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Wohlfühlen durch Verzicht
Heilfasten, Plastikfasten, Lügenfasten

Die meisten Deutschen befürworten das Fasten, das haben repräsentative Umfragen gezeigt. Wobei diese Einstellung nicht immer religiös motiviert ist. Im Gegenteil: Oft geht es um Gesundheit und Wohlbefinden. Das weltliche Fasten erobert den Alltag, doch der Verzicht hat religiöse Wurzeln.

Von Burkhard Schäfers |
Neben einem Teller, auf dem eine Scheibe Brot liegt, liegen Messer und Gabel. Zudem steht ein mit Wasser gefülltes Glas dabeil
Wasser und Brot: Verzicht ist eine Unterbrechung des Alltags (picture-alliance/chromorange)
Ach ja, in der guten alten Zeit war es einfach zu fasten. Zu den 40 Tagen vor Ostern gehörten: kein Fleisch, regelmäßige Buße, tätige Nächstenliebe und Almosen. Neuerdings aber hat sich das Intervallfasten breit gemacht: Da gibt es die 16-zu-8-Regel, das 5-zu-2-Fasten und die Eat-Stop-Eat-Methode.
Um es ernsthaft zu wenden: Verzicht wird gesellschaftlich immer anerkannter. Es gilt nicht länger als allein religiöses Phänomen. Wer fastet, unterbricht gewohnte Routinen, sagt der Münchner Jesuit Karl Kern: "Das Fasten des Leibes soll die inneren Kräfte wecken. Das ist etwas sehr, sehr Heilsames. Wobei man heutzutage vielleicht nicht nur an Essen denken muss, sondern auch an Internetkonsum. Oder zu viel Kommunikation kann auch schädlich sein. Alles kann schädlich sein im Übermaß."
Karl Kern
Der Münchner Jesuit Karl Kern (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Weniger online sein – das ist laut einer Forsa-Umfrage einer der häufigsten Vorsätze für dieses Jahr. Der Verzicht auf Alkohol, Süßigkeiten und Fleisch gilt auch unter Konfessionslosen als hehres Ideal. Es gibt Heilfasten, Plastikfasten, Autofasten – sogar Lügen-Fasten. Die Motive sind vielfältig: Glaube, Selbstdisziplin, Gesundheit. Haben wir also einerseits das religiöse und andererseits das weltliche Fasten?
Diese Trennung hält Ordensmann Kern für fragwürdig: "Zunächst zeigt das, dass alles explizit Religiöse eine natürliche Basis hat. Dass man weiß, es tut dem Körper gut. Das Christliche wäre: Du bist nicht nur Körper, du bist auch Seele und Geist. Im Grunde will alles natürlich Gute durch die Religion vertieft werden. Und in dem Sinne kann man sagen: Wunderbar, dass diese alten Traditionen etwas von ihrem verstaubten Image befreit werden und die Menschen sehen: Das sind ja uralte Weisheiten, die da drin stecken."
Ramadan, Jom Kippur, Fastenzeit vor Ostern
Traditionen des Fastens finden sich vor allem in den monotheistischen Religionen: Im muslimischen Kalender ist der neunte Monat der Fastenmonat Ramadan. Zu dieser Zeit, heißt es in der zweiten Sure, wurde der Koran als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt. Muslime fasten täglich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Kranke, Reisende, Schwangere und Kinder sind ausgenommen. Am Ende des Ramadans steht das dreitägige Fest des Fastenbrechens, im Türkischen Zuckerfest.
Ein Teller mit Essen ist im Vordergrund. Im Hintergrund sitzen eine Reihe Männer muslimischen Glaubens, die das Fastenbrechen nach Ramadan zelibrieren.
Muslime beim Fastenbrechen nach Ramadan (imago/Xinhua )
Im Judentum gibt es mehrere einzelne Fastentage, vor allem den Versöhnungstag Jom Kippur. Einen Tag und eine Nacht lang verzichten Juden - um der seelischen Reinigung willen - auf Essen und Trinken, Geschlechtsverkehr, aufs Autofahren und weitere Dinge, die den heiligen Tag stören könnten.
Christen kennen vor allem die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern, ebenso den Advent zur Vorbereitung auf Weihnachten. In den orthodoxen Kirchen gibt es zudem die Apostel-Fastenzeit nach Pfingsten sowie die Marien-Fastenzeit im August.
Wunderliche Fasten-Gebote
Beim religiös motivierten Verzicht seien Außen und Innen als Einheit zu betrachten, sagt Jesuit Karl Kern: "Für uns als Christen ist die Gottesbeziehung – dass die mit der Fastenzeit wächst und reift – das ist das einzig Entscheidende. Und das soll durch körperliche Übungen, durch Fasten, sich mehren. Die äußeren Übungen sind nicht das Entscheidende, aber sie gehören dazu. Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut."
Nicht immer erschließt sich auf Anhieb die Logik religiöser Fastengebote. So manches traditionelle Ordnungsmuster klingt heute wunderlich, sagt Daria Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München: "In katholischen Traditionen pflegte man, am Freitag Fisch zu essen. Das hatte damit zu tun, dass man Fisch nicht als Fleisch betrachtet hat. Was für die heutige Betrachtung der Tierwelt eine auffällige Idee ist, weil: Man würde den Fischen das Recht absprechen, Tiere zu sein."
Was und wie Menschen fasten, hat maßgeblich mit Zeit, Ort und Kultur zu tun. Heute löst sich das Fasten von den Vorgaben religiöser Institutionen. Anstatt der Kirche vertrauen die Menschen der Ernährungswissenschaft mit ihren verschiedenen Methoden des Intervallfastens. Stunden oder Tage des Verzichts wechseln sich ab mit normalem Essen. Studien zeigen, dass dieses intermittierende Fasten gesund ist, weil es den Stoffwechsel verbessert. Forscher und Ärzte gehen sogar davon aus, regelmäßiges Fasten könnte das Leben verlängern.
Alte Praktiken neu gedeutet
Es geht also ums Aussetzen – um die Pause vom Gewohnten. Womöglich mit dem Ziel, manches grundsätzlich in Frage zu stellen: die Tüte Chips abends auf dem Sofa, das rituelle Wochenend-Besäufnis, oder das ziellose Scrollen durch die Facebook-Timeline.
Worauf wir verzichten, sei kontextabhängig, erklärt die Schweizer Religionswissenschaftlerin: "Es ist etwas anderes, wenn wir von Fasten sprechen in einer Gesellschaft, in der Nahrungsmittel knapp sind, oder in einer Gesellschaft des Überflusses. Es gibt Fastenpraktiken in Selbstfindungskursen, damit man fitter ist. Es gibt regulierendes Essen durch Sportaktivitäten. Und gleichzeitig kann man sie auch religiös überladen. Spannend finde ich aber festzustellen, dass auch in einer Gesellschaft wie unserer – wo man sehr frei über Religion entscheidet – religionsgeschichtlich verankerte Praktiken revitalisiert und neu gedeutet werden."
Die Religionshistorikerin Daria Pezzoli-Olgiati
Die Religionshistorikerin Daria Pezzoli-Olgiati (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Religion kann also Ursprung, Spielart oder Wesensmerkmal der jeweiligen Fastenpraxis sein. Zwar sind heute weniger Menschen Mitglieder von Kirchen, doch beim Thema Essen gebe es nach wie vor viele Regeln, sagt Daria Pezzoli-Olgiati.
"Versuchen Sie, zwanzig Freunde einzuladen. Die Idee, einen Teller Spaghetti Bolognese zu servieren und alle freuen sich, ist nicht mehr realistisch. Es gibt Menschen, die haben vermeintliche oder tatsächliche Allergien, viele sind Vegetarier, andere sind vegan. Das sind alles Regulierungen des Essens, die durch Individuen oder andere Gruppierungen vorgenommen werden, und nicht mehr von religiösen Institutionen. Das heißt: Die Praxis bleibt, die Akteure verändern sich."
Zeiten des Genusses, Zeiten der Reduktion
Ein verbreitetes Vorurteil lautet: Religion ist genussfeindlich. Bestes Gegenbeispiel ist das jüdische Purim-Fest mit der Pflicht, ordentlich Wein zu trinken. Fasten ist an Purim sogar verboten.
"Die großen religiösen Feste sind sehr genussvoll. Übergangsriten von der Geburt bis zum Tod oder Hochzeiten: Das sind Zeiten des Genusses. Es gibt beides: Zeiten des Feierns, des Entspannens, des Genusses – und dann Zeiten der Reduktion", so die Religionswissenschaftlerin Pezzoli-Olgiati.
Apropos Reduktion: Die Fastenzeit ist nicht zuletzt die Zeit der zahlreichen guten Vorsätze. Wie es mit denen häufig ausgeht, ist bekannt. Deshalb sagt Jesuit Karl Kern: "Ein Vorsatz, bitte. Wir sind ein komplexes Wesen, und wenn wir uns an einem winzigen Punkt verändern, verändern wir uns insgesamt. Man kann manche Dinge auch mal laufen lassen. Diese verbissene Leistungsmentalität, die sollte nicht in die Pausenkultur einziehen."