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Wohnprojekt
Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge unter einem Dach

Flüchtlinge sollen nicht abgeschottet in Asylbewerberheimen leben. Das ist die Grundidee des Share-Hauses "Refugio". Das mächtige Gründerzeithaus in Berlin-Neukölln gehört der evangelischen Kirche – genauer: der Berliner Stadtmission. Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge wohnen unter einem Dach. Funktioniert das?

Von Marie Wildermann |
    Sharehaus Refugio - mit Flüchtlingen leben.
    Im "Sharehaus Refugio" in Berlin leben die Bewohner in einer großen Gemeinschaft mit Geflüchteten. (Deutschlandradio / Cara Wuchold)
    "Ich denke, Christen und Muslime haben keine Probleme miteinander," sagt Mahmoud. Er ist mit seiner Frau vor den Al Shabab Milizen aus Somalia geflohen. "Die Politik ist es, die den Religionen die Probleme macht."
    Beide wohnen in einem der 33 Ein-Zimmer-Apartments des Share-Hauses. Mahmoud war einer der ersten, die eingezogen sind. Die Atmosphäre hier ist ein bisschen wie in einem Hostel.
    "Da es ein christlich geleitetes Haus ist, haben die Muslime eher gesagt, es ist für sie ein Schutzort, weil sie das sehr schätzen. Während sie mit Menschen, die nicht über ihren Glauben sprechen oder keinen Glauben haben, eher mit denen sich unsicher fühlen."
    Die Idee für das Share-Haus brachten Sven Lager und seine Frau Elke Naters aus Südafrika mit, wo das Schriftsteller-Ehepaar mehrere Jahre gelebt hat.
    "Bei vielen Deutschen wussten die Geflüchteten nicht, was haben die für Werte, wenn die keinen Glauben haben. Oder: Wie kann man keinen Glauben haben."
    Gemeinschaftsküchen und gemeinsame Terrasse
    In Berlin, so ihre Erfahrung, hatten Flüchtlinge kaum Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Das wollten sie ändern. Die Berliner Stadtmission war offen für ihre Idee und hatte sogar ein geeignetes Haus, ein ehemaliges Seniorenwohnheim in Berlin-Neukölln, das leer stand.
    Auf jeder Etage gibt es eine Gemeinschaftsküche, auf dem Dach eine große Terrasse. Neben mehreren Somaliern leben im Haus Syrer, Afghanen, Türken und Deutsche. Die einzige Bedingung für den Einzug: Engagement für die Gemeinschaft.
    "Wir haben schnell gemerkt, das muss man auch üben. Wir haben schnell mit Menschen verschiedenster Religionen und Kulturen gemerkt, man muss über Werte reden und Ethik."
    Sven Lager führte regelmäßige Haustreffen ein, um gemeinsam über Anliegen und Probleme zu sprechen. Zum Beispiel beschwerten sich allein erziehende Mütter, dass Hausbewohner sich in ihre Erziehung einmischten.
    "Dass man voneinander lernt und dass wir das, was wir hier in Europa als Werte etabliert haben, nicht verhandelbar ist. Gleichstellung, Redefreiheit, Religionsfreiheit natürlich, auch dass das Individuum gefördert wird, in anderen Kulturen ist es ja oft die Familie. Guter Zugang zu Bildung, ganz wichtiges Thema."
    Gespräche und Diskussionen entwickelten sich oft aus der Organisation des Alltags. Dass der Küchen- und Putzdienst von Männern genauso übernommen werden muss wie von den Frauen, war nicht für alle selbstverständlich.
    "Das vergessen wir oft, dass wir über ein Thema wie Respekt, Friede, Gemeinschaft, dass man darüber spricht. Wir haben dann auch mit den Bewohnern diesen Wert- und Ethikkodex erarbeitet, wir haben viel vorgegeben, wie man mit Konflikten umgeht und so weiter, wurde immer mehr ausgebaut."
    "Die meisten bleiben unter sich"
    Zum Beispiel, wenn es um die gemeinsame Nutzung von Waschmaschinen und Etagenküchen geht. Im Café ist um diese Zeit normalerweise Brunchtime. Einige Ehrenamtliche sitzen in einer Fensternische bei Kaffee und Croissant. Drury Brannon, ein Künstler aus Kalifornien, der in einem Atelier im Share-Haus arbeitet, war ursprünglich von der Gemeinschaftsidee des Sharehauses begeistert. Inzwischen sieht er es nüchterner.
    "Ehrlicherweise muss man sagen, dass niemand damit gerechnet hat, dass die Leute nicht wirklich interessiert sind an diesem Traum vom gemeinschaftlichen Leben. Die meisten Flüchtlinge bleiben mit ihrer Familie unter sich, in ihrem Zimmer. Freitags, wenn ich mit fünf, sechs Leuten das Haus-Dinner vorbereite für etwa 25 und ich jemanden anspreche, ob er uns helfen kann, kommt meistens: 'Ich hab keine Zeit', soll heißen: 'Ich hab kein Interesse.' Ich war nie in der Situation, aber ich könnte mir vorstellen, dass, wenn man in diesem Überlebensmodus ist in einem fremden Land, dass man sich da lieber ein bisschen isoliert und zurückzieht."
    Sprung in die finanzielle Unabhängigkeit
    Auf Malakeh Jazmati trifft das nicht zu. Sie war in Jordanien eine bekannte TV-Köchin und hat auch in Berlin mit Hilfe des Share-Hauses gerade den Sprung in die finanzielle Unabhängigkeit geschafft. Im Erdgeschoss des Share-Hauses hat sie eine eigene Küche für den Catering Service "Levante Gourmet", den sie mit ihrem Mann gründete. Das Catering ist so erfolgreich, dass sie nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen sind und sogar ihre Familien in Syrien unterstützen können.
    Die aus Syrien geflüchtete TV-Köchin Malakeh Jazmati bei einem Koch-Workshop in Berlin.
    Die aus Syrien geflüchtete TV-Köchin Malakeh Jazmati bei einem Koch-Workshop in Berlin. (AFP Photo / John MacDougall)
    "Als der Krieg ausbrach, musste jeder etwas retten, einer die Gebäude, ein anderer die Menschen, wieder ein anderer das kulturelle Erbe. Unsere Küche ist ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes."
    In einem opulenten Kochbuch hat sie jetzt viele Rezepte der traditionellen syrischen Küche festgehalten, mit ganzseitigen Fotos von orientalischen Märkten in Aleppo und Damaskus, Bilder einer untergegangenen Welt.