Der Staat subventioniere derzeit mit dem sozialen Wohnungsbau das Objekt - die Wohnung - anstatt das Subjekt - den Mieter - zu subventionieren, so Breyer. Er forderte eine Anpassung und Ausweitung des Wohngeldes. Im sozialen Wohnungsbau erkennt Breyer eine Fehlleitung von Subventionen. Denn ein großer Teil der Bewohner sei gar nicht bedürftig. Wer einmal eine solche Wohnung bezogen habe, dürfe dort immer bleiben - auch wenn sein Einkommen steige.
Auch die Mietpreisbremse habe nicht die gewünschten Effekte. Wenn sie wirke, sei sie sogar schädlich, meint Breyer. Sie verschärfe die Knappheit. Damit würde eine künstliche Nachfrage erzeugt, gleichzeitig verringere sich aber das Angebot. Der Suchaufwand für eine Wohnung werde unnötig groß, wenn nicht mehr der Preis das entscheidende Kriterium sei.
Der Markt könne die Wohnungsnot besser lösen als die bisher eingesetzten staatlichen Instrumente, meint Breyer. In weniger nachgefragten Regionen würden die Mieten günstiger und somit attraktiver für viele Menschen. Der Leerstand sei bundesweit größer als der Bedarf.
Das Interview in voller Länge:
Stephanie Rohde Nicht nur, wer eine Wohnung kaufen oder mieten will, der weiß, Wohnraum wird immer teurer in Deutschland und bezahlbare Wohnungen sind rar. Gegen diese Wohnungsnot will die große Koalition vorgehen, sie hat sich ja im Koalitionsvertrag unter anderem auf ein Baukindergeld und zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau für übernächstes Jahr geeinigt. Davon halten Berater der Bundesregierung aber offenbar wenig, der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums fordert stattdessen einen radikalen Kurswechsel – also Mietpreisbremse abschaffen, sozialen Wohnungsbau runterfahren und das Bauen erleichtern. Würde Wohnen dann tatsächlich günstiger, wenn die Bundesregierung mehr auf die Kräfte des Marktes setzte? Darüber will ich jetzt sprechen mit dem Ökonomen Friedrich Breyer. Er ist Mitglied im besagten Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, und er ist der federführende Autor des Gutachtens. Guten Morgen!
Friedrich Breyer Guten Morgen, Frau Rohde!
"Bedürftige gleichstellen mit anderen Mietinteressenten"
Rohde Justizministerin Katarina Barley, die hat gestern ganz trocken festgestellt, Zitat: "Jeder weiß, dass der Markt von sich aus nur wenige bezahlbare Wohnungen schafft." Herr Breyer, Sie wissen das nicht?
Breyer Doch, aber das ist das falsche Bild, dass bezahlbare Wohnungen geschaffen werden müssen. Es müssen natürlich mehr Wohnungen entstehen, insbesondere in den Ballungsräumen, wo die meisten Menschen heutzutage hinziehen wollen, aber die Bezahlbarkeit, die kann man ja über Sozialtransfers sichern, eben über das Wohngeld. Man kann damit Bedürftige gleichstellen mit anderen Mietinteressenten.
Rohde Aber das hieße ja, wenn man das Wohngeld etwas anpasste, dass der Staat am Ende teures Wohnen subventioniert. Ist das nicht absurd?
Breyer Na ja, der Staat subventioniert ja im Augenblick die Erstellung von Wohnraum, und statt – wir nennen das Objektsubvention –, statt das Objekt zu subventionieren, sollte das Subjekt, also die Bürger selber subventioniert werden, weil das viel zielgenauer ist als der soziale Wohnungsbau.
Rohde Aber bedeutet das am Ende nicht, dass Steuergelder an Unternehmen gehen, während Wohnungen immer teurer werden? Das kann doch nicht soziale Marktwirtschaft sein.
Breyer Nein, die Steuergelder gehen doch gerade jetzt an Unternehmen. Also im System des sozialen Wohnungsbaus gehen die Steuergelder an die Unternehmen, und die Unternehmen suchen sich dann die Mieter aus. Schauen Sie, man kann nicht für jeden Bedürftigen eine Sozialwohnung erstellen, also werden die Vermieter immer noch einen Spielraum haben unter den Mietinteressenten, die eine Sozialwohnung nachfragen oder die auch das Recht haben auf eine Sozialwohnung, wählen sie immer noch aus. Und da wählen sie wahrscheinlich doch diejenigen aus, die ihnen die größere Wahrscheinlichkeit liefern, die Miete auch immer zahlen zu können. Das heißt, sie werden unter den Bedürftigen die weniger Bedürftigen bevorzugen, und das kann es doch auch nicht sein.
Mietgrenzen für Wohngeld anheben
Rohde Der Deutsche Mieterbund kritisiert Ihren Vorschlag ja und sagt, das Allheilmittel Wohngeld sei etwas, was aus der tiefsten wohnungspolitischen Mottenkiste geholt sei. Ist das tatsächlich so, dass Sie da einen ganz alten Vorschlag versuchen wiederzubeleben?
Breyer Erstens, es gibt ja Wohngeld. Es ist ja nicht so, dass das Instrument des Wohngelds nicht existiert …
Rohde Ja, aber die Anpassung.
Breyer … aber meiner Meinung nach müssen die Mietgrenzen, bis zu der eben Wohngeld gezahlt wird, deutlich angehoben werden, auch der Empfängerkreis sollte angehoben werden. Außerdem ist es ja sachlich kein Argument, wenn man sagt, das ist aus der Mottenkiste. Was man tatsächlich feststellen kann, ist, dass frühere Kommissionen – zum Beispiel in den 90er-Jahren gab es eine Wohnungskommission – genau die gleichen Empfehlungen gemacht hat wie wir heute, die Politik sie aber nicht umgesetzt hat. Und was ist die Folge? Die Folge ist, dass wir jetzt die gleichen Probleme immer noch oder wieder beobachten, nämlich eine sogenannte Wohnungsnot oder einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Das heißt, gerade die Tatsache, dass man alte Vorschläge wieder unterbreiten muss, zeigt doch, wie wenig die Politik auf den richtigen Pfad kommt, nämlich das Problem des Mangels an Wohnraum und das Problem der Bezahlbarkeit zu trennen und für sich genommen jedes einzelne Problem zu lösen.
Rohde Es wird aber doch gerade mehr gebaut. Das wachsende Wohnungsangebot, das führt allerdings nicht dazu, dass sich die Mieten stabilisieren, stattdessen wird Wohnraum immer teurer. Kann es sein, dass das, was bei Ihnen in der Theorie schön klingt, in der Praxis einfach gar nicht funktioniert?
Breyer Es ist ja nicht so, dass Wohnraum überall immer teurer wird, sondern wir haben eben eine regionale Ungleichverteilung durch die gesellschaftlichen Trends. Immer mehr Leute wollen in die Großstädte, mehr Universitäten sind gegründet worden oder die Universitäten wachsen sehr stark, die Leute ziehen in Universitätsstädte. Wir haben in Deutschland zwei Millionen leerstehende Wohnungen, und der Fehlbedarf laut der ehemaligen Bauministerin Hendricks letztes Jahr beträgt eine Million Wohnungen, das heißt, der Leerstand ist größer als das, was angeblich fehlt an Wohnungen. Das heißt, es kommt auf die regionale Verteilung an, und die Menschen wollen in den Innenstädten wohnen statt an der Peripherie. Und das kann nun nur der Preismechanismus regeln, dass die Wohnungen in den Innenstädten teurer werden und die in der Peripherie eben nicht im Preis steigen, eventuell sogar billiger werden. Der Preismechanismus regelt das.
Fehlbelegung von Sozialwohnungen
Rohde Aber wie soll das denn gehen, wie soll der Markt denn regeln, dass dann Wohnungen auf einmal günstiger werden, wenn sie an der Peripherie sind, das ist doch unrealistisch.
Breyer Natürlich werden die günstiger. Wenn ein Vermieter seine Wohnung nicht los wird, dann senkt er die Miete, das haben wir alles beobachtet. Ich meine, in ländlichen Gebieten, die etwas weiter von den Großstädten entfernt sind, haben wir großen Leerstand, das heißt, diese Wohnungen, die werden jetzt zu niedrigeren Preisen angeboten. Eventuell werden sie natürlich auch verkauft, wenn sie dem Vermieter keine Rendite mehr bringen.
Rohde Ich würde gerne noch über sozialen Wohnungsbau sprechen. Sie sagen, sozialer Wohnungsbau, der löst das Problem überhaupt nicht, allerdings sagt die SPD, der Grund für die Wohnungsnot und für die hohen Mieten seien eben zu wenige Investitionen in den sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit, deshalb ist die Lösung eindeutig laut der SPD nämlich mehr sozialer Wohnungsbau. Wieso ist das nicht logisch?
Breyer Ja, also wir haben zwei Probleme: Das eine Problem ist das der Fehlbelegung, das heißt, wenn Sie einmal das Recht hatten, in eine Sozialwohnung einzuziehen, dürfen Sie da Ihr Leben lang bleiben, auch wenn Ihr Einkommen gestiegen ist. Und die Erhebung einer Fehlbelegungsabgabe hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Den Ländern war das zu verwaltungsaufwendig. Also zum einen ist es eine Fehlleitung von Subventionen, wir haben das auch erhoben beziehungsweise wissenschaftlich erarbeitet, die nachweisen, dass ein großer Teil der Bewohner von Sozialwohnungen eben gar nicht mehr bedürftig ist. Dieses zweite Problem ist, dass Sie mit noch so vielen Sozialwohnungen es nie schaffen können, alle Bedürftigen mit einer Sozialwohnung zu versorgen. Und wie ich schon sagte, wählt dann der Vermieter die ihm genehmen Mieter aus. Das ist ähnlich wie mit der Mietpreisbremse: Wenn man ein Gut verknappt, gibt man dem Anbieter dieses Gutes mehr Spielraum, sich auszusuchen, an wen er es verkauft, und damit hilft man gerade den Bedürftigsten nicht, während das Wohngeld zielgenau an dem Ausmaß der Bedürftigkeit ansetzt. Also jemand, der stärker bedürftig ist, kriegt ein höheres Wohngeld, also jemand mit niedrigerem Einkommen kriegt ein höheres Wohngeld als jemand mit einem etwas höheren Einkommen. Gerade diese Differenzierung gibt es ja bei dem sozialen Wohnungsbau nicht.
"Wenn die Mietpreisbremse wirkt, hat sie schädliche Wirkungen"
Rohde Aber es gibt doch immer mehr Menschen inzwischen auch aus der Mittelschicht, die keinen günstigen Wohnraum mehr finden. Sollte man nicht gerade auch deshalb sozialen Wohnungsbau fördern, gerade auch weil der Bund Rekordüberschüsse macht?
Breyer Also sozialer Wohnungsbau ist nicht für die Mittelschicht. Schauen Sie, auch in einer umverteilenden Wirtschaft muss der Durchschnittsbürger das bezahlen, was der Durchschnittskonsument konsumiert. Also die Mittelschicht zu bezuschussen, aus Steuermitteln, wer soll die Zuschüsse denn dann finanzieren? Dann nehmen Sie das den Leuten aus der einen Tasche weg, ums in die andere Tasche reinzustecken. Wir können immer nur die Bedürftigen unterstützen.
Rohde Sie sagen auch, die Mietpreisbremse sei wirkungslos, und auch eben, wenn sie wirkungsvoll wäre, würde sie Wohnungsknappheit weiter verschärfen, aber eine neue Studie vom Institut für Wirtschaftsforschung, die sagt, die Mietpreisbremse wirkt sehr wohl, allerdings nur in diesen Städten, in denen die Preise fürs Wohnen schon vor der Einführung erheblich gestiegen waren. Das sind allerdings viele Städte. Verurteilen Sie die Mietpreisbremse da nicht ein bisschen voreilig?
Breyer Ja, gerade wenn sie wirkt, hat sie schädliche Wirkungen, weil sie die Knappheit von Wohnraum in begehrten Lagen verschärft, denn zum Beispiel als Mietinteressent werde ich eine größere Wohnung nachfragen, wenn der Preis niedriger ist. Das heißt, die Nachfrage nach Wohnraum, wenn man die mal in Quadratmetern misst, wird künstlich erhöht, das Angebot wird gesenkt, weil Anbieter sich überlegen, ob eine Vermietung sich noch lohnt bei einer Mietpreisbremse, oder ob sie nicht die Wohnung verkaufen als Eigentumswohnung oder umwandeln in eine Ferienwohnung für Touristen – das beobachten wir ja alles. Also das Angebot sinkt, die Nachfrage steigt, und wenn Sie mal in einem Ballungsgebiet eine Wohnung gesucht haben, werden Sie feststellen, da werden nicht fünf Leute bei der Besichtigung durch die Wohnung geschleust, sondern 50. Und der Suchaufwand, um eine Wohnung zu finden, wird unnötig groß, wenn der Preis so niedrig gehalten wird, dass der Preis nicht mehr darüber entscheidet, wer die Wohnung bekommt, sondern andere Kriterien. Und dann sucht wieder der Vermieter sich ihm genehme Mietinteressenten aus, und gerade Problemgruppen des Wohnungsmarkts – große Familien und so weiter –, haben es dann noch schwerer.
Rohde Wirtschaftsminister Altmaier allerdings sagt oder hat in Aussicht gestellt, dass es keine Abschaffung der Mietpreisbremse geben wird, also stoßen diese einfach auf taube Ohren bei der Bundesregierung?
Breyer Ja, das können wir nicht regeln, wer sich an unsere Vorschläge hält und wer nicht. Wir können nur unsere Argumente auf den Tisch legen, und dann muss sich die Politik halt entscheiden, ob sie die ernst nimmt. Aber die Politik muss sich entscheiden, ob sie das Problem der sogenannten Wohnungsnot lösen will oder ob sie in fünf Jahren wieder vor dem gleichen Problem stehen will.
Rohde Und Sie sagen, die Regierung versagt gerade.
Breyer Na ja, das weiß ich nicht, wie sich unser Minister Altmaier dann bei dem Wohnungsgipfel in vier Wochen verhalten wird, das wissen wir ja nicht.
Rohde Das sagt der Ökonom Friedrich Breyer. Er ist im Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums und Autor des Gutachtens, über das gestritten wird. Danke für das Gespräch!
Breyer Danke, Frau Rohde!
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