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Wohnungsmarkt in Berlin
Ein Volksbegehren für Enteignung

Mehr als 30.000 Menschen ziehen jährlich nach Berlin. Investoren treiben Preise nach oben, angestammte Mieter werden verdrängt. Deshalb sorgt eine Initiative für Furore, die Unterschriften für ein Volksbegehren sammelt. Sie will große Wohnungsbaugesellschaften enteignen.

Von Claudia van Laak |
Graffiti an einer Hauswand: "Mieterhöhung, Modernisierung - was tun? 1. Nichts unterschreiben, 2. Mit Nachbarinnen reden, 3. Mieterberatung aufsuchen"
Protestform Graffiti in Berlin-Neukölln: Was tun bei Mieteröhung? (imago/stock&people/IPON)
"Wie ist die Parole? Wir bleiben alle! Und wem gehört die Hasenheide? Uns gehört die Hasenheide!"
Berlin-Neukölln, Hasenheide 70/71. Die Mieterinnen und Mieter haben sich vor ihrem Haus zur Protestaktion verabredet. "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn" steht auf den Transparenten, die sie an den Zaun vor das Gründerzeithaus gehängt haben. In den Fenstern hängen Plakate mit der Aufschrift: "Wir bleiben alle". Heute singen sie gegen Entmietung und Verdrängung, trinken selbstgemachten Cidre dazu.
"In Stuttgart, Freiburg, Potsdam, Köln und Bochum. Das hören wir von dort bis nach Berlin, gibt es ganz genau dasselbe Thema, Miete kostet mehr als wir verdien'."
"Wir wollen einfach darauf aufmerksam machen, dass es so ist, und deshalb stehen wir hier und singen wir etwas schräg."
Sagt Friederike Schönebach. Derzeit ist ihre Miete noch konkurrenzlos günstig. Die Graphikdesignerin zahlt knapp 500 Euro für eine unsanierte 96-Quadratmeter-Wohnung mit Ofenheizung. Doch das große Neuköllner Mietshaus ist zur Jahreswende verkauft worden, jetzt befürchten alle Luxussanierung und Vertreibung.
Mieter organisieren sich gegen Verdrängung
Daniel Diekmann singt heute lautstark mit bei den Protesten in Neukölln, er vertritt die Mieterinitiative Habersaatstraße.
"Von den 106 Wohnungen stehen 80 Wohnungen leer, spekulativer Leerstand von achtzig Wohnungen, und zwanzig sind noch bewohnt. Wir sind das gallische Dorf in Mitte und harren aus und haben auch schon einiges hinter uns. Es gab jede Menge Einschüchterungsversuche, Briefkasten aufgebrochen, Post entwendet, et cetera."
Berlinweit organisieren sich Mieter gegen Verdrängung und unbezahlbare Mieten. Die Proteste kulminieren am Samstag in einer großen Demonstration. An diesem Tag startet auch das Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co. enteignen".
Nein, nein, sagt Initiator Rouzbeh Taheri und winkt ab - wir wollen nicht den Sozialismus. Aber:
"Wir wollen einen bestimmten Bereich, die Wohnungen, aus der Diktatur des Marktes befreien. Und sagen, dass existenzielle Bedürfnisse des Menschen wie zum Beispiel Wohnen, kein Spielball an der Börse sein dürfen. Man darf nicht mit Wohnungen an der Börse handeln wie mit Schweinehälften."
Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen im Visier
Der 45-Jährige zieht noch schnell an seiner selbstgedrehten Zigarette, dann beantwortet Taheri - Schiebermütze und Kapuzenpullover – geduldig die immer gleichen Fragen. Alle gewinnorientierten Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin will die Initiative enteignen, Grundlage ist Artikel 15 Grundgesetz. Im politisch links tickenden Berlin trifft die Initiative einen Nerv, die benötigten 20.000 Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens dürften in wenigen Tagen gesammelt sein.
"Es zeigt, dass der alte Spruch von Victor Hugo, dem französischen Schriftsteller, stimmt. Dass nichts mächtiger ist als eine Idee, deren Zeit gekommen ist."
David Eberhardt seufzt. Den Sprecher des Dachverbands der Wohnungsunternehmen BBU erreichen seit Wochen Anfragen aus anderen Teilen der Republik. Die Immobilienbranche fragt: Um Himmels willen, was ist denn da los bei Euch in Berlin? Das klingt ja nach DDR. Eberhardt seufzt noch einmal und sagt:
"Dass die Mieten verglichen mit anderen Großstädten nach wie vor sehr bezahlbar sind, mit 6,40 Euro im Durchschnitt, von daher ist es wirklich jemandem, der in München, Köln oder Hamburg wohnt, schwer zu vermitteln, dass hier dieser Enteignungswahnsinn ausgebrochen ist."
Rot-rot-grüner Senat verfehlt selbstgesteckte Neubauziele
6,40 Euro beträgt die Durchschnittsmiete, die Neuvermietungen liegen allerdings doppelt so hoch. In keiner anderen deutschen Stadt sind die Mieten so schnell gestiegen wie in Berlin - denn der Zuzug ist enorm, gleichzeitig verfehlt der rot-rot-grüne Senat seine selbstgesteckten Neubauziele. Die mitregierende Linke unterstützt das Volksbegehren, die Grünen sind noch unentschlossen.
Und die SPD? Das Enteignungsvolksbegehren bringt den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und seine Sozialdemokraten in Bedrängnis. Nach einer hitzigen Debatte auf dem Landesparteitag am letzten Samstag vertagte die SPD die Entscheidung pro oder contra Enteignung.
"Für manche Menschen in der Stadt bedeutet es etwas, über Begrifflichkeiten wie Enteignung zu reden. Und es gibt auch eine Menge Menschen in der Stadt, die haben Erfahrung damit. Und nicht immer gute." "Man glaubt sich manchmal 30 Jahre zurück und weiter nach Osten versetzt." "Die Frage, welche Rolle Privateigentum in dieser Gesellschaft spielen sollte, das ist eine linke Frage, aber auch eine Sozialdemokratische." "Zudem wollen wir, dass Baugrund enteignet wird, damit wir schneller Wohnungen bauen können und das nicht mehr Spekulationsobjekt ist."
Michael Müller, Regierender Bürgermeister und SPD-Landeschef, spricht sich gegen Enteignungen aus - allerdings aus pragmatischen Gründen:
"Weil es ist mit hohen Risiken behaftet. Es ist eine Sache, die erst in Jahren juristisch ausgefochten ist. Es ist etwas, was uns finanziell überfordern würde im Landeshaushalt."
Viele werden das Volksbegehren unterschreiben
"Darum wacht auf, Verdammte dieser Erde, so leicht verdrängen lassen wir uns nicht…"
Zurück zum Mieterprotest in der Neuköllner Hasenheide. Wohnungsbaukonzerne enteignen? Das wollen nicht viele. Unterschreiben werden sie das Volksbegehren trotzdem.
"Die Enteignungsgeschichte? Das halte ich gar nicht für den richtigen Weg. Obwohl ich es aus Prinzip und Protest unterschreiben werde." "Im Prinzip finde ich Eigentum keine verkehrte Sache. Aber die Art und Weise, wie mit Eigentum umgegangen wird in der Praxis, führt zu Problemen, die demokratische Lebensverhältnisse am Ende verunmöglichen."