SFB Reportage 1958:
"Der herrliche Sonnenschein eines wunderschönen Maimorgens lässt den sonst so kahlen Betonklotz des Corbusierhauses fast warm erscheinen."
Der Reporter vom Sender Freies Berlin hegt am Tag des Erstbezugs im Mai 1958 Zweifel. Der 17-stöckige Wohnblock, den Le Corbusier anlässlich der internationalen Bauausstellung zwischen Innenstadt und Grunewald erbauen ließ, stieß damals wie heute auf geteilte Meinung. Für die einen ein privilegiertes Appartementhaus im Grünen, ist er den anderen ein anonymer Wohnklotz. Was macht das Leben in der so genannten "Wohnmaschine" aus? Welche von Corbusiers Ideen über moderne Architektur und den modernen Mensch wirken nach 50 Jahren weiter? Diese Fragen wurden am vergangenen Wochenende auf einem Symposium am Berliner Corbusier Haus diskutiert. Der Marseiller Dominique Claudius-Petit ist Vorsitzender der internationalen Stiftung der Freunde Corbusiers. Mit 50 Anhängern hat er sich auf den Weg nach Berlin gemacht:
"Le Corbusier wollte keine Hasenkäfige bauen, sondern er versuchte, den menschlichen Lebensraum auf industrielle Weise und in einem überschaubaren finanziellen Rahmen den Bedürfnissen anzupassen. Egal ob Familien mit oder ohne Kindern, ob alt oder jung - die Menschen sollten sich innerhalb der Gesellschaft verwirklichen können."
Corbusier wollte mit seiner "Wohnmaschine", der "neuen Generation des Maschinenzeitalters" ein zu Hause geben. Bis heute ist ein gewisser Stolz zu spüren, das Haus zu bewohnen, mit zur Gemeinschaft zu gehören. Zum fünfzigsten Geburtstag des Typ Berlin haben Bewohner eine Ausstellung über die Anfänge und den Alltag im Haus zusammengestellt. Ein Appartement im Originalzustand und Designer Möbel des Meisters findet man hier ebenso wie Fotostrecken und Erfahrungsberichte der Erstbezieher. Ob Corbusiers Konzept der Wohnmaschine wirklich aufgegangen ist, probiert man am besten selbst aus. 141 Meter lange Gänge durchziehen das Gebäude. Von denen gehen je 58 standardisierte Appartementtüren ab, wie Waben in einem Bienestock. Durch besonders gute Isolierung zur Nachbarwohnung soll man sich hier fühlen wie im Eigenheim mit Blick ins Grüne. Soweit die Theorie, aber wie wohnt es sich heute in Corbusiers "Wohneinheit" ?
"Das ist die Kombination aus sehr schnell in der Stadt sein und direkt im Grünen zu wohnen."
"Kleiner Nachteil: Man kann nicht Einkaufen gehen. Ohne Auto ist man hier völlig aufgeschmissen."
"Ich wohne eigentlich noch in der Nähe von der Stadt, beziehungsweise hole mir die Stadt heran durch die wunderbare Aussicht."
Heute leben von etwa 1300 Bewohnern noch 40 Erstbezieher im Berliner Corbusierhaus. Das Konzept einer geschlossenen, sich selbst versorgenden sozialen Hausgemeinschaft am Rande der Stadt ist spätestens im Jahr 2000 gescheitert, als der letzte Supermarkt im Erdgeschoss schließen musste. Unter den Corbusier-Fachleuten ist unumstritten, dass der Urtyp der Wohnmaschine in Marseille steht. Dort gibt es bis heute einen Kindergarten, Ärzte, eine Post, Theater und Bibliothek. Corbusiers Idee der "vertikalen Stadt" hält der Architekt Martin Cors, einer der Organisatoren des Berliner Symposiums, heute für überholt.
"Das hat desaströsen Städtebau zur Folge gehabt. Man sieht ja, die ganze Nachkriegsmoderne wird jetzt größtenteils wieder zurückgebaut. Man besinnt sich eigentlich wieder auf die traditionelle Stadt. Eine Stadt wie sie Corbusier angedacht hatte mit der Funktionstrennung da ist man angewiesen auf das Automobil, auf den Individualverkehr. Ich glaube das hat sich in der Rückschau als nicht so gut dargestellt."
Als sozialer Wohnungsbau geplant, wurden Corbusiers Wohneinheiten Ende der 70er Jahre in Eigentumswohnungen umgewandelt. Heute wohnen viele Künstlern, Architekten und Selbstständige hier. Auch nach 50 Jahren regiert noch etwas vom Gemeinschaftsgeist im Sinne Corbusiers, glaubt man Melanie Brack. Vor sechs Monaten ist die junge Frau eingezogen.
"Was wirklich hervorsticht ist, es hilft jeder, es macht jeder und tut jeder für jeden - also das stimmt. Deswegen fühlt man sich, wenn man alleine einzieht, eigentlich gut aufgehoben. Ich weiß nicht ob es noch diesen Charme, diesen Flair hat. Für mich eigentlich nicht. Man wohnt hier einfach nur noch.""
Info:
Die Ausstellung "Le Corbusier - Wohneinheit Typ Berlin. 50 Jahre, Bilder Berichte Begegnungen" im Corbusierhaus in der Flatowallee 16 ist bis zum 12.Oktober geöffnet. (Do - So 15-19 Uhr)
berliner-corbusierhaus.de
"Der herrliche Sonnenschein eines wunderschönen Maimorgens lässt den sonst so kahlen Betonklotz des Corbusierhauses fast warm erscheinen."
Der Reporter vom Sender Freies Berlin hegt am Tag des Erstbezugs im Mai 1958 Zweifel. Der 17-stöckige Wohnblock, den Le Corbusier anlässlich der internationalen Bauausstellung zwischen Innenstadt und Grunewald erbauen ließ, stieß damals wie heute auf geteilte Meinung. Für die einen ein privilegiertes Appartementhaus im Grünen, ist er den anderen ein anonymer Wohnklotz. Was macht das Leben in der so genannten "Wohnmaschine" aus? Welche von Corbusiers Ideen über moderne Architektur und den modernen Mensch wirken nach 50 Jahren weiter? Diese Fragen wurden am vergangenen Wochenende auf einem Symposium am Berliner Corbusier Haus diskutiert. Der Marseiller Dominique Claudius-Petit ist Vorsitzender der internationalen Stiftung der Freunde Corbusiers. Mit 50 Anhängern hat er sich auf den Weg nach Berlin gemacht:
"Le Corbusier wollte keine Hasenkäfige bauen, sondern er versuchte, den menschlichen Lebensraum auf industrielle Weise und in einem überschaubaren finanziellen Rahmen den Bedürfnissen anzupassen. Egal ob Familien mit oder ohne Kindern, ob alt oder jung - die Menschen sollten sich innerhalb der Gesellschaft verwirklichen können."
Corbusier wollte mit seiner "Wohnmaschine", der "neuen Generation des Maschinenzeitalters" ein zu Hause geben. Bis heute ist ein gewisser Stolz zu spüren, das Haus zu bewohnen, mit zur Gemeinschaft zu gehören. Zum fünfzigsten Geburtstag des Typ Berlin haben Bewohner eine Ausstellung über die Anfänge und den Alltag im Haus zusammengestellt. Ein Appartement im Originalzustand und Designer Möbel des Meisters findet man hier ebenso wie Fotostrecken und Erfahrungsberichte der Erstbezieher. Ob Corbusiers Konzept der Wohnmaschine wirklich aufgegangen ist, probiert man am besten selbst aus. 141 Meter lange Gänge durchziehen das Gebäude. Von denen gehen je 58 standardisierte Appartementtüren ab, wie Waben in einem Bienestock. Durch besonders gute Isolierung zur Nachbarwohnung soll man sich hier fühlen wie im Eigenheim mit Blick ins Grüne. Soweit die Theorie, aber wie wohnt es sich heute in Corbusiers "Wohneinheit" ?
"Das ist die Kombination aus sehr schnell in der Stadt sein und direkt im Grünen zu wohnen."
"Kleiner Nachteil: Man kann nicht Einkaufen gehen. Ohne Auto ist man hier völlig aufgeschmissen."
"Ich wohne eigentlich noch in der Nähe von der Stadt, beziehungsweise hole mir die Stadt heran durch die wunderbare Aussicht."
Heute leben von etwa 1300 Bewohnern noch 40 Erstbezieher im Berliner Corbusierhaus. Das Konzept einer geschlossenen, sich selbst versorgenden sozialen Hausgemeinschaft am Rande der Stadt ist spätestens im Jahr 2000 gescheitert, als der letzte Supermarkt im Erdgeschoss schließen musste. Unter den Corbusier-Fachleuten ist unumstritten, dass der Urtyp der Wohnmaschine in Marseille steht. Dort gibt es bis heute einen Kindergarten, Ärzte, eine Post, Theater und Bibliothek. Corbusiers Idee der "vertikalen Stadt" hält der Architekt Martin Cors, einer der Organisatoren des Berliner Symposiums, heute für überholt.
"Das hat desaströsen Städtebau zur Folge gehabt. Man sieht ja, die ganze Nachkriegsmoderne wird jetzt größtenteils wieder zurückgebaut. Man besinnt sich eigentlich wieder auf die traditionelle Stadt. Eine Stadt wie sie Corbusier angedacht hatte mit der Funktionstrennung da ist man angewiesen auf das Automobil, auf den Individualverkehr. Ich glaube das hat sich in der Rückschau als nicht so gut dargestellt."
Als sozialer Wohnungsbau geplant, wurden Corbusiers Wohneinheiten Ende der 70er Jahre in Eigentumswohnungen umgewandelt. Heute wohnen viele Künstlern, Architekten und Selbstständige hier. Auch nach 50 Jahren regiert noch etwas vom Gemeinschaftsgeist im Sinne Corbusiers, glaubt man Melanie Brack. Vor sechs Monaten ist die junge Frau eingezogen.
"Was wirklich hervorsticht ist, es hilft jeder, es macht jeder und tut jeder für jeden - also das stimmt. Deswegen fühlt man sich, wenn man alleine einzieht, eigentlich gut aufgehoben. Ich weiß nicht ob es noch diesen Charme, diesen Flair hat. Für mich eigentlich nicht. Man wohnt hier einfach nur noch.""
Info:
Die Ausstellung "Le Corbusier - Wohneinheit Typ Berlin. 50 Jahre, Bilder Berichte Begegnungen" im Corbusierhaus in der Flatowallee 16 ist bis zum 12.Oktober geöffnet. (Do - So 15-19 Uhr)
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