"Das ist kein 08/15-Projekt. Das wissen Sie alle, die es geplant haben, alle, die es umsetzen werden." NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach steht in Köln inmitten einer Baustelle auf einer kleinen Bühne. Hier wird gleich die Grundsteinlegung eines besonderen Neubauprojekts gefeiert. "Investoren, die etwas Neues versuchen, dürfen und müssen auf Offenheit bauen können. Sonst würden wir nie was Neues anpacken, wenn wir immer nur das bauen, was wir schon kennen."
Etwas Neues – das ist es auf jeden Fall, was hier, am Clarenbachplatz im Stadtteil Braunsfeld entsteht. Denn durch die drei neuen Häuser mit insgesamt 67 Wohnungen und einiger Gewerbefläche werden künftig Güterzüge fahren - lange, schwere Güterzüge. "Bauen über einer Zugstrecke ist für Köln was Neues", sagt denn auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. "Man muss eben in solchen verdichteten Gebieten an vieles denken und auch mal ein Risiko eingehen."
Überbauung von Gütergleisen weltweit einmalig
Köln erwartet bis zum Jahr 2040 einen Bevölkerungszuwachs von rund 70.000 Menschen. Die Stadt kommt, wie viele andere Metropolen in Deutschland, kaum hinterher, entsprechend neuen Wohnraum zu schaffen. Das liegt nicht nur an den Bauzeiten, es fehlen vor allem auch die Flächen. Wohnraumnachverdichtung ist deshalb das Stichwort. In vielen Großstädten entstehen Neubauten mittlerweile in Innenhöfen, auf Parkdächern oder in der kleinsten Lücke, wie hier in Köln-Braunsfeld.
Dass aber Gütergleise überbaut werden, das sei weltweit einmalig, sagt der verantwortliche Bauunternehmer Anton Bausinger: "Man konnte nicht auf irgendeine Referenz zurückgreifen oder etwas aus der Schublade ziehen, das gibt es ja noch nicht. So viele Gutachten und Bewertungen, das haben wir noch nie gehabt." Der Geschäftsführer des Bauunternehmens, Friedrich Wassermann, hatte schon vor zwei Jahrzehnten die Idee, den schmalen, langgestreckten Platz rund um die Güterbahngleise zu bebauen.
Denn das Stadtviertel Braunsfeld ist beliebt: Nahe am Stadtwald, mit guter Anbindung an die Innenstadt. Bisher wurde das Gelände nur für einen Wochenmarkt und ansonsten als Parkplatz genutzt. "Die ganzen Konzepte, die nicht über das Gleis gehen, haben sich aber nicht gerechnet. Und dann sind wir auf die anfangs sehr belächelte Idee gekommen, die Gleise zu überbauen, quasi die Züge durch die Häuser fahren zu lassen und haben das mit sehr viel Gutachten und sehr viel Ingenieurskunst auch bewiesen, dass das geht."
Vorschriften aus dem Wohnungs-, Tunnel- und Eisenbahnbau
Über eine Länge von 160 Metern wird der Schienenweg jetzt überbaut. Pierre Seidt von der ebenfalls involvierten Projektentwicklungsgesellschaft WvM erklärt, was das bedeutet: "In der Art ist ja Wohnbebauung noch nicht erstellt worden, das heißt, wir haben Vorschriften aus dem Wohnungsbau zu berücksichtigen, aus dem Tunnelbau und aus dem Eisenbahnbau." Einer langen Planungsphase soll nun eine kürzere Bauphase folgen. Schon Ende nächsten Jahres könnte das Projekt fertig sein.
In der Nachbarschaft wird der Neubau kontrovers diskutiert. Einige alteingesessene Braunsfelder ärgern sich, dass ihr Wochenmarkt für die Dauer der Bauphase verlegt wurde. Viele freuen sich aber auch, dass die größtenteils brachliegende Fläche jetzt schön gemacht wird: "Was Neues bringt Leben rein. Das war zum Schluss ein Abstellplatz für alten Müll und so. Es sieht besser aus, viel besser. Gut, dass Wohnraum geschaffen wird. Ich glaube, die Art des Wohnraums, die brauchen wir nicht unbedingt hier.
Die Wohnungen werden aktuell für etwa 160.000 Euro für ein Appartement und rund 830.000 Euro für eine Vier-Zimmer-Wohnung mit Dachterrasse angeboten. Bei Baukosten von geschätzt mehr als 20 Millionen Euro würden sich günstigere Wohnungspreise am Clarenbachplatz wohl nicht rechnen. Komplizierte Wohnraumnachverdichtung kostet Geld und lohnt sich für Investoren vor allem deshalb, weil die Zinsen niedrig und die Wohnungspreise hoch sind.