von ihrer Partei, den Bündnisgrünen. Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Bundestags:
"Wenn wir sehen, dass es mehr Wünsche auf Akteneinsicht gibt, heißt das für meine Begriffe ganz klar, dann wird sie offensichtlich noch gebraucht."
Der Kulturausschuss des Bundestags wird sich morgen nicht nur mit der Zukunft der Birthler-Behörde beschäftigen, sondern auch der Frage nachgehen, wie an die SED-Diktatur erinnert werden soll, zum Beispiel welche Bedeutung dem Alltagsleben in der DDR geschenkt wird. In dem Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung heißt es dazu:
Das Thema "Alltag in der DDR" wird berücksichtigt, um einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder "Ostalgie" entschieden entgegenzuwirken. Darstellungswürdig sind nicht die vermeintlichen "Bindungskräfte" der DDR, sondern das "Angst-Anpassungssyndrom des Alltags".
Politische Bildung dürfe sich nicht darauf beschränken, nur die repressiven Seiten totalitärer Herrschaft zu thematisieren, kritisiert Martin Sabrow das Konzept des Kulturstaatsministers.
"Es wird die Diktatur reduziert auf Angst, Anpassung, Korruption. Und es wird dabei vergessen, dass gerade diese Mischung von Duldungsstarre und Begeisterung, Anpassungs-Loyalität und Glaube an die Fortschrittlichkeit dieser SED-Herrschaft entscheidend sind, um Diktaturen zu erklären."
Bisher konzentrierte sich das öffentliche und politische Interesse an der DDR-Vergangenheit vor allem auf die Stasi-Akten. Experten beklagen die einseitige Fixierung auf den Verfolgungs- und Überwachungsapparat, statt die grundlegenden Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur zu analysieren. Deshalb soll möglichst bald in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin eine Ausstellung über Repression und Widerstand in der DDR entstehen.
Haus 1 in der Normannenstraße ist schon seit längerem als Erinnerungsstätte im Gespräch, residierte dort doch bis 1989 Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit. Bürgerrechtler haben in dem Gebäude nach der Wende mit bescheidenen Mitteln eine kleine Ausstellung aufgebaut. Hier ließe sich an einem authentischen Ort ein Dokumentationszentrum errichten, das die Täter und ihr Handeln in den Mittelpunkt stellt, eine Art "Anatomie der SED-Diktatur". Aber eignet sich Haus 1 auch als Ort des Widerstands? Hubertus Knabe:
"
Widerstand in Diktaturen findet nun mal im Verborgenen statt und nicht in irgendwelchen großen Hallen, wo man sich versammelt hat und wo man dann später vielleicht Ausstellungen gestalten könnte. Deswegen muss man notgedrungen ausweichen auf Orte, die vielleicht eine andere oder doppelte Bedeutung haben. Und nicht zuletzt wurde diese Zentrale im Januar 1990 gestürmt von Bürgerrechtlern, ein Bürgerkomitee überwachte dann die Auflösung der DDR-Geheimpolizei. Und dieser Akt des Widerstandes ist ein weiteres Argument für mich, hier an diesem Ort an Widerstand in der DDR zu erinnern."
Haus 1 soll gleichzeitig die Repressions- wie die Widerstandsseite der DDR-Diktatur darstellen; eine Notlösung, weil es keine überzeugenden Alternativen gibt. Der SPD-Politiker Markus Meckel, zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Opposition engagiert:
"Ich glaube nicht, dass der Ort in der Normannenstraße der richtige Ort ist, denn man muss sich deutlich machen, der Widerstand bezog sich nicht nur auf die Repression, sondern auf die Diktatur als Ganzes. Und er war nicht nur eine Reaktion auf die Repression, sondern er war von Menschenrechten und von eigenen Werten hergeleitet."
Markus Meckel schlägt stattdessen als Erinnerungsstätte die derzeit leerstehende Kirchliche Hochschule in der Borsigstraße in Berlin vor, ein Ort freien Denkens, wie er sagt. Allerdings stünde dann die kirchliche Opposition im Vordergrund. Anderen Widerstandsformen würde dieser Standort kaum gerecht werden.
Wie langwierig und schwierig es ist, angemessen an eine Diktatur zu erinnern, zeigt ein Blick auf die Gedenkstätten zum Nationalsozialismus. Erst mehr als 60 Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes haben in diesen Tagen in Berlin auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände die Bauarbeiten für einen Neubau der Topographie des Terrors begonnen.
Während jedoch die Erinnerung an den Nationalsozialismus als gesamtdeutsche Aufgabe inzwischen weithin akzeptiert wird, ist das Erbe der SED-Diktatur eine noch ungelöste Herausforderung. Nur ein Fünftel der Deutschen hat existenzielle Erfahrungen mit dem Kommunismus gemacht. Viele Menschen, vor allem im Westen der Republik, könnten die aktuelle Diskussion um die Stasi-Akten und die Auflösung der Birthler-Behörde zum Anlass nehmen, die DDR-Vergangenheit buchstäblich zu den Akten zu legen.
"Wenn wir junge Leute fragen, wer war Erich Mielke, dann sagt ihnen dieser Name überhaupt nichts mehr, bestenfalls tippen sie auf einen Schriftsteller. Hier muss die politische Bildung nicht nur beibehalten, sondern sogar verstärkt werden. Kein Schlussstrich kann möglich sein. Es geht um das langfristige Etablieren der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in dem Institutionengefüge von Gedenkstätten, Lernorten der politischen Bildung in Deutschland."