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Kommentar zur Wohnungsnot
Neubauten allein helfen nicht weiter

Familien, Studenten, Rentner - sie alle finden keine passende Wohnung mehr. Doch anstatt das Problem anzugehen, blende die Regierung andere Optionen aus, meint Manfred Götzke. So könne es nicht weitergehen.

Von Manfred Götzke |
Baukräne am Fernsehturm, Berlin Alexanderplatz
In Berlin und anderswo wird stets fleißig gebaut - und dennoch zu wenig, um die Wohnungsnot zu lindern. (IMAGO / Westend61 / IMAGO / Pascal Miller)
Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Dieser Satz war schon vor ein paar Jahren wahr – und er gilt heute umso mehr. Schon seit Jahren können sich viele Menschen in Frankfurt, München und Berlin das Wohnen nicht mehr leisten – vor allem, wenn sie neu in die Metropolen kommen. Studierende finden kein WG-Zimmer mehr unter 600 Euro, Berufseinsteiger müssen auf Home-Office bestehen, weil Berlin den Großteil ihres Lohns auffressen würde. Familien leben mit Kleinkind auf 45 Quadratmetern, Rentner ziehen in Brandenburger Dörfer, weil die Miete die Rente übersteigt.
In Berlin gab es kürzlich das Sinnbild für die Wohnungsmisere: Bei einer öffentlichen Wohnungsbesichtigung war die Schlange 150 Meter lang. Für 74 Quadratmeter für 1074 Euro warm.

Kluft zwischen Immobilienbesitzern und Mietern wächst

Wohnen ist eines der größten Armutsrisiken in Deutschland geworden, durch die krisenbedingt gestiegenen Nebenkosten erst recht. Die hohen und immer weiter steigenden Neu-Mieten in den deutschen Metropolen vergrößern im Mieterland Deutschland die Kluft zwischen Immobilienbesitzern und Mietern immer weiter.
Kein Wunder also, dass die Bauindustrie heute gemeinsam mit Mietervertretern vor dem Gau auf dem Bau warnt. Die Bundesregierung muss das ernst nehmen – und die zins- und inflationsbedingt gestiegenen Baukosten abfedern. Zumindest bei Sozialwohnungen. 50 Milliarden Euro fordert die Bauwirtschaft dafür, das ist keineswegs zu viel.
Denn eins klar: Ohne Neubau in den Metropolen, ohne Nachverdichtung lässt sich das Wohnungsproblem nicht lösen. Eins ist aber auch klar: Bauen, bauen, bauen – das kann nur ein Teil der Lösung sein. Einen großen Teil des Problems kann die Politik auch lösen – ohne mehr Flächen zu versiegeln und klimaschädlichen Neuzement zu verbauen.

Spekulation mit Immobilien muss aufhören

Vielfach wird Wohnraum in den Metropolen ja auch falsch genutzt: Weil sich Menschen Neumieten nicht leisten können, zieht zum Beispiel in Berlin kaum jemand mehr um. Dann bleibt die verwitwete Seniorin auf 100 Quadratmetern im vierten Stock ohne Fahrstuhl wohnen – und die junge Familie auf 40 Quadratmetern. Ein Wohnungstausch-Programm für alle öffentlichen Wohnbaugesellschaften muss her – eines, das funktioniert.
Ein weiteres Problem: Jedes Jahr verschwinden Zehntausende Sozialwohnungen in Deutschland. Einfach weil die Preisbindungen auch bei staatlich geförderten Bauprojekten nach ein paar Jahren nicht mehr gilt. Das muss ein Ende haben.
Vor allem aber muss das Spekulieren mit dem Grundrecht auf Wohnen endlich aufhören. Deutschlands größter Vermieter Vonovia hat letztes Jahr einen operativen Gewinn von 2 Milliarden Euro eingefahren, bei 6 Milliarden Euro Umsatz. So geraten steigende Mietpreise zum Wucher.
In Berlin hat 2021 eine deutliche Mehrheit für eine Vergesellschaftung solcher Wohnraum-Spekulanten gestimmt. Klar, ein Volksentscheid, der an rechtliche Grenzen stößt – von der Politik aber bis heute einfach ignoriert wird. Dabei ist die Botschaft klar: So kann es nicht weitergehen.