Richter sagte in dem Interview, die Zahlen seien in seinem Einzugsgebiet - das neben Essen auch Mülheim erfasst - zuletzt um 20 Prozent gestiegen. Dementsprechend sei das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger nachhaltig beeinträchtigt. Ballungsräume seien aber auch wegen der guten Verkehrsanbindung stärker im Fokus der Einbrecher.
Die Täter seien in den meisten Fällen "reisende Täter" und stammten zum größten Teil aus Südosteuropa. Den klassischen deutschen Täter gebe es immer weniger, auch die Beschaffungskriminalität im Bereich Drogen gehe zurück. Die Banden aus Südosteuropa suchten vor allem Handys, Bargeld und Schmuck - eben alles, was schnell abtransportiert werden könne. Wenn sie nicht binnen 30 bis 40 Sekunden in einer Wohnung seien, ließen sie meist wieder ab.
Richter betonte, in seinem Einzugsgebiet habe man schon das Personal verstärkt, um den "Kontrolldruck" zu erhöhen. Die Zusammenarbeit mit den Behörden in den Niederlanden und Belgien könnte aber noch effektiver werden. Auch könne es helfen, wenn zum Beispiel Wohnungsbaugesellschaften darauf achteten, dass Wohnungen auch sicherheitstechnisch gut ausgestattet würden.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hatte zuletzt vor allem die georgische Mafia für viele Einbrüche in Deutschland verantwortlich gemacht.
Jürgen Zurheide: Statistisch gesehen ist es noch nicht offiziell, aber im vergangenen Jahr, das sagen jedenfalls die bisher bekannt gewordenen Zahlen, hat es in Deutschland insgesamt weit mehr als 160.000 Wohnungseinbrüche gegeben, das ist eine deutliche Zunahme. Vor allen Dingen in Ballungsgebieten passiert das, und die Ursachen – darüber wird man diskutieren müssen – werden auch genannt: möglicherweise reisende Banden aus dem Ausland, das allerdings noch mit einem gewissen Fragezeichen versehen. Wir wollen darüber reden mit einem, der, wie ich's gesagt habe, tagtäglich damit zu tun hat, weil er Polizeipräsident einer Metropolregion ist, in Mülheim und Essen, Frank Richter. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Richter!
Frank Richter: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Richter, diese Einbrüche, diese Wohnungseinbrüche, wie beeinträchtigt das das Sicherheitsgefühl der Menschen, auch bei denen nicht eingebrochen wird? Ist das so, dass da tagtäglich bei Ihnen Besorgnisse ankommen?
Richter: Über die gestiegenen Einbruchszahlen, die wir also auch in Essen und Mülheim haben, hat sich natürlich das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen nachträglich beeinträchtigt. Das ist real so, ja.
Zurheide: Wie haben sich die Zahlen bei Ihnen verändert?
Richter: Also wir haben ungefähr Steigerungszahlen von um die 20 Prozent. Das ist besorgniserregend, und wir sind momentan dabei, mit eigenen Konzepten auch neben den Landeskonzepten, die da sind, zu versuchen, diesem Phänomen praktisch mehr oder weniger Herr zu werden.
Zurheide: So, jetzt wollen wir jenseits von Alarmismus mal darüber reden, was sind denn die Ursachen? Das Bundeskriminalamt hat da ein Lagebild veröffentlicht, da wird dann auf reisende Banden, auf Georgier, auf ich weiß nicht welche landsmannschaftlichen Verbundenheiten hingewiesen. Ist das auch Ihre Beobachtung in einem Ballungsraum, der ja immer besonders betroffen ist – das muss man, glaube ich, sagen.
Richter: Ja, zum einen sind Ballungsräume ja immer besonders betroffen, weil vor allen Dingen die Verkehrsanbindungen so optimal sind für reisende Täter. Das ist so, und ich kann nur das bestätigen, was jetzt auch das BKA festgestellt hat: Wir haben es zum überwiegenden Teil mit reisenden Tätern zu tun. Das sind Bandenstrukturen, die da sind, vor allen Dingen aus Südosteuropa, und das macht uns die Sache natürlich auch besonders schwer.
"Die Sicherung der Wohnung entscheidend"
Zurheide: Was tun Sie dagegen?
Richter: Also wir haben – ich sprach es gerade an – örtliche Konzepte, das heißt, wir haben noch mal Personal mehr in diesem Bereich, vor allen Dingen auch im Bereich der Wohnungseinbrüche eingesetzt. Das heißt, wir werden hier den Kontrolldruck erheblich erhöhen – das ist ein Punkt. Es ist keine alleinige Frage mehr der Kriminalpolizei, sondern – für meinen Bereich kann ich das sagen – das ist unser Hauptziel momentan, die Verringerung der Wohnungseinbrüche. Da haben wir auch wie gesagt spezielle Konzepte, die auch auf diese Bandenstrukturen eingehen. Aber es gibt noch zwei weitere Punkte, die für uns besonders wichtig sind. Das eine ist, wir versuchen durch gezielte Aktionen zum einen, was die Sicherung von Wohnungen angeht, hier den Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, wie wichtig es heute ist, auch seine Wohnung zu sichern. Wir wollen damit nicht Verantwortung verschieben, aber Sie müssen sich vorstellen, die Banden, die hier tätig sind, wenn sie nicht innerhalb von 30 bis 40 Sekunden in einer Wohnung sind, lassen sie davon ab. Das ist für die Massengeschäft, das ist ein ganz, ganz entscheidender Punkt. Hier ist die Sicherung der Wohnung entscheidend. Und zum Zweiten: Es muss eine Verhaltensänderung bei den Menschen stattfinden, also auf den Nachbarn zu achten – das hört sich jetzt sehr profan an, ist aber wirklich ein ganz probates Mittel. Sie müssen sich vorstellen, dass in unserem Bereich, wenn wir Festnahmen haben, ungefähr zwischen 60 und 70 Prozent, das durch Beobachtung von Bürgern kommt.
Zurheide: Was suchen denn diese reisenden Täter, um das auch noch mal klarzumachen. Sie haben ja gerade gesagt, also erstens, wenn man nicht in 30 Sekunden in eine Wohnung reinkommt, dann lassen die meistens ab, und wenn sie denn reinkommen, was suchen sie da?
Richter: Also es sind keine großen Stücke mehr, sondern es ist klassisch das Mobilfunktelefon, es ist Bargeld und Schmuck, also alles das, was man im Grunde genommen in einer Tasche verpacken kann. Wer also hier die Vorstellung hat, dass jemand sagt, mein großer Fernseher oder mein großer PC, der ist in Gefahr, das ist gar nicht Beute der Täter, sondern alles das, was schnell abtransportierbar ist und was auch dementsprechend relativ schnell wieder zu Geld zu machen ist.
Fast ausschließlich reisende Täter
Zurheide: Und wenn wir ja gerade darüber gesprochen haben, dass diese reisenden Täter möglicherweise auch aus dem Ausland da hinzukommen, die kommen zu der ohnehin stattfindenden Einbruchskriminalität, die möglicherweise mit Drogen und anderem zu tun hat – wie müssen wir uns das vorstellen in einer Stadt?
Richter: Wir haben fast kaum noch den klassischen deutschen Täter, das können wir zumindest für unseren Bereich sagen, sondern es sind tatsächlich 80 bis 90 Prozent reisende Täter, die da sind. Wenn wir früher das Problem hatten, zum Beispiel Beschaffungskriminalität im Bereich der Drogen, dann ist das fast zurückgedrängt worden. Das hat auch etwas mit der Frage der Drogenbeschaffung und vielen, vielen anderen Sachen zu tun. Also wir haben vor allen Dingen südosteuropäische Täterbanden, die da sind, die in Strukturen arbeiten, die teilweise sehr, sehr flexibel sind, das heißt, sie haben hier einen Stützpunkt in dem Bereich, sind aber relativ schnell, teilweise an einem Tag schon in anderen Bundesländern oder, aufgrund der Lage auch, zum Beispiel in den Niederlanden und in Belgien tätig.
Zurheide: Sie haben gerade im Ruhrgebiet einen Erfolg gehabt, weil sie zwischen den verschiedenen Polizeibehörden zusammengearbeitet haben. Müssen Sie da demnächst möglicherweise noch mehr tun, um dann eben genau auch diesen flexiblen Strukturen was entgegenzusetzen? Sie sind in Essen, andere sind in Gelsenkirchen, in Dortmund – wie müssen Sie da besser zusammenarbeiten?
Richter: Das ist auch ein Teil dieses Konzepts, was also auch über die Stadtgrenzen hinausgeht. Wir hatten wirklich einen großen Erfolg gehabt, angestoßen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Dortmund. Also hier muss eine engere Zusammenarbeit sein, nicht nur auf der Ebene, wo das funktioniert, zwischen den Kreispolizeibehörden, das muss sich auch ausweiten auf das europäische Ausland, das heißt mit den niederländischen und belgischen Kollegen zum Beispiel. Das passiert schon, aber mit Sicherheit ist hier auch noch Luft nach oben. Das heißt, hier könnte auch eine konzeptionelle Arbeit noch sehr viel effektiver laufen.
Zurheide: Es gibt manche, die fordern, dass zum Beispiel auch bei einem Wohnungseinbruch möglicherweise DNA-Proben genommen werden, um dann solche Täterprofile besser am Ende abgleichen zu können. Hilft das weiter?
Richter: Also das sind natürlich auch häufig Vorschläge, die gemacht werden, die natürlich von der Praxis relativ weit entfernt sind. Wir nehmen zum Beispiel die jeweiligen Nummern von Mobilfunkhandys auf und vielem, vielem anderen mehr, also damit alleine, nur mit DNA zu arbeiten, da, wo es notwendig ist, wird es gemacht, aber es ist für diese Tätergruppen, das heißt hier, wo es um Bargeld geht, wo es um Schmuck und vieles, vieles andere mehr geht, das kann im Einzelfall gemacht werden. Aber es gibt ja durchaus auch Erfahrungen zum Beispiel aus Bremen, künstliche DNA einzusetzen in diesen Bereichen, das war aber nur teilweise von Erfolg gekrönt.
Internationale Zusammenarbeit noch schwierig
Zurheide: Die Frage ist ja insgesamt, was könnte man mehr tun, um gerade diese internationalen Gruppen in den Griff zu kriegen? Sie haben gerade angesprochen, ja, da müssten wir auch mit den Niederländern, mit anderen zusammenarbeiten. Wer muss denn das tun, wer kann das tun, damit am Ende unterm Strich die Zahlen auch mal wieder zurückgehen?
Richter: Bei der Frage der internationalen Zusammenarbeit haben wir eine Erfahrung hier in Essen auch gemacht, sogar mit litauischen Kollegen, die da gewesen sind. Das ist natürlich auch eine Frage, das muss natürlich auch in der Form wichtig sein, dass wir eine Bande haben, die wirklich also auch international operiert und wo man auch sagen kann, jawohl, wo auch ein Personaleinsatz sich dementsprechend lohnt. Auf der Arbeitsebene passiert das in vielen Bereichen, und wir müssen hier genau schauen, sind es Bandenstrukturen oder sind es hier schon Strukturen der organisierten Kriminalität, hier muss man in jedem Einzelfall hinschauen. In der praktischen Fahndungsarbeit läuft das schon relativ gut, aber wie gesagt, auch hier sind natürlich jeweils Verbesserungen immer noch möglich, denn wir sprechen ja hier auch von unterschiedlichen Rechtssystemen, mit denen wir zum Beispiel dann arbeiten.
Zurheide: Sie haben vorhin angesprochen, dass auch die Menschen ihr Verhalten ändern können, Sie haben gleich die Einschränkung gemacht, Sie wollen das nicht delegieren. Ich meine, Sie als Polizei sind als in allererster Linie mal zuständig, so empfinden das jedenfalls die Menschen, dennoch: Was kann oder sollte da mehr passieren – zum Beispiel bei Wohnungsbaugesellschaften?
Richter: Also ich möchte hier nichts delegieren, Hauptakteur ist hierbei die Polizei, das ist gar keine Frage, aber es hilft uns schon, wenn uns die Arbeit erleichtert wird. Wenn ich einen großen Wunsch hätte, zum Beispiel Wohnbaugesellschaften, weil die klassischen Einbrüche passieren ja nicht nur in Wohnquartieren, wo nur Villen sind oder hochwertige Eigentumswohnungen, sondern wir haben es mit einem Phänomen zu tun, das sich über die gesamten Städte zieht. Wenn ich mir heute vorstelle, dass im Baurecht ganz, ganz viele Bereiche klar und deutlich geregelt sind, dann würde ich mir auch wünschen, dass wir auch eine Regelung hätten, dass die Wohnungen nicht nur baurechtlich gut ausgestattet sind, sondern auch sicherheitstechnisch gut ausgestattet sind. Es ist ja häufig so, dass gerade diese Sicherungseinrichtung auf einen Renovierungsbereich oder auf einen Neubaubereich fast überhaupt nicht ins Gewicht fällt – da geht es denn häufig um besondere Verschlüsse für Fenster und so weiter. Das würde uns real schon weiterhelfen, also hier, dass es erst gar nicht zu einem Einbruch kommt. Man darf ja auch nicht vergessen, dass, wenn wir von Zahlen sprechen, dass in der Regel – ich kann es für meinen Bereich nur sagen – ungefähr 46 Prozent bis 48 Prozent der Einbrüche erst gar nicht zum Einbruch kommen, weil sie im Versuchsstadium stecken bleiben. Und das hilft natürlich auch. Es ist nicht schön, wenn eine Tür beschädigt ist oder ein Fenster beschädigt ist, aber der Bürger hat ein anderes Sicherheitsgefühl dann, weil er sagt, ja, es hat hier tatsächlich etwas gebracht und man ist nicht in meine Intimsphäre eingedrungen, das heißt in meine Wohnung. Und zum Zweiten noch: Entscheidend ist – und das stellen wir immer wieder fest –, dass es eine Verhaltensänderung geben muss. Also unser Motto ist, lieber einmal mehr die 110 anzurufen als zu wenig, wenn einem etwas ungewöhnlich vorkommt, wenn jemand glaubt, dass Wohnungen ausgespäht werden oder Ähnliches. Da ist eben wirklich der Grundsatz: Bürger und Polizei – ganz, ganz wichtig, und das sind unsere besten Zeugen und unsere besten Mitarbeiter dann auch.
Zurheide: Das war Frank Richter, der Polizeipräsident von Essen. Der macht uns ein bisschen hoffen, es passiert was und es kann auch ein bisschen mehr passieren.
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