Baukrise
Der Kampf gegen den Wohnungsmangel

Hohe Kosten verhindern den Bau neuer Wohnungen. Der Wohnungsmangel ist zur sozialen Frage geworden. Die Bundesregierung versucht, die Baukonjunktur in Schwung zu bringen - doch das braucht Zeit. Verbände fordern weitere Maßnahmen.

    Neue Reihenhäuser im Rohbau in Glessen, einem Stadtteil von Bergheim, aus der Luft fotografiert.
    Neue Reihenhäuser in Glessen, einem Stadtteil von Bergheim: Bauen ist inzwischen mit großen finanziellen Anstrengungen verbunden, manchmal lohnt es sich auch nicht mehr. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Die deutsche Bauwirtschaft steckt in einer Krise. In der Branche wird inzwischen von einem „toxischen Mix“ gesprochen: Der Bedarf an neuem Wohnraum ist groß, doch hohe Baukosten und eine deutliche Erhöhung der Bauzinsen verhindern viele Bauprojekte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ein radikales Umdenken in der Baupolitik gefordert und sogar den Bau von neuen Stadtteilen vorgeschlagen.

    Inhalt

    Was tut die Bundesregierung gegen die Baukrise?

    Der Druck auf die Politik, gegen Wohnungsmangel und hohe Mieten vorzugehen, ist groß – in Städten wie Berlin ist es für viele Mieter inzwischen fast aussichtslos, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
    Die Bundesregierung versucht schon seit Längerem, Antworten auf die prekäre Lage zu finden. Sie hat inzwischen jede Menge Einzelmaßnahmen zur Förderung der Baukonjunktur auf den Weg gebracht. Nach einem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt im Herbst 2023 wurden sie verkündet: ein Mix aus finanziellen Anreizen, schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren und dem Verzicht auf geplante energetische Baustandards.
    Zugleich werden aber auch besonders energiesparsame Häuser und Wohnungen weiterhin gefördert. Vom „Gießkannen-Prinzip“ bei der Wohnungsbauförderung hält Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) nichts. Stattdessen setzt sie auf kleinteilige Förderprogramme, von denen beispielsweise junge Familien profitieren sollen, die alte Immobilien renovieren.
    Auch die Neugründung von Bau-Genossenschaften unterstützt die Bundesregierung. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten beim Wohnungsbau sollen Investitionsanreize schaffen, Änderungen bei der Musterbauordnung und den Landesbauordnungen das Bauen schneller und einfacher machen.

    Milliarden für den sozialen Wohnungsbau

    In den sozialen Wohnungsbau werden Ankündigungen zufolge bis 2027 mehr als 18 Milliarden Euro an Bundesmitteln fließen. Auch den Umbau von Gewerbeimmobilien in Wohnraum will die Bundesregierung fördern. Viele Büros werden in Folge der Coronapandemie nicht mehr gebraucht.

    Was fordern die Verbände und wie bewerten sie die Baupolitik der Bundesregierung?

    Nach dem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt im September 2023 waren die Reaktionen aus der Bauwirtschaft verhalten positiv. "Die Bundesregierung hat jetzt wohl endlich erkannt, wie ernst die Lage am Wohnungsmarkt ist", hieß es beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes.
    Doch viele der auf den Weg gebrachten Maßnahmen brauchen länger, um zu greifen - weswegen die Debatte über die Wohnungsbauförderung weitergeht.
    So warnt die Immobilienbranche aktuell vor einem "dramatischen" Einbruch bei den Wohnungsfertigstellungen in den kommenden Jahren und fordert von Bund und Ländern schnelle Gegenmaßnahmen.
    Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) schlägt unter anderem vor, mit staatlichem Geld die Bauzinsen zu senken und vorübergehend auf die Grunderwerbsteuer zu verzichten. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW fordert eine Senkung der Umsatzsteuer bei Bauvorhaben von 19 auf sieben Prozent.

    Warum wird in Deutschland zu wenig gebaut?

    Von Januar bis November 2023 ist die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen laut Statistischem Bundesamt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp 26 Prozent auf 238.500 Wohnungen gesunken. Der Grund für die schlechten Zahlen: Bauen ist in Deutschland derzeit schlicht zu teuer, der rasante Anstieg der Bau- und Energiekosten hat den Wohnungsbau unrentabel gemacht.
    Neubau eines Hochhauses mit kleinen Appartements in Berlin-Lichtenberg. Die vielen kleinen Balkone prägen die weiße Fassade des Gebäudes.
    Neubau eines Appartement-Hochhauses in Berlin-Lichtenberg. In der Hauptstadt ist der Wohnungsmangel besonders groß. (picture alliance / dpa / Caro Ruffer)
    Laut dem Münchner Ifo-Institut lagen die Baupreise für konventionellen Wohnungsneubau im Mai 2023 um 36 Prozent höher als noch im Frühsommer 2020. Nach Berechnungen von Bauexperten bewegt sich der bundesweite Medianwert für den Bau eines Quadratmeters Wohnfläche – inklusive Grundstückskosten – aktuell deutlich über 5.000 Euro.
    Um die Kosten wieder hereinzuholen, müsste die Quadratmetermiete für eine neue Wohnung derzeit nach Angaben des Rats der Immobilienweisen durchschnittlich 21 Euro betragen. Das kann sich kaum noch jemand leisten – und es führt dazu, dass Bauprojekte auf Eis gelegt oder gar nicht mehr geplant werden. „Bauen ist heute faktisch unmöglich“, sagt der Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, Andreas Mattner: „Wer heute baut, geht bankrott.“

    Wie groß ist der Mangel an Wohnraum in Deutschland?

    Nach Angaben des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) werden in diesem Jahr in Deutschland rund 600.000 Wohnungen fehlen, im kommenden Jahr dürften es 720.000 und bis 2027 dann 830.000 sein. ZIA-Präsident Mattner warnt davor, "sehenden Auges auf ein soziales Debakel" zuzusteuern.
    Das Pestel Institut kommt in einer Studie auf ähnliche Zahlen. Demnach gibt es in Deutschland derzeit rund 700.000 Wohnungen zu wenig. „Wir haben einen Rekord-Wohnungsmangel“, sagt Institutsleiter Matthias Günther. Besonders bei den bezahlbaren Wohnungen werde das „ohnehin schon massive Versorgungsloch“ immer größer - und bei den Sozialwohnungen sei es längst ein „Krater“.
    Gründe dafür sieht das Institut vor allem in einer erheblichen Zunahme der Bevölkerung: Für 2022 ergebe die Bilanz aus Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die nun zusätzlich in Deutschland lebten.

    Wie viele Wohnungen sollen nach den Plänen der Bundesregierung jährlich gebaut werden?

    Die Bundesregierung hat das Ziel, dass jährlich 400.000 Wohnungen gebaut werden, 100.000 davon sollen Sozialwohnungen sein. Doch 2022 wurden insgesamt nur 295.000 fertiggestellt. Für 2023 gibt es noch keine offiziellen Zahlen, das Münchner Ifo-Institut rechnet mit rund 245.000 Wohnungen. 2024 und 2025 sollen es laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut noch weniger werden.

    405.000 neue Wohnungen pro Jahr im Schnitt

    Das Ziel von 400.000 Wohnungen entspricht ziemlich genau dem historischen Mittelwert: In der Bundesrepublik Deutschland wurden seit Beginn der Baustatistik im Jahr 1950 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich 405.000 neue Wohnungen pro Jahr fertiggestellt.
    Den bisher höchsten Stand erreichte der Wohnungsbau 1973 mit gut 714.200 Einheiten im früheren Bundesgebiet. Nach der deutschen Vereinigung wurden die meisten Wohnungen 1995 gebaut: 602.800 im gesamtdeutschen Bundesgebiet. Die wenigsten Wohnungen wurden im Zuge der globalen Finanzmarktkrise im Jahr 2009 fertiggestellt (159.000). Danach stieg der Wohnungsbau bis 2020 wieder kontinuierlich auf 306.400 Fertigstellungen.

    ahe