Christoph Heinemann: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat von Bund und Ländern eine Offensive im Wohnungsbau gefordert, um die zunehmende Wohnungsnot zu lindern. Hauptgeschäftsführer Landsberg schlägt folgenden Dreiklang vor: Bezahlbaren Wohnraum schaffen, den Bestand aktivieren und die entlegeneren Räume einbinden. Er beziffert den Bedarf bis 2020 auf 350.000 bis 400.000 Wohnungen pro Jahr. Und da gibt es noch etwas zu tun, denn 2016 – so die Berechnung des Städte- und Gemeindebundes – wurden nur 278.000 Wohnungen fertiggestellt. Da ist noch Luft nach oben.
Das Problem wird den Wohngipfel beschäftigen: am kommenden Freitag im Kanzleramt. An diesem Wochenende haben in München Tausende für bezahlbare Wohnungen demonstriert. In Berlin werden immer wieder Häuser besetzt, um gegen die hohen Mieten zu protestieren. Die Besetzerszene entspricht dabei nicht dem klischeehaften Bild junger wilder Hausbesetzer.
Am Telefon ist Hagen Reinhold (FDP), Mitglied des Bundestagsausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen, Wahlkreis Rostock. Guten Tag!
Hagen Reinhold: Ich grüße Sie.
Heinemann: Was raten Sie einer Krankenschwester, die wegen der Nachtschicht, wegen der Schichtdienste in der Münchener Innenstadt wohnen möchte?
Reinhold: Das Günstigste wäre, eine Partei zu unterstützen, die sich darum kümmert, dass wir Wohnraum schaffen und nicht Mangel verwalten. Denn das ist ja das Hauptproblem, was wir gerade haben. Ich glaube, es wird auch immer sichtbarer, und da hilft auch wenig, den wenigen Wohnraum, der da ist oder auch nicht da ist, zu besetzen, wenn er noch nicht geschaffen ist, denn das hilft den Leuten, die immer noch keinen Wohnraum finden, nicht weiter. Was wir brauchen ist dringend mehr Wohnungen. Das ist der Kern des Problems.
"Städte haben versäumt, sich auf steigenden Bedarf der Mieter einzustellen"
Heinemann: Und wie kommt die Krankenschwester jetzt an eine Wohnung?
Reinhold: Die Krankenschwester wird sich sicherlich, auch wenn wir alles dafür tun und schnell sind, gedulden müssen, oder solange ausweichen in Bereiche, die nicht direkt in der Innenstadt liegen. Ich weiß, das ist für manche schwer, aber eine große Chance sicherlich auch für den ländlichen Raum der großen Ballungsräume rundherum. Ansonsten geht es nur, indem wir schnell und zügig Wohnraum schaffen und alles daran setzen, dass dieses Ziel erreicht wird.
Heinemann: Wie bekommt man bezahlbaren Wohnraum in die Städte?
Reinhold: Ich glaube, indem wir zum Beispiel aufräumen mit der jahrelangen Verwaltung dieses Leerstandes. Nehmen Sie mal München, ist ja von Ihnen gerade im Beitrag erwähnt worden. Wir haben eine Landesbauordnung, die vorschreibt, ab einer gewissen Größe ein zweites WC einzubauen in Wohnungen, was natürlich Unsinn ist. Wir haben Städte, die über Jahre versäumt haben, sich auf steigenden Bedarf der Mieter einzustellen. Sehen Sie, in den 90er-Jahren lag der durchschnittliche Wohnraum pro Person bei 34 Quadratmetern. Mittlerweile sind wir bei 46 Quadratmetern. Die Prognose sagt, pro Einwohner 54 Quadratmeter 2030.
Das heißt, selbst eine Gemeinde, die nicht mit den Einwohnern wächst, braucht mehr Wohnraum. Deshalb muss ich Baugebiete ausweisen, muss ich Innenstädte verdichten, indem ich Dachgeschosse aufstocke, indem ich Brachflächen aktiviere und alles dafür tue, dass das Bauen günstiger wird und nicht teurer wird. Da brauche ich nicht noch in der fünften Etage einen Fahrstuhl, weil es die Bauordnung so vorsieht, und Sie eine barrierefreie Einheit brauchen. Dann geht es darum, dass die Krankenschwester zum Beispiel, die vielleicht nicht im Rollstuhl sitzt, die Wohnung bekommt im Dachgeschoss.
Heinemann: Kann man Bauen und Wohnen dem Markt überlassen?
Reinhold: Wenn es nach mir ginge, dann hätte in Deutschland jeder eine Eigentumswohnung oder ein Einfamilienhaus, wie das in vielen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Wir sind in Deutschland ja schlecht dran, was die Eigentümerquote betrifft. Bloß solange das der Fall ist, können wir froh sein über die, die investieren und Wohnungen bauen und vermieten.
"Wir haben in Deutschland 60 Prozent private Vermieter"
Heinemann: Was außer Geld interessiert denn die Anteilseigner am Wohnungsmarkt?
Reinhold: Lassen Sie mich dazu zwei Sachen sagen, was immer in der Diskussion übersehen wird. Wir haben in Deutschland 60 Prozent private Vermieter. Dazu kommen noch mal über 22 Prozent, die in Eigentümergemeinschaften sind. Das heißt, über 80 Prozent der Vermieter in Deutschland sind Privatpersonen, die gar nicht so sehr auf das, was am Ende des Monats übrig bleibt bei der Wohnung – das sagen auch viele Statistiken – schielen, sondern die viel lieber humane Mieten nehmen und auch ihrem Mieter gegenüber fair sind. Da ist zum Beispiel die Mietpreisbremse total kontraproduktiv.
Mietpreisbremse: "Dieses Instrument ist Quatsch"
Heinemann: Herr Reinhold, aber das scheint doch gerade nicht zu funktionieren. Der Istzustand ist doch ein ganz anderer als der, den Sie gerade beschrieben haben.
Reinhold: Aber warum ist das so? Sehen Sie mal, die Mietpreisbremse hat doch erst richtig Schwung in die ganze Sache gebracht. Der Vermieter, der privat früher gesagt hat, ich vermiete zehn Jahre für einen festen Mietsatz meine Wohnung, und wenn der Mieter auszieht und ein neuer Mieter einzieht, dann nehme ich die höhere Miete, so wie sie heutzutage tagesaktuell ist, das wird ihm jetzt verwehrt, weil die Mietpreisbremse da ist und er ist gezwungen, jedes Jahr eine Mietpreiserhöhung zu machen. Das ist doch totaler Unsinn gewesen. Deshalb ist dieses Instrument doch Quatsch.
Wir brauchen doch für die Leute, die es sich nicht leisten können, zum Beispiel ein höheres Wohngeld, damit die eine Chance haben, in jedem Mietmarkt und nicht nur im sozialen Wohnungsbau eine Wohnung zu finden. Das ist doch auch für die Quartiere und für die Durchmischung der Innenstädte total wichtig.
Heinemann: Die Mietpreisbremse war eine Antwort auf einen völlig aus dem Ruder gelaufenen Wohnungsmarkt. Möchten Sie dahin wieder zurück?
Reinhold: Die Mietpreisbremse war eine Antwort auf die verschlafenen Aufgaben im politischen Umfeld über die letzten Jahrzehnte. Das hat die SPD doch gerade mit ihrem Mietpreis-Stopp, den sie jetzt vorschlägt, gezeigt. Sie haben gesagt, solange bis es geschafft ist, dass die Aufgaben, die nicht erledigt wurden die letzten Jahre, wieder aufgeholt sind. Das zeigt doch, dass hier was verschlafen worden ist, und das übrigens nicht nur beim Bund, der jetzt die Mietpreisbremse im Bundestag beschließen soll oder auch noch verschärfen soll, sondern gerade bei den Kommunen.
Die Bürgermeister, die Stadtvertretung – ich habe das vorhin beschrieben – hätten dafür sorgen müssen, dass mehr Bauland, mehr Wohnraum in den Städten entsteht, und das ist immer noch die Aufgabe der Städte und Gemeinden. Da hoffe ich, dass wir auch dazu kommen, gesellschaftlich eine Debatte darüber zu führen, dass die, die schon Wohnungen haben, auch Verständnis dafür haben, dass ihr Haus aufgestockt wird, dass daneben ein neues gebaut wird, und nicht mit dem Finger darauf gezeigt wird und gesagt wird, bei uns um die Ecke aber nicht.
Heinemann: Apropos Kommunen. Viele Kommunen haben städtische Wohnungen verkauft. Sollten Städte und Gemeinden Wohnungen besitzen, wie zum Beispiel in Wien? Da kann man relativ preisgünstig immer noch mieten.
Reinhold: Tatsächlich hatte ja fast jede Stadt in Deutschland Mietbestand. Ich habe grundsätzlich überhaupt nichts dagegen, wenn sich um den Mietbestand gekümmert wird. Die Berliner haben ja mit Ach und Krach vor vielen Jahren für richtig wenig Geld ihre Wohnungen verscherbelt, muss man sagen, und jetzt stehen sie vor dem Scherbenhaufen und sagen, wir brauchen eine Mietpreisbremse. Das ist ja eines der Probleme.
Heinemann: Die Kommunen sollten Ihrer Meinung nach in den Wohnungsmarkt involviert sein?
Reinhold: Ich habe nichts dagegen, dass die Kommunen dabei sind. Ich habe aber auch in einem funktionierenden Markt nichts dagegen, dass egal wer der Vermieter dieser Wohnung ist. Denn wenn ein Markt funktioniert und ein Angebot an Wohnungen da ist, das für alle reicht, dann ist der Preis auch so, dass ich es mir leisten kann.
Heinemann: Ob der Markt funktioniert, das werden viele anders sehen. Es gibt Berechnungen, nach denen 40 Prozent der Haushalte etwa 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgehen.
Reinhold: Richtig.
"Ansprüche steigen - und damit natürlich auch der Anteil, den man für die Miete bezahlt"
Heinemann: Wie hoch sollte der Mietanteil, gemessen am Einkommen, Ihrer Meinung nach liegen?
Reinhold: Sehen Sie, der Anstieg dieses Anteils am verfügbaren Netto-Haushaltseinkommen, der Brutto-Warmmiete im Übrigen – das ist die Brutto-Warmmiete, über die wir bei den 30 Prozent immer reden, und jeder vergisst, dass die Nebenkosten mittlerweile fast die Hälfte des Mietpreises ausmachen, und der ist durch EEG-Umlage und viele andere Kosten ja auch getrieben. Das vergessen wir in der Diskussion. Bleibt die Miete übrig; auch die ist angestiegen.
Aber ich sagte das vorhin schon: Wenn ich mittlerweile 30 Prozent mehr Wohnraum pro Person brauche, in einem Haushalt, in dem durchschnittlich zwei, drei Personen sind, dementsprechend mehr, dann kostet die Wohnung natürlich auch mehr. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wenn wir unsere Ansprüche ständig steigen lassen, was völlig in Ordnung ist, dann natürlich auch einen höheren Anteil an der Miete zu bezahlen. Ich glaube, einen festen Satz zu benennen, das wäre hanebüchen, wenn wir das jetzt festlegen wollten, wer wieviel Wohnraum oder wieviel Miete bezahlen müsste. Das muss schon jeder selber für sich wissen. Ich weiß nur aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte heraus: Die Ansprüche steigen, das ist auch in Ordnung so, und damit natürlich auch der Anteil, den man für die Miete bezahlt.
"Wir sollten alles daran setzen, zu bauen"
Heinemann: Herr Reinhold, die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute über die Lage in Berlin. Zehn bis zwölf kriminelle Familien-Clans aus unterschiedlichen Ländern treiben dort ihr Unwesen, kaufen in großem Stil Immobilien, um Schwarzgeld zu investieren. Lädt der Markt zu solchen kriminellen Investitionen ein?
Reinhold: Ich weiß gar nicht, ob kriminelle Handlungen dabei eine Rolle spielen.
Heinemann: Aber Schwarzgeld vielleicht schon.
Reinhold: Na selbstverständlich! Das ist doch keine Frage, dass wir so was unterbinden müssen. Keine Frage! Aber ein angespannter Markt an Wohnungen oder an Mietwohnungen, der lädt natürlich immer dazu ein zu investieren, und da muss die Politik doch eingreifen. Wir müssen doch dafür sorgen, dass ein Überangebot entsteht, dass der Markt sich abkühlt.
Und was sagen wir denn? – Das finde ich ja das Unsinnige gerade an den Debatten. Wir versuchen, die zu schützen, die jetzt diese eine Wohnung bekommen. Dann stehen 199 Leute vor der Tür. Einer bekommt die Wohnung und 198 gehen wieder nachhause und haben immer noch keine. Egal wer der Vermieter ist, er wird sich mit Sicherheit nicht den aussuchen, der gerade so vielleicht auf die Wohnung angewiesen ist, die Krankenschwester, die Sie vorhin in der ersten Frage angesprochen haben, sondern wahrscheinlich eher ihren Chef, den Arzt, der mit Sicherheit die nächsten zehn Jahre sich die Miete leisten kann. Also sollten wir alles daran setzen zu bauen, und dann sind solche abnormen Handlungen auch nicht mehr im Markt vorhanden.
Heinemann: Hagen Reinhold (FDP), Mitglied des Bundestagsausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Reinhold: Ich danke Ihnen ebenso. Ciao!
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