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Wohnen in Berlin
Investor mit Herz gesucht

Ein Haus soll verkauft werden, wie so oft in Berlin. Doch die Mieter, die zum Teil schon seit 40 Jahren hier leben, wollen sich ihr Haus nicht wegkaufen lassen - und suchen nun auf eigene Faust einen Investor, der nicht gleich alles in Eigentumswohnungen umwandelt.

Von Manfred Götzke |
Protestmarsch am 1. Mai 2019 unter dem Motto "Hände weg vom Wedding"
Aktionen gegen den Verkauf von Häusern: Die Mieter am Straußberger Platz setzen auf Eigeninitiative. (imago / Müller-Stauffenberg)
"Ich habe diese Wohnung das erste Mal betreten, 1965. Weil meine Schwiegereltern hier lebten, die sind am 15. Juni 1953 hier eingezogen."
Annett Hitzigrath führt durch ihre Dreizimmerwohnung im vierten Stock des Mietshauses am Strausberger Platz, Nummer 12. Im großen Holzregal im Esszimmer stehen neben einigen Klassikerbänden Porzellankatzen, Glasfischchen und Zierteller. Alles wohl aufeinander abgestimmt.
"Was hier in der Schrankwand ist, Erbstücke meiner Eltern, das ganze Porzellan hier."
Es ist eine Wohnung voller Erinnerungen aus einem langen Leben. Seit 1965 war sie fast täglich hier – um ihren zukünftigen Mann zu besuchen. 1980 ist sie mit ihm dann selbst eingezogen. Dass sie bald möglicherweise raus muss: Sie kann es immer noch nicht so ganz fassen.
"Es sind schöne Erinnerungen, traurige Erinnerungen, mir würde das Herz bluten, wenn ich hier raus müsste."
Nur alte Familienfotos von ihrem verstorbenen Mann hat die Dame hier nicht hängen. Das würde der 74-jährigen Rentnerin zu sehr wehtun, erzählt sie, während sie mir noch ihren geliebten Balkon zeigt.
"Wenn jemand so lange hier in der Wohnung wohnt, wie ich, und die Wohnung mit so vielen Erinnerungen teilt, möchte man hier alt werden und mit den Füßen zuerst hier rausgetragen werden. Und nicht von alleine gehen müssen."
Nach der kurzen Führung gehen wir zwei Etagen runter, in die Wohnung der Dornbuschs. Hier treffen sich an diesem Juli-Abend die Hausbewohner zur Krisensitzung.
"Der aktuelle Stand ist, dass die "Berliner Zeitung" einen Artikel in Arbeit hat."
Vor zwei Monaten kündigte der Vermieter den Verkauf an
Wie so oft, seit vor zwei Monaten ein Brief ihrer Vermieter im Kasten war. Dass ihr Haus verkauft wird – und sie sich bereithalten sollen. Für etwaige Wohnungsbesichtigungen.
"Das war für uns alle ein Schock, wir haben immer, wenn ich hier in Berlin die Plakate gesehen haben mit "Wir wollen bleiben", da hab ich immer gedacht: Die Armen, aber uns kann das ja nicht passieren. Das ist eine Erbengemeinschaft, die wollen nur ihre Miete."
Bei Kaffee und kühlem Wasser diskutieren sie, was sie noch tun können, um zu bleiben. Es ist eine ziemlich bunte Mischung, die sich um den ovalen Glastisch zusammendrängt. Rentnerinnen, die wie Anett Hitzigrath schon ewig hier leben, junge Managerinnen und Studenten. Und Silvia Dornbusch, bei der sie wie immer zusammensitzen, weil sie im Rollstuhl sitzt und deshalb meist zuhause ist.
"Ich bin diejenige, die das alles organisieren kann, denn die meisten sind berufstätig. Und somit sammle ich alles und verteile es."
Das Mietshaus am Strausberger Platz liegt direkt an der Karl-Marx-Allee, der Prachtstraße mit ihren stalinistischen Zuckerbäckerbauten. Dort waren die Mieter vor einigen Monaten ebenfalls von einem Verkauf bedroht: Der Eigentümer wollte mehrere 100 Wohnungen verkaufen - an den in Berlin verhassten Immobilienkonzern Deutsche Wohnen. Nach monatelangem Protest kam der Bezirk dem Konzern zuvor, kaufte 670 Wohnungen auf für mutmaßlich 4.000 Euro den Quadratmeter. Der Regierende Bürgermeister sprach von einem ersten Schritt, damit sich "Berliner das Wohnen in der Stadt weiterhin leisten können".
Kein Vorkaufsrecht für Berlin
Die Mieter hier haben davon nichts, erzählt Madleen Brückner. Denn das Land kann sein Vorkaufsrecht nur in sogenannten Milieuschutzgebieten ausüben. Ihr Haus aber liegt direkt an der Grenze.
"Das war das erste was ich geprüft habe. Und dann habe ich erkannt, OK, kein Milieuschutz. Und dann war klar, die Politik wird uns vermutlich hängen lassen."
Jetzt suchen sie hier also selbst nach einem neuen Käufer. "Freundliche Mieter suchen Investor mit Herz" nennen sie ihre kleine Kampagne. Anders als die vielen anderen Berliner Initiativen, die mit Protestkundgebungen und Plakaten gegen Mieterhöhung und Verdrängung kämpfen, suchen sie also selbst ihren Nach-Vermieter - der auch an seine Mieter denkt.
- "Ein freundlicher Investor, der nicht nur auf Rendite aus ist, nicht sofort Mieterhöhungen macht und auch in den Vertrag festschreibt, dass es keine Eigenbedarfskündigung gibt."
- "Gibt es die denn noch in Berlin?"
- "Das hoffen wir."
Die Mieter konnten den Eigentümer, eine Erbengemeinschaft aus Westdeutschland immerhin davon überzeugen, ihnen ein bisschen Zeit zu geben, um selbst nach einem Käufer zu suchen. Leicht dürfte das nicht werden, denn der Kaufpreis für die 21 Wohnungen liegt bei knapp sieben Millionen – und viele Mieter haben noch günstige Verträge. Findet sich kein solventer Retter, dürften die Wohnungen einzeln verkauft werden. Und dann droht ihnen Kündigung wegen Eigenbedarfs.
"Es laufen schon Besichtigungen der einzelnen Wohnungen. Und es gab auch schon Interessenten, die gesagt haben, oh hier kann ich mir aber sehr schön vorstellen, einzuziehen. Unsere große Sorge ist, dass wir hier bald raus müssen – bei mir wäre das in drei Monaten."
"Ich habe ja nochmal geschrieben, aber das wird dann vielleicht zu spät sein in 14 Tagen oder wenn wir dann schon verkauft sind."
Viel Zeit bleibt nicht
Silvia Dornbusch geht mit ihren Mitbewohnern noch mal alle Optionen durch, vielleicht doch noch mal an den Bezirk wenden – oder Investoren direkt anschreiben? Für die 57-Jährige Rollstuhlfahrerin wäre ein Umzug besonders hart. Ihr Lebensgefährte hat hier im Haus sein Büro, kann ihr immer mal behilflich sein. Müsste sie hier raus, würde sie nicht nur ihr Zuhause verlieren
"Ich würde meine Unabhängigkeit verlieren. Das würde alles nicht mehr funktionieren."
Noch hat sich kein Investor mit Herz gemeldet, erzählt Dornbusch. Jedenfalls keiner, der den vollen Kaufpreis zahlen will. Knapp vier Wochen haben sie noch Zeit für ihre Suche.
"Und deswegen sind wir noch fleißig weiter am Trommeln, dass wir doch noch einen finden, der uns so wie wir sind als gute Hausgemeinschaft übernehmen würde.