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Wohnungsleerstand
Kommunen setzen Eigentümerpflichten durch

Rund zwei Millionen Wohnungen stehen in Deutschland leer, hinzu kommen ungenutzte Büro- und Verwaltungsgebäude. Prominentestes Beispiel: Das Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz. Auf der anderen Seite herrscht in den Großstädten akuter Wohnraummangel. Kritiker fordern jetzt, notfalls Eigentümer zwangszuenteignen. Doch die Politik zögert.

Von Otto Langels |
    Leerstehende Altbauten aus der Gründerzeit auf dem Sonnenberg in Chemnitz
    Oft zahlen Kommunen lieber teure Mieten für Turnhallen, um Flüchtlinge unterzubringen, statt leer stehende Gebäude zu nutzen. (dpa / picture-alliance / Robert B. Fishman)
    "Wir stellen auch fest, dass ganz unter der Dachgaube immer mehr abblättert. Man sieht auch ganz deutlich Wasserschäden da drüben, also, da scheint auch kräftig Feuchtigkeit drin zu sein." - "Oben steht ein Fenster offen, also kommt da Feuchtigkeit rein, die Balkone bröckeln." - "Die Tiere werden natürlich auch drin sein. Von unten sehen Sie ja, dass der untere Balkon, der fällt auch fast runter."
    Britta Schwietzer und Gisela Brokamp wohnen im Berliner Bezirk Schöneberg und beobachten seit Jahren, wie ein altes Wohnhaus in ihrer Nachbarschaft allmählich verfällt. Seit mindestens anderthalb Jahrzehnten steht die Immobilie leer, ein großes repräsentatives Eckhaus mit 20 Wohnungen in einem gutbürgerlichen Viertel, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts. Verblichene Jugendstilornamente und –figuren zieren die Fassade, im Hausflur ist durch die trübe Glasscheibe in der Eingangstür ein Kronleuchter an der Decke zu erkennen, die Seitenwände sind mit Graffitis verschmiert, der Boden ist übersät mit Papier und Müll.
    "Ich hab' mich beim Bauamt erkundigt, ich hatte mich mit Freunden getroffen, ob man da was machen kann." - "Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass hier so ein großes wunderschön gelegenes Haus einfach leer steht. Und dann haben wir uns erst mal erkundigt, ob die Frau noch lebt, der das Haus gehört, haben einige Recherchen angestellt, haben im Grundbuchamt nachgefragt, haben erfahren, wer die Eigentümerin ist und haben dann versucht, die Eigentümerin ausfindig zu machen in Lankwitz. Der Versuch einer Kontaktaufnahme ist im Sande verlaufen, wir haben keinen Kontakt zu der Dame bekommen."
    Dem zuständigen Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg ist der Leerstand seit Langem bekannt, geschehen ist jedoch nichts. Die verschiedenen Ressorts fühlen sich nicht verantwortlich, sie verweisen auf die schwierige Rechtslage und fehlende Kompetenzen. Gisela Brokamp wandte sich deshalb schriftlich an den Regierenden Bürgermeister und erhielt kürzlich folgende Antwort:
    "Das Gebäude steht unter regelmäßiger Beobachtung der Bauaufsichtsbehörde. Da ein Leerstand von Wohnraum grundsätzlich eine Zweckentfremdung darstellt, wird diese Angelegenheit von der Zweckentfremdungsstelle des Bezirksamtes mit Priorität bearbeitet."
    Wenn eine Behörde einen Fall mit Priorität bearbeitet, können anscheinend Jahre ins Land gehen, ohne dass sich an dem traurigen Anblick eines verfallenden Hauses etwas ändert.
    Jede Menge Leerstand
    Rund zwei Millionen Wohnungen stehen in Deutschland nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung leer, die meisten auf dem Land und in den neuen Bundesländern, aber auch in Nordrhein-Westfalen. Bei insgesamt 40 Millionen Wohnungen wären das fünf Prozent. Mehr als 600.000, so das Bundesinstitut, seien sofort verfügbar.
    Der wohnungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Chris Kühn:
    "In Ostdeutschland beispielsweise sind im Geschosswohnungsbau über acht Prozent, haben wir dort Leerstand. In Westdeutschland sind es vier Prozent im Schnitt. Aber Leerstand und Zweckentfremdung sind eigentlich überall ein Problem."
    Leerstand sei kein ernstes Problem, meint hingegen Berlins Wohnungsbaustaatssekretär Engelbert Lütge-Daldrup, SPD. In Ballungsräumen wie der deutschen Hauptstadt sei Wohnraum ausgesprochen knapp.
    "Generell haben wir keine Leerstandsprobleme im Wohnraum in Berlin, wir haben das genaue Gegenteil, wir haben eine große Knappheit an Wohnraum. Und es kann mittlerweile fast jede Wohnung in Berlin, auch in schlechten Lagen in nicht sehr gutem Zustande problemlos vermietet werden."
    Missstände und Fehlentwicklungen
    Nach Angaben des Berliner Mietervereis stehen in der Hauptstadt jedoch bis zu 5.000 Wohnungen aus spekulativen Gründen leer. Bundesweit registriert ein sogenannter "Leerstandsmelder" ungenutzte Wohnungen und Bürogebäude.
    Ehrenamtliche Initiativen sammeln in 30 Städten Hinweise auf verfügbare Wohn- und Gewerberäume und veröffentlichen sie im Internet; eine Aktion ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die aber auf Missstände und Fehlentwicklungen aufmerksam macht. Die Stadtgeografin Sarah Osswald ist eine der Initiatorinnen des "Leerstandsmelders".
    "In Berlin haben wir im Moment 740 Einträge, und 60 Prozent davon sind komplett leer stehend. Wir haben – in Zahlen gesagt – 150 komplett leer stehende Wohnhäuser in Berlin.
    Hamburg zählt die meisten Einträge auf dem Leerstandsmelder, es sind knapp 1.000 leer stehende Objekte in Hamburg eingetragen. Und insgesamt gibt es in allen 30 aktiven Städten knapp 6.000 leer stehende Objekte."
    Ortswechsel: aus der Hauptstadt nach Sachsen-Anhalt, in das idyllische Städtchen Quedlinburg am Fuße des Harzes.
    "Als Beispiel ein Einfamilienhaus über drei Geschosse. Von vorne sieht es ganz gut aus, die Hinterfront ist überwiegend schon offen. Weil die Fassade einfach eingebrochen ist, weil sie so zerstört war durchs Wetter."
    Julia Rippich führt durch die Altstadt von Quedlinburg. Sie ist für die Stadtentwicklung und -sanierung der Welterbestadt zuständig. Die 1.300 Fachwerkhäuser aus dem 14. bis 19. Jahrhundert gehören seit 1994 zum Weltkulturerbe der UNESCO und sind eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands. Die DDR-Regierung hatte die historischen Bauten im Zentrum Quedlinburgs gezielt dem Verfall preisgegeben und den Abriss des gesamten Areals geplant, zum Glück bis zur Wende aber nicht mehr umsetzen können.
    "Es gibt Fotos aus der Zeit um 1990, wo der Bauschutt auf den Straßen liegt, wo die Gebäude halb eingefallen sind, wo man glaubt, es ist kurz nach Kriegsende."
    Gentrifizierung vermeiden, Leerstand bekämpfen
    In den vergangenen 20 Jahren konnten die Eigentümer ihre maroden Fachwerkhäuser mit erheblichen Fördermitteln sanieren, sodass der Leerstand in der Altstadt stark zurückging. In Quedlinburg insgesamt ist er aber weiterhin hoch.
    "Wir haben momentan etwa 14 Prozent Leerstand über das gesamte Stadtgebiet, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Bevölkerung ist seit der Wende etwa um 20 Prozent geschrumpft und wird auch wahrscheinlich noch mal um weitere 15 bis 20 Prozent schrumpfen."
    Von dem Bevölkerungsschwund sind vor allem die Randbezirke betroffen. In den Plattenbauten der Stadtteile Kleers und Süderstadt sowie in Quarmbeck stehen viele Wohnungen leer.
    "Die Siedlung Quarmbeck, das ist ein ehemaliger Kasernenstandort, der zu Wohnungen umgebaut wurde zu DDR-Zeiten und ergänzt wurde durch Neubauten, und dort ist der Leerstand derzeit bei knapp unter 50 Prozent. Das Gleiche ist in der Süderstadt, dort gibt es auch noch mal ein Schwerpunktgebiet, wo wir über 50 Prozent Leerstand haben."
    Wäre in den leer stehenden Plattenbauten nicht Platz für Asylbewerber? Quedlinburg beherbergt zur Zeit 200 Flüchtlinge in einer ehemaligen Gartenbaufachschule. Könnte man in den leer stehenden Wohnungen nicht weitere Zufluchtsuchende unterbringen, statt sie woanders in Zelten, Containern, Flugzeughangars oder Möbelhäusern einzuquartieren?
    Sabine Bahß, Pressesprecherin der Stadt Quedlinburg:
    "Wenn die Flüchtlinge dann verteilt werden zur Integration, heißt es ja, dass sie dann ihren Lebensmittelpunkt frei wählen können. Und den Lebensmittelpunkt werden sie so wählen, dass sie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können – in aller Regel. Und das heißt, sie gehen dahin, wo Arbeit ist."
    Der Direktor des Bundesbauinstituts, Harald Herrmann, hat deshalb vorgeschlagen, anerkannte Flüchtlinge zu verpflichten, in Orte mit großem Leerstand zu ziehen. So soll das Missverhältnis zwischen ländlichen Regionen mit einem Überangebot an Wohnraum und den unter Wohnungsnot ächzenden Ballungsräumen ausgeglichen werden. Auch der Bundesinnenminister überlegt inzwischen, anerkannten Asylbewerbern den Wohnsitz vorzuschreiben. Ein problematischer Vorschlag, weil dies der Genfer Flüchtlingskonvention widerspräche. Und brisant zudem, wenn man an die fremdenfeindlichen Übergriffe in Teilen Sachsens oder Sachsen-Anhalts denkt. Aber vielleicht ließen sich ja manche Befürchtungen und Vorbehalte der Anwohner abbauen, wenn man die Neuankömmlinge in kleinen Gruppen in leer stehenden Häusern im Zentrum unterbringen würde, statt sie am Stadtrand in Massenunterkünfte einzuweisen. Gabriele Vester vertritt die freie Wählerinitiative Bürgerforum im Stadtrat von Quedlinburg.
    "Das war überhaupt kein Thema im Stadtrat, das war wirklich Konsens, dass wir gesagt haben, wir konzentrieren die Flüchtlinge nicht an einer Stelle, sondern wir versuchen sie zu verteilen über die Stadt, was einfach auch im Hinblick auf diesen ganzen Aspekt der Integration am sinnvollsten ist."
    Es bleibt abzuwarten, ob demnächst tatsächlich Flüchtlingsfamilien in einige der leer stehenden Häuser ins Stadtzentrum ziehen werden.
    Leerstand nutzen, Gettorisierung vermeiden
    Laut einer Studie des Münchner ifo Zentrums für Bildungsökonomik ließe sich eine Gettoisierung vermeiden, wenn Asylbewerber gleichmäßig auf die Kommunen verteilt würden. Bei einer Million Flüchtlingen in Deutschland käme auf jede zweite Schulklasse oder Kita-Gruppe nur ein zusätzliches Flüchtlingskind. Doch das setzt die konsequente Nutzung von freiem Wohnraum voraus. Allerdings scheut die Stadt Quedlinburg ein entschiedenes Vorgehen gegen Leerstand. Julia Rippich:
    "Wir haben auch den einen oder anderen – wie wir sagen – Sammler, der über Zwangsversteigerung, Auktion etc. sich Gebäude oder Grundstücke erworben hat und dann nicht hinterher kommt mit der Sanierung oder immer noch hofft, es gibt eine Wertsteigerung.
    Wir haben zum Teil Erbengemeinschaften, wo es dann schwierig ist, dass die sich nicht einig werden, ob sie da was machen wollen. Und da gibt es eben auch theoretisch ein Enteignungsgebot, das ist aber eine rechtliche Form, die nutzt - glaube ich - keine Kommune in Deutschland."
    In Deutschland stehen jedoch nicht nur zwei Millionen Wohnungen leer, sondern auch zahllose Büro- und Gewerberäume.
    Das bundeseigene Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz zum Beispiel hat seit acht Jahren niemand mehr betreten.
    "Das ist ein 50.000-Quadratmeter-Komplex. Im Moment ist es so, dass der Eigentümer, das ist die Bundesanstalt für Immobilien-Aufgaben, ab dem dritten Stock die Fenster hat entfernen lassen und unbrauchbar hat machen lassen."
    Florian Schöttle ist Mitglied einer Berliner Künstler- und Architekten-Gruppe, die das Gebäude in einen Ort des Wohnens, der Kunst und des sozialen Lebens verwandeln möchte. Schöttle kommt aus der West-Berliner Hausbesetzer-Szene, die Anfang der 1980er-Jahre rund 160 verfallende Häuser vor allem in Kreuzberg vor dem Abriss rettete und den Anstoß zu einer behutsamen Stadterneuerung gab. Das Haus der Statistik wurde Ende der 1960er-Jahre in Ost-Berlin errichtet, beherbergte zu DDR-Zeiten die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik und diente nach der Wiedervereinigung - nach gründlicher Sanierung - der Stasiunterlagen-Behörde vorübergehend als Dienstsitz.
    Seit 2008 steht das Gebäude leer, aber die Substanz des Stahlbetonbaus sei solide, so Florian Schöttle. Deshalb ließe sich das Haus kostengünstig umbauen, zumal es sich in öffentlicher Hand befinde.
    "Wenn man ein Gewerbehaus kauft - Gewerbegrundstücke kosten ein Bruchteil von Wohngrundstücken - und das zum Wohnen umwidmet und umbaut, hat man ein Drittel der Entstehungskosten, als wenn man ein neues Wohnhaus baut. Wenn man das tatsächlich jetzt morgen anpacken würde, hätten wir in einem Dreivierteljahr die Wohnungen."
    1.000 Wohnungen für Flüchtlinge sowie Ateliers, Begegnungsstätten und Büros für ehrenamtliche Initiativen sollen dort nach den Vorstellungen der Künstlergruppe mit öffentlicher Hilfe entstehen. Das Haus der Statistik liegt im Zentrum der Hauptstadt, im Bezirk Mitte. Dessen Bürgermeister, der Sozialdemokrat Christian Hanke, unterstützt das Projekt.
    "Mein Ziel ist, dass wir gentrifizierungsfeste Inseln auch im Zentrum der deutschen Hauptstadt haben. Wenn es gelänge, das Haus der Statistik gemeinwohlorientiert und nicht privatwirtschaftlich zu entwickeln, könnten wir einen gentrifizierungsfesten Kultur-Kunst-Standort mitten im Zentrum etablieren. Und deshalb unterstütze ich die Initiative seit Anfang an."
    Nachdem die Gruppe mit einem großen Plakat an der Fassade auf den jahrelangen Leerstand aufmerksam gemacht hat, kommt langsam Bewegung in die Debatte um die Zukunft des Hauses. Der Berliner Finanzsenator will das Gebäude vom Bund erwerben, darin aber am liebsten eine Behörde unterbringen. Ob das Land Berlin jedoch überhaupt zum Zuge kommt, ist ungewiss, denn der Bund, dem bis zu 800 Grundstücke in Berlin gehören, verkauft seine Immobilien meist an den Höchstbietenden. Das arme Land Berlin kann kaum mithalten, wenn Investoren mit gewinn-trächtigen Plänen für Luxuswohnungen und Shopping-Malls auftauchen. Die Gentrifizierung der Innenstadt, das heißt die Verdrängung einkommensschwächerer Schichten, würde weiter voranschreiten.
    "Wir als Kommunalpolitiker leiden natürlich darunter, aber auch in vielen anderen Kommunen, dass man Immobilien hat, die nicht oder nur unzureichend genutzt werden, weil wir auf der einen Seite sehen, dass wir einen erheblichen Wohnungsmangel gerade im sozialen Segment haben, dass wir natürlich auch gemeinwohlorientiert für Kunst, Kultur, Soziales Standorte brauchen und die entwickeln wollen. Das Haus der Statistik wäre ein Leuchtturmprojekt, wenn es so, wie die Initiative das im Grundsatz plant, umgesetzt würde."
    Massiver Leerstand
    Bis zu einer Million Quadratmeter Gewerbeflächen, so schätzt Florian Schöttle, stehen in Berlin derzeit leer. Er kennt einige Bürogebäude nahe dem Alexanderplatz, die sich in Wohnraum umwandeln ließen.
    "Wir können gern mal einen kleinen Spaziergang hier im Kiez machen. Ich kann Ihnen hier drei große Standorte zeigen, die im staatlichen Eigentum sind und leer stehen, schon seit Jahren, die eigentlich als Wohnraum umgenutzt werden könnten. Und wenn die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften das machen würden, könnten wir richtig viel Geld sparen."
    Den Optimismus von Florian Schöttle bremst Berlins Wohnungsbaustaatssekretär Engelbert Lütge-Daldrup. Natürlich sei es sinnvoll, Büroimmobilien als Wohnraum zu nutzen, aber:
    "Ganz so einfach geht's nicht. Büros haben meistens keine Duschen, keine Badezimmer, haben meist auch keine Küchen. Das heißt auch wenn Sie ein Bürogebäude nutzen, müssen Sie es umbauen, damit es als Wohngebäude genutzt werden kann. Die preiswerteste Unterbringungsmöglichkeit sind Container, die nächste Möglichkeit ist Umnutzung von alter Bausubstanz, das hängt sehr von der Qualität der Bausubstanz ab, wie teuer das ist. Manchmal ist der Umbau fast teurer als ein Neubau."
    Ein Umbau von Büros wäre jedoch weitgehend überflüssig, wenn leer stehende Häuser und Wohnungen konsequent genutzt würden. Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben Zweckentfremdungsverbote beschlossen. Nach diesen Gesetzen können die zuständigen Ämter gegen die Eigentümer von unvermieteten Wohnungen Geldbußen von bis zu 50.000 Euro verhängen, sie können die Immobilien beschlagnahmen und der Allgemeinheit gegen einen ortsüblichen Mietzins zur Verfügung stellen. Doch in der Praxis scheuen die Behörden die Anwendung des Gesetzes.
    "Wir können nicht einfach irgendwelche Objekte beschlagnahmen, sondern es muss sehr genau im Einzelfall geprüft werden, ob die Rechtslage das hergibt. Wir würden uns sicher manchmal in dieser krisenhaften Situation, was die Flüchtlingsunterbringung betrifft, ein paar mehr Möglichkeiten wünschen, aber dem Grunde nach kann der Eigentümer mit seinem Eigentum, wie jeder, der ein Haus hat, umgehen, wie er möchte."
    Was aber ist mit Artikel 14 des Grundgesetzes? Dort heißt es in Absatz 2:
    "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
    Zweierlei Maß
    Wenn es um den Bau von Straßen oder Stromtrassen geht, schrecken die Behörden nicht vor einer Enteignung von privatem Grundbesitz zurück, sofern die Eigentümer ihre Grundstücke nicht freiwillig herausrücken. Warum findet dieser Artikel keine Anwendung bei Wohnhäusern, fragt Sarah Osswald vom "Leerstandsmelder".
    "Dieser Paragraf wird viel zu selten angewendet. Ganz im Gegenteil, in Deutschland wird der Leerstand noch steuerlich begünstigt. In Paris und in London, da gibt es jetzt Steuern, da wird Leerstand besteuert. Bis 2012 gab es in Amsterdam die Regelung, dass leer stehende Objekte, die länger als ein Jahr leer stehen, besetzt werden dürfen. Und man wollte einfach den Eigentümern klar machen, dass es das in der Stadt mit wenig Wohnraum nicht geben darf."
    Die Forderung, entschieden gegen Leerstand vorzugehen, würde Christian Hanke, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, sofort unterschreiben. Aber auch er sieht juristische Probleme.
    "In Notzeiten sehe ich das so, dass es gut wäre, wenn auch der Staat oder die Kommune die Möglichkeit hätte, leichter zu beschlagnahmen. Beschlagnahme heißt immer schwerer Eingriff in die Eigentumsrechte, aber in Notsituationen halte ich das für gerechtfertigt. Ich weiß aber, dass das in der Praxis sehr schwer umzusetzen ist, weil solch eine Entscheidung muss auch immer gerichtsfest sein. Ich vermute mal, dass wir vor Gericht, wenn wir jetzt Beschlagnahme machen würden, unterliegen würden, weil gesagt würde, na, ihr habt aber noch mehr Sporthallen, und die könnt ihr in der Notsituation nutzen."
    Lieber zahlen statt beschlagnahmen
    Demnach müssen sich Schulen und Sportvereine in Berlin damit abfinden, dass rund 50 Turnhallen weiterhin durch Asylsuchende belegt sind. Und der Senat greift tief in die Tasche und zahlt lieber das Doppelte der ortsüblichen Miete, um in Appartements Flüchtlinge unterzubringen, als ein leer stehendes Haus zu beschlagnahmen.
    Dabei erklärte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, erst unlängst, dass er die Beschlagnahme von Wohnungen grundsätzlich für erlaubt halte. Doch es scheint so, als müsse Gisela Brokamp noch lange an dem weiter verfallenden Haus in ihrer Nachbarschaft vorbeigehen.
    "Ich habe gelernt von meinem Vater, Eigentum verpflichtet, man muss sich um sein Eigentum kümmern. Und ein so großes Haus leer stehen zu lassen, ohne dass der Senat in irgendeiner Weise einschreitet, ich kann es mir nicht vorstellen. Es werden Schulen beschlagnahmt, auch Hotels sollen für die Flüchtlinge genommen werden, aber der große Leerstand, der in Berlin ist, der wird vielleicht zur Kenntnis genommen, okay, aber daraus wird bis jetzt noch nichts gemacht. Das ärgert mich."