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Wohnen 65 plus
Ökonom: Senioren können sich einen Umzug kaum leisten

Die Wohnungsnot wird sich verschärfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ab 2025 in Rente gehen, so eine Studie des Pestel-Instituts. Das liege daran, dass stark steigende Wohnkosten auf letztlich sinkende Renten stoßen, sagte Matthias Günther, Mitautor der Studie, im Dlf.

Matthias Günther im Gespräch mit Britta Fecke |
    Mehrere Senioren sitzen auf einer Bank, im Hintergrund ist ein großer Wohnungsblock zu sehen.
    Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, so der Ökonom Matthias Günther - auch und besonders für Senioren (picture alliance / Chromorange)
    Britta Fecke: Die Miet- und Immobilienpreise steigen in deutschen Großstädten stetig und ein Ende dieser Tendenz ist nicht abzusehen. Das hat zur Folge, dass einkommensschwächere Personen oder Familien aus den Innenstädten verdrängt werden. Das bedeutet auch, dass ein Umzug so gut es eben geht vermieden wird, weil die neue Bleibe in der Regel viel teurer wird, so dass viele in der alten, vielleicht auch zu großen Wohnung günstiger leben als in einer neu gemieteten kleineren Immobilie. Doch mit dem Alter sind viele Menschen gezwungen, ihre Wohnung im vierten Stock oder das Haus mit den vielen Treppen zu verlassen.
    Matthias Günther vom Pestel-Institut für Systemforschung in Hannover prognostiziert in der Studie "Wohnen 65 plus", die in einer Stunde vorgestellt wird, diesen älteren Menschen große Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt der Zukunft. Herr Günther, warum sehen Sie denn so schwarz für den grauen Wohnungsmarkt?
    Matthias Günther: Das Problem ist, dass heute stark steigende Wohnkosten auf letztlich sinkende Renten stoßen, weil immer mehr Menschen in den Ruhestand gehen, die im Niedriglohnsektor gearbeitet haben, die lange Arbeitslosenzeiten zu verbuchen haben in ihrem Erwerbsleben, die 45 Jahre gar nicht mehr voll kriegen. Das ist ein Thema, was heute schon akut ist, sich aber noch deutlich verschärfen wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre ab 2025 dann in den Ruhestand gehen.
    "Weniger Erwerbstätige, mehr Renter"
    Fecke: Ich habe in der Studie auch von 2035 als Zahl gelesen, wo es besonders kritisch werden sollte. Da sind die geburtenstarken Jahrgänge aber schon betroffen?
    Günther: Das ist eigentlich der Punkt, weshalb wir dieses Jahr 2035 immer herausgreifen. Das wird ziemlich mit die schwierigste Phase, weil dann die geburtenstarken Jahrgänge nahezu komplett im Ruhestand sind – ob nun Rente mit 67 oder mit 65 oder mit 68 – und wir dann diese Schwierigkeiten haben, dass weniger Erwerbstätige mehr Rentner mit versorgen müssen. Ich denke, wir haben eigentlich kein Produktionsproblem. Wir produzieren ja seit Jahrzehnten mehr, als wir eigentlich verbrauchen können. Wir haben allerdings ein Verteilungsproblem, weil gerade die Leute, die niedrige Einkommen haben, in der Regel gar nicht in der Lage sind, selbst noch privat vorzusorgen
    "Bereitschaft, etwas zu ändern, ist im Moment nicht erkennbar"
    Fecke: Kann es nicht sein, dass sich dann einfach nur der Markt für ältere Menschen etwas verschiebt? Ich weiß von einem Bürgermeister, der an der Oder hin zu Polen alte Lagerhäuser altersgerecht umgebaut hat und damit sein Dorf, wo eigentlich kaum mehr jemand wohnte, ganz gut angefüllt hat. Darum ist auch eine Infrastruktur entstanden von Pflegekräften und auch von einem Bäckereibetrieb. Ist das nicht vielleicht auch eine Möglichkeit?
    Günther: Na ja. Ob die Verlagerung von Menschen im höheren Alter in Regionen, wo es etwas ruhiger und damit auch preiswerter ist, die Lösung sein kann, das sehe ich eher nicht. Denn eigentlich möchten die Menschen natürlich in ihrem sozialen Umfeld bleiben. Wir hatten ja auch schon Ansätze, dass im nordhessischen Bereich Leerstände in Einfamilienhäusern aufgefüllt wurden mit Senioren aus Holland. Das ist in Einzelfällen in einzelnen Gemeinden vielleicht mal ganz positiv; das wird aber das Problem insgesamt nicht lösen. Wir stehen dort tatsächlich vor dem Problem, weil die Wiedervermietungsmieten und die Neuvermietung so stark gestiegen sind im Preis, dass die Senioren auch einen Umzug in der Stadt, in der sie leben, sich im Grunde genommen gar nicht leisten können, weil die neue kleine Wohnung dann deutlich teurer ist als die bisher bewohnte ältere Wohnung.
    Fecke: Wie müssten denn die Stadtplaner und auch die Bundesregierung umschwenken, um einfach bezahlbaren Wohnraum für diese älteren Menschen zu schaffen?
    Günther: Zunächst mal brauchen wir natürlich bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen, denn das fehlt ja insgesamt. Die stark steigenden Wohnkosten in den Städten sind ja gerade der Ausdruck dieser Knappheit an Wohnungen. Das Ganze muss über Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden, und wenn ich nicht mehr Angebot schaffen kann, muss ich es überm Preis ausgleichen. Das ist das, was in den letzten Jahren passiert ist, womit die meisten doch sehr unglücklich sind, auch die Politiker. Aber die Bereitschaft, tatsächlich etwas zu ändern, ist im Moment nicht erkennbar.
    "Mindestrente, die über der Grundsicherung liegt"
    Fecke: Jetzt sind ja die Älteren tatsächlich nicht mehr ganz so flexibel, weil auch einfach die Kraft fehlt. Was können Sie denn sagen, wie könnten Menschen, die jetzt noch in der Mitte ihres Lebens stehen, etwas vorsorgen mit Blick auf Ihre Studie?
    Günther: Wer es tatsächlich kann, sollte natürlich finanziell vorsorgen fürs Alter. Aber erzählen Sie das mal Menschen, die den Mindestlohn beziehen und mit dem Mindestlohn, selbst wenn sie 45 Jahre Vollzeit arbeiten, nicht über die Grundsicherung hinauskommen. Das heißt, wir haben A ein Problem möglicherweise beim Mindestlohn und B mit Sicherheit eines bei den Renten. Ich denke, das was inzwischen angedacht wird, das österreichische Modell, wo man mit einer bestimmten Zahl an Jahren, die man eingezahlt hat, eine Mindestrente bekommt, die über der Grundsicherung liegt und für die man auch keine Vermögensnachweise führen muss, dass das sicher ein Weg ist, eine Richtung, in die es gehen wird. Das ist ja von den Grünen schon gefordert. Frau Kramp-Karrenbauer hat das ja nun auch gerade ein Stück weit angedeutet, eine solche Richtung. Das wäre natürlich ein Ansatz, um Altersarmut tatsächlich im großen Stil ein Stück weit zu vermeiden.
    Fecke: Ich sprach mit Matthias Günther vom Pestel-Institut für Systemforschung über die Studie, die er gleich vorstellt, "Wohnen 65 plus". Vielen Dank dafür.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.