Berlin-Lichtenberg, Magdalenenstrasse 19: ein grauer Betonklotz auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Hauptzentrale. Ein rumpelnder Fahrstuhl, verkleidet mit braunem Holzersatz – mit dem DDR-Kunststoff "Sprelacart". Im Hausflur eine riesige, vergilbte Landkarte der Deutschen Demokratischen Republik. Und oben, im dritten Stock auffallend dicke, schallgedämmte Türen mit Aluminiumgriffen. Relikte der MfS-Vergangenheit.
"Wir haben es zum Beispiel auch daran gemerkt, dass wir hier bei den Bauarbeiten irgendwie noch ein Neues Deutschland von 1973 als Dämmmaterial in der Wand gefunden haben. So ein paar Sachen sind einfach aufgetaucht. Aber ich finde, jetzt hat dieses Haus einfach so viel neues Leben, dass ich das jetzt einfach mit etwas völlig anderem verbinde."
Maruschka Schmitz werkelt in einer frisch eingerichteten WG-Küche: mit noblem Klick-Parkett, zwei Sofas und gemütlichen Korbstühlen. Monatelang hat die 28-Jährige – zusammen mit rund 60 weiteren Hausbewohnern – ihre gesamte Freizeit in den Bau gesteckt.
"Wir haben hier den PVC-Boden rausgerissen, wir haben hier Wände eingerissen, wir haben meterweise Kabel aus den Kabelkanälen geholt, ganz viel Schutt einfach hier rausgebracht, alles Mögliche."
Gebäude gehört dem gemeinschaftlichen Hausverein
Schmitz, von Beruf Psychologin, muss sich um Mietenspirale und Gentrifizierung keinen Kopf machen. Denn sie zahlt pro Quadratmeter nur 4,70 Euro nettoalt – die ortsübliche Vergleichsmiete liegt bei sechs bis sieben Euro. Der Grund für den Schnäppchenpreis: Das Gebäude gehört dem gemeinschaftlichen Hausverein. Der einzelne Bewohner ist jedoch nur Mieter; er besitzt – absichtlich – kein Eigentum.
"Die Mieten sind dadurch, dass es niemandem gehört, auch langfristig sicher. Also, wir beschließen in einer Vollversammlung, was passiert. Keine Einzelperson kann entscheiden, dass hier irgendwie luxussaniert werden soll und die Mieten steigen. Also niemand fliegt aus diesem Haus raus, weil das Amt die Miete nicht mehr übernimmt."
Wie konnten die Laien den sechsstöckigen Block erwerben? Sie haben ihre Freunde, Tanten, Onkel, Eltern und Großeltern um kleine Privatkredite gebeten – ab 500 Euro aufwärts. Mit der Summe, insgesamt 600.000 Euro, bot der Hausverein auf dem normalen Immobilienmarkt mit. Projektsprecher Aaron Bruckmiller, 24 und Philosophiestudent, berichtet über das Vorgehen:
"Mit dem Geld sind wir zu Banken gegangen, um einen Kredit aufzunehmen und am Ende hatten wir mit ein paar anderen Förderungen ungefähr zwei Millionen Euro zusammen, mit denen es uns möglich war, dieses Haus zu kaufen, auch zu renovieren. Diesen Kredit zahlen wir jetzt über unsere Mieten zurück über eine möglichst lange Laufzeit, weil wir nicht das Interesse haben, dass wir diesen Kredit möglichst schnell abbezahlen, sondern dass die Mieten möglichst niedrig sind."
Neben dem Hausverein ist auch eine Kooperative Eigentümer des Plattenbaus: das Mietshäuser-Syndikat. Das bundesweite Netzwerk unterstützt seit 1992 über einhundert alternative Wohnprojekte. Sein Ziel: Immobilien vor Spekulation zu schützen – und zwar langfristig. Anlass für die Kooperativgründung waren misslungene Gemeinschaftsprojekte - berichtet Syndikatsvorstand Bernhard Hummel.
"Es gibt in Berlin ein Beispiel, wo das Haus als Gruppe günstig erworben wurde, viele Senatsgelder reingeflossen sind, um das Ding sanieren zu können. Es war gemeinnützig geplant. Nach fünf Jahren hat die Gruppe ihre Gemeinnützigkeit abgeschafft. Und heute begreift sich diese Gruppe als privater Eigentümer von dem Haus und will das Ding weiter verkaufen zum hohen Preis und den Spekulationsgewinn machen – die Idee ist da total den Bach runter gegangen in dem Haus."
Keine privaten Interessen, das Haus zu verkaufen
Deswegen schreibt das Mietshäuser-Syndikat in den jeweiligen Gesellschaftsvertrag, dass kein Hausbewohner Eigentumsanteile besitzen darf. Wer auszieht, kann also keinen Besitz mitnehmen. Selbst der gemeinsame Hausverein darf seinen Anteil nicht verscherbeln.
"Der Gesellschaftsvertrag ist genau so aufgebaut, dass es keine privaten Interessen gibt, dieses Haus irgendwie zu verkaufen."
Ein neues Klettergerüst, frisch gepflanzte Beete und spielende Migrantenkinder: Die Magdalenenstrasse 19 will ihre Gemeinschaftsidee auch in den Kiez tragen. Eine Mitbewohnerin (*), 32 und in der Jugendbildung aktiv, unterstützt etwa ein Projekt im Innenhof:
"Also, hier ist eine große Massenunterkunft für Geflüchtete in der Nachbarschaft und wir haben zum Beispiel ein kleines Internetcafé eingerichtet - wird auch sehr rege genutzt, weil es in dieser Unterkunft kein Internet zur Verfügung gibt. Dort leben die Leute auf engstem Raum und haben halt keine Möglichkeit, sich irgendwo zu treffen und auszutauschen."
Ruhe vor Immobilienhaien
Kann das Alternativprojekt Schule machen? Werden bei dem angespannten Wohnungsmarkt tausende Mieter solchen Beispielen folgen? Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität, schüttelt den Kopf.
"Also im Moment ist es so, dass es kein spezielles Förderprogramm in Berlin beispielsweise für solche kollektiven Wohnprojekte gibt, dass es auf der Bundesebene so gut wie keine regulären Programme gibt. Sondern Fördergelder im Wohnungsbereich gehen in der Regel an Investoren und Private. Und da müsste sich eine ganze Menge tatsächlich ändern."
Vom Stasiklotz zur Groß-WG – Haussprecher Aaron Bruckmiller betont, dass seine Kommune auch nichts für bequeme, für passive Mieter ist. Wer aber zum Engagement bereit sei, der habe Ruhe vor Immobilienhaien. Und zwar für immer.
"Wir können hier so lange leben, bis wir alt sind und uns gegenseitig die Medikamente einflößen müssen (Lachen). Aber wir können hier auch jederzeit wieder ausziehen. Und genau diese Freiheit zu haben, ist eigentlich sehr schön."
(*) Wir haben den Namen der O-Ton-Geberin auf ihre Bitte hin im Text entfernt.