Silvia Engels: Die "Süddeutsche Zeitung" wartet heute mit einer guten Nachricht auf. Die Zahl der Kinder, die in ihren Familien auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, geht zurück. Das Blatt beruft sich dabei auf Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Danach ist die Zahl der unter 15-Jährigen, die von Hartz IV leben, von 2006 bis 2011 um 13,5 Prozent zurückgegangen. Das entspricht immerhin 257.000 Fällen. Kurz vor der Sendung sprachen wir mit Ulrich Schneider, er ist Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbandes. Und an ihn ging die Frage: Ist das eine gute Nachricht?
Ulrich Schneider: Es ist erst mal sicherlich eine gute Nachricht, aber sie ist natürlich wieder ein klein bisschen statistisch getrickst, wie wir das so häufig haben. Herr Alt hat das Jahr 2006 mit 2011 verglichen. Hätte er das Jahr 2005 mit 2011 verglichen – das wäre ja redlich gewesen -, dann hätte er sagen müssen, es sind leider nicht 13,5 Prozent weniger Kinder, sondern nur gerade mal sieben Prozent weniger Kinder. Mit anderen Worten: Zahlen hin, Zahlen her – wir haben heute kaum weniger Kinder im Hartz IV-Bezug als 2005, als das Gesetz in Kraft getreten ist. Wir haben 1,6 Millionen Kinder, deren Eltern langzeitarbeitslos sind und von Hartz IV leben müssen, und das ist definitiv zu viel.
Engels: Herr Alt – das zur Erklärung – sprach in diesem Artikel der "Süddeutschen Zeitung" für die Bundesagentur für Arbeit. Herr Schneider, Sie sagen, eigentlich ist die Reduzierung doch nicht so gewaltig. Erklären Sie das noch mal. Wo wurde da statistisch getrickst Ihrer Ansicht nach?
Schneider: Im Jahr 2005 hatten wir etwa 1,7 Millionen Kinder in Hartz IV und wir hatten im Jahr 2006 etwa 1,9 Millionen Kinder in Hartz IV und wir haben heute 1,6 Millionen Kinder in Hartz IV, und das heißt, der Herr Alt hat sich die Zahl herausgesucht, die am höchsten war zum Vergleich – das war 2006 -, und hat dann gerechnet, und dann hat man natürlich auch ein schönes Ergebnis. Fakt ist – und das ist für uns entscheidend -, wir haben heute gerade mal 160.000 Kinder weniger in Hartz IV als im Jahr 2005. Mit anderen Worten: Es ist nicht gelungen, das Problem von Kindern in Armut, von Kindern in Hartz IV wesentlich zu bekämpfen.
Engels: Die Statistik gibt auch her, dass die regionalen Unterschiede beträchtlich sind. Im wachstumsstarken Bayern ging die Kinderarmut danach überproportional zurück, in Berlin oder anderen Stadtstaaten bleibt die Anzahl der Kinder, die Hartz IV benötigen, fast gleich. Verfestigen sich hier Strukturen?
Schneider: Die Kinderarmut folgt praktisch der allgemeinen Armut und wir haben im Dezember ja schon in unserem Armutsbericht darauf hinweisen können, dass wir zwei große Problemregionen in Deutschland haben. Das ist Berlin und das ist Nordrhein-Westfalen, und in Nordrhein-Westfalen insbesondere das Ruhrgebiet. Das findet sich jetzt auch bei den Kinderarmutszahlen wieder. Wir müssen hingehen und müssen bei den Regionen, wo wir feststellen, da verfestigen sich in der Tat Dinge, wenn man nicht aufpasst, dringend zu Infrastrukturmaßnahmen greifen und insbesondere auch zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Aber im Moment passiert ja durch die Politik der Bundesregierung genau das Gegenteil.
Engels: Herr Schneider, Sie haben für die Wohlfahrtsverbände in den vergangenen Jahren ja immer beklagt, dass die Leistungen für Hartz IV grundsätzlich zu niedrig seien. Zeigen diese Zahlen bei all ihren Schwächen aber nicht doch auch, dass es offenbar dennoch eine starke Motivation gibt, aus diesen zugegeben geringen Leistungen aber auch herauszukommen, sich vielleicht besonders selbst versorgen zu wollen, gerade weil die Leistung so niedrig ist?
Schneider: Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass die Leistung so niedrig ist und deshalb die Leute heraus wollen. Wir müssen feststellen, dass die Menschen ja auch Ein-Euro-Jobs wahrgenommen haben, anderes, ein bisschen zuverdient haben und anderes, obwohl sie kaum mehr Geld dadurch hatten. Die Menschen wollen arbeiten, weil sie für sich selber verantwortlich sein wollen. Sie wollen arbeiten, weil sie sich und ihren Kindern zeigen wollen, ich kann es, ich kann für dich sorgen. Das hat was mit Würde zu tun und mit Stolz, und den haben auch Hartz IV-Bezieher, und ich denke, der Wille zur Arbeit ist bei den allermeisten deshalb ganz stark. Dazu bräuchte man keine Leistung kürzen und die Menschen nicht in Armut treiben, wie es derzeit zu Teilen ja geschieht.
Engels: Die Bundesagentur für Arbeit verweist darauf, dass es gerade der Ausbau der Kinderbetreuung sein kann, der der Schlüssel dafür sein kann, die Zahl der von Hartz IV abhängigen Kinder zu reduzieren. Teilen Sie das?
Schneider: Da ist was ganz Wahres dran. Wir müssen feststellen, dass gerade alleinerziehende ganz stark von Hartz IV betroffen sind, und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sie häufig nicht wissen, wohin mit meinen Kindern, wenn ich denn einen Job angeboten bekomme. Wir haben hier noch ein Defizit, nicht nur in der Zahl der Betreuungsplätze, sondern auch beispielsweise bei den Öffnungszeiten. Eine Kassiererin, von der verlangt wird, dass sie bis zehn Uhr nachts irgendwo an der Kasse sitzt, die muss erst mal jemand finden, der ihr Kind dann auch tatsächlich betreut, und das ist außerordentlich schwierig. Hier stehen wir vor einer großen Aufgabe.
Engels: Öffentliches Geld ist bekanntlich knapp und man kann den Euro nur einmal ausgeben. Sollte man sich dann für Kita-Plätze entscheiden, oder für ein paar Euro mehr für die einzelnen Hartz IV-Empfänger?
Schneider: Deutschland ist das fünftreichste Land auf dieser Welt, wir sollten uns endlich für Steuererhöhungen entscheiden bei der Erbschaftssteuer, bei der Vermögenssteuer, aber auch bei der Einkommenssteuer, dann hätten wir Geld für beides.
Engels: Wir sprachen mit Ulrich Schneider, er ist der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbandes, und wir gingen der Nachricht nach, wonach die Zahl der Kinder, die von Hartz IV-Leistungen abhängig sind, zurückgegangen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ulrich Schneider: Es ist erst mal sicherlich eine gute Nachricht, aber sie ist natürlich wieder ein klein bisschen statistisch getrickst, wie wir das so häufig haben. Herr Alt hat das Jahr 2006 mit 2011 verglichen. Hätte er das Jahr 2005 mit 2011 verglichen – das wäre ja redlich gewesen -, dann hätte er sagen müssen, es sind leider nicht 13,5 Prozent weniger Kinder, sondern nur gerade mal sieben Prozent weniger Kinder. Mit anderen Worten: Zahlen hin, Zahlen her – wir haben heute kaum weniger Kinder im Hartz IV-Bezug als 2005, als das Gesetz in Kraft getreten ist. Wir haben 1,6 Millionen Kinder, deren Eltern langzeitarbeitslos sind und von Hartz IV leben müssen, und das ist definitiv zu viel.
Engels: Herr Alt – das zur Erklärung – sprach in diesem Artikel der "Süddeutschen Zeitung" für die Bundesagentur für Arbeit. Herr Schneider, Sie sagen, eigentlich ist die Reduzierung doch nicht so gewaltig. Erklären Sie das noch mal. Wo wurde da statistisch getrickst Ihrer Ansicht nach?
Schneider: Im Jahr 2005 hatten wir etwa 1,7 Millionen Kinder in Hartz IV und wir hatten im Jahr 2006 etwa 1,9 Millionen Kinder in Hartz IV und wir haben heute 1,6 Millionen Kinder in Hartz IV, und das heißt, der Herr Alt hat sich die Zahl herausgesucht, die am höchsten war zum Vergleich – das war 2006 -, und hat dann gerechnet, und dann hat man natürlich auch ein schönes Ergebnis. Fakt ist – und das ist für uns entscheidend -, wir haben heute gerade mal 160.000 Kinder weniger in Hartz IV als im Jahr 2005. Mit anderen Worten: Es ist nicht gelungen, das Problem von Kindern in Armut, von Kindern in Hartz IV wesentlich zu bekämpfen.
Engels: Die Statistik gibt auch her, dass die regionalen Unterschiede beträchtlich sind. Im wachstumsstarken Bayern ging die Kinderarmut danach überproportional zurück, in Berlin oder anderen Stadtstaaten bleibt die Anzahl der Kinder, die Hartz IV benötigen, fast gleich. Verfestigen sich hier Strukturen?
Schneider: Die Kinderarmut folgt praktisch der allgemeinen Armut und wir haben im Dezember ja schon in unserem Armutsbericht darauf hinweisen können, dass wir zwei große Problemregionen in Deutschland haben. Das ist Berlin und das ist Nordrhein-Westfalen, und in Nordrhein-Westfalen insbesondere das Ruhrgebiet. Das findet sich jetzt auch bei den Kinderarmutszahlen wieder. Wir müssen hingehen und müssen bei den Regionen, wo wir feststellen, da verfestigen sich in der Tat Dinge, wenn man nicht aufpasst, dringend zu Infrastrukturmaßnahmen greifen und insbesondere auch zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Aber im Moment passiert ja durch die Politik der Bundesregierung genau das Gegenteil.
Engels: Herr Schneider, Sie haben für die Wohlfahrtsverbände in den vergangenen Jahren ja immer beklagt, dass die Leistungen für Hartz IV grundsätzlich zu niedrig seien. Zeigen diese Zahlen bei all ihren Schwächen aber nicht doch auch, dass es offenbar dennoch eine starke Motivation gibt, aus diesen zugegeben geringen Leistungen aber auch herauszukommen, sich vielleicht besonders selbst versorgen zu wollen, gerade weil die Leistung so niedrig ist?
Schneider: Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass die Leistung so niedrig ist und deshalb die Leute heraus wollen. Wir müssen feststellen, dass die Menschen ja auch Ein-Euro-Jobs wahrgenommen haben, anderes, ein bisschen zuverdient haben und anderes, obwohl sie kaum mehr Geld dadurch hatten. Die Menschen wollen arbeiten, weil sie für sich selber verantwortlich sein wollen. Sie wollen arbeiten, weil sie sich und ihren Kindern zeigen wollen, ich kann es, ich kann für dich sorgen. Das hat was mit Würde zu tun und mit Stolz, und den haben auch Hartz IV-Bezieher, und ich denke, der Wille zur Arbeit ist bei den allermeisten deshalb ganz stark. Dazu bräuchte man keine Leistung kürzen und die Menschen nicht in Armut treiben, wie es derzeit zu Teilen ja geschieht.
Engels: Die Bundesagentur für Arbeit verweist darauf, dass es gerade der Ausbau der Kinderbetreuung sein kann, der der Schlüssel dafür sein kann, die Zahl der von Hartz IV abhängigen Kinder zu reduzieren. Teilen Sie das?
Schneider: Da ist was ganz Wahres dran. Wir müssen feststellen, dass gerade alleinerziehende ganz stark von Hartz IV betroffen sind, und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sie häufig nicht wissen, wohin mit meinen Kindern, wenn ich denn einen Job angeboten bekomme. Wir haben hier noch ein Defizit, nicht nur in der Zahl der Betreuungsplätze, sondern auch beispielsweise bei den Öffnungszeiten. Eine Kassiererin, von der verlangt wird, dass sie bis zehn Uhr nachts irgendwo an der Kasse sitzt, die muss erst mal jemand finden, der ihr Kind dann auch tatsächlich betreut, und das ist außerordentlich schwierig. Hier stehen wir vor einer großen Aufgabe.
Engels: Öffentliches Geld ist bekanntlich knapp und man kann den Euro nur einmal ausgeben. Sollte man sich dann für Kita-Plätze entscheiden, oder für ein paar Euro mehr für die einzelnen Hartz IV-Empfänger?
Schneider: Deutschland ist das fünftreichste Land auf dieser Welt, wir sollten uns endlich für Steuererhöhungen entscheiden bei der Erbschaftssteuer, bei der Vermögenssteuer, aber auch bei der Einkommenssteuer, dann hätten wir Geld für beides.
Engels: Wir sprachen mit Ulrich Schneider, er ist der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbandes, und wir gingen der Nachricht nach, wonach die Zahl der Kinder, die von Hartz IV-Leistungen abhängig sind, zurückgegangen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.