In den Niederlanden ist die Wohnungsnot extrem hoch. Derzeit fehlen rund 400.000 Wohnungen. Betroffen sind junge Familien und Berufsanfänger, aber auch Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, Studierende. Inzwischen landen selbst alleinerziehende Mütter mit kleinen Kindern auf der Straße. Die Zahl der Obdachlosen hat sich 2022 um ein Viertel erhöht.
Die Ursachen für die Missstände sind vielfältig: Die Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2014 hat den Wohnungsbau in den Niederlanden so gut wie lahmgelegt. Die Nachfrage hingegen ist gestiegen: durch immer kleiner werdende Haushalte und die zunehmende Arbeitsmigration.
Verantwortung aber trägt auch die Regierung: Sie hat das Problem unterschätzt. Das Wohnungsbauministerium wurde 2017 sogar für überflüssig befunden und abgeschafft. Stattdessen vertraute das rechtsliberale Kabinett um Ministerpräsident Mark Rutte auf den Markt.
Die Folge: Es fehlt nicht nur an Wohnraum, er ist auch unbezahlbar geworden. Mieten und Immobilienpreise sind extrem stark gestiegen. Der Preis für ein durchschnittliches Eigenheim hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt auf rund 400.000 Euro.
Inzwischen haben die Niederländer wieder einen Minister für Wohnungswesen und Raumordnung: Hugo de Jonge. Regierung und Städte wollen Fehler korrigieren und gegensteuern - mit Regulierung und kreativen Instrumenten.
- Umwandlung von leer stehenden Gebäuden in Wohnungen
- Mietenregulierung durch Punktesystem
- Schutzzonen gegen Spekulation mit Wohnraum
- Neubauten
- Flexbauten
- Wohngemeinschaften und Micro-Apartments
- Seniorenwohnungen
- Geldbußen gegen Leerstand
- Strengere Gesetze gegen Missbrauch von Wohnraum
- Stärkerer Mieterschutz
Umwandlung von leer stehenden Gebäuden in Wohnungen
Viele Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, im Auftrag von Gemeinden leer stehende Gebäude in Wohnraum umzuwandeln: Bürogebäude, aber auch Klöster, Krankenhäuser und Schulen. In den Gebäuden werden kleine, möblierte und günstige Wohnungen geschaffen. So entstehen jedes Jahr rund 12.000 zusätzliche Wohnungen – 15 Prozent des gesamten Wohnraums, der jedes Jahr neu geschaffen wird. Künftig sollen es 15.000 pro Jahr werden.
Mietenregulierung durch Punktesystem
Die Einkommensgrenze für eine Sozialwohnung liegt bei 44.000 Euro brutto pro Jahr. Die Wartezeiten sind lang, mehr als zehn oder 15 Jahre sind normal. Die Miete wird mithilfe eines Punktesystems errechnet: Abhängig von Ausstattung, Lage und Größe bekommt eine Wohnung Punkte. Die höchste Punktzahl liegt bei 142, dafür darf die Höchstmiete für eine Sozialwohnung verlangt werden. 2023 liegt sie bei 808 Euro. Bei über 142 Punkten beginnt der freie Mietsektor.
Das bisherige Punktesystem soll von 2024 an auf den freien und bisher unregulierten Sektor ausgeweitet werden. Dadurch werden die Mieten dort um durchschnittlich 200 Euro gesenkt. Bei mehr als der Hälfte aller betroffenen Wohnungen in diesem Sektor werden sie sogar unter 1100 Euro sinken.
Schutzzonen gegen Spekulation mit Wohnraum
Damit Menschen wieder den Wunsch vom Eigenheim verwirklichen können, dürfen die Kommunen Schutzzonen gegen Spekulanten einrichten: Dort erworbene Wohnungen und Häuser müssen in den ersten vier Jahren von den Käufern selbst bewohnt werden und dürfen in dieser Zeit weder weiterverkauft noch vermietet werden. So gut wie alle Großstädte haben den Aufkaufschutz bereits eingeführt.
Neubauten
Bis 2030 will Minister Hugo de Jonge 900.000 neue Wohnungen bauen lassen, 100.000 pro Jahr. Doch 2022 waren es nur 78.000, wegen Fachkräftemangel, Bürokratie, stark gestiegenen Baukosten und zeitraubenden Bauvorschriften. Obendrein mangelt es in den dicht besiedelten Niederlanden an Baugrund. Außerdem wird beim Bau von Straßen und Wohnungen schädlicher Stickstoff ausgestoßen. Bevor gebaut wird, muss laut einem Gerichtsbeschluss anderswo Stickstoff eingespart werden. Dadurch liegen viele Bauprojekte still.
Flexbauten
Viele Gemeinden setzen auf sogenannten Flexbau: Wohnungen, die schnell und unbürokratisch realisiert und je nach Bedarf versetzt werden können, da sie ortsungebunden sind. In der Regel geht es um Modulbau aus Raumeinheiten, die sich wie überdimensionale Legosteine zusammensetzen lassen.
Wohngemeinschaften und Micro-Apartments
Potenziale sieht Amsterdam auch in klassischen Wohngemeinschaften. Jeder zweite Haushalt in der Hauptstadt ist inzwischen ein Single-Haushalt. Aktuell wird daher untersucht, wie sich mehrere Personen gleichberechtigt einen Mietvertrag teilen können. Auch beim Neubau setzt die Stadt deshalb auf Apartmentkomplexe mit gemeinschaftlich genutzten Räumen – sogenannte Micro-Apartments.
Seniorenwohnungen
Senioren bleiben nach dem Auszug der Kinder häufig in viel zu groß gewordenen Wohnungen zurück und lassen die nächste Generation nicht nachrücken. Viele schrecken vor einem Umzug zurück oder können gar nicht ausziehen, weil es an bezahlbaren Alternativen fehlt.
Überall im Land entstehen deshalb spezielle Seniorenwohnungen. Hausärzte und Pflegefachkräfte werden beim Bau miteinbezogen und sollten sich in Laufnähe befinden. Auch Amsterdam will jedes Jahr 10.000 Wohnungen für Senioren bauen und ihnen obendrein mit einem Umzugsservice helfen. Wer mehr als vier Zimmer hinterlässt, soll sogar mit einem Auszugsbonus belohnt werden.
Geldbußen gegen Leerstand
In Amsterdam stehen rund 19.000 Wohnungen leer. Als Gegenmaßnahme hat die Stadt Ende 2022 die Geldbußen für Leerstand verdoppelt. Vermieter sind verpflichtet, ihn innerhalb von sechs Monaten zu melden. Anschließend müssen sie innerhalb von zwei Monaten dafür sorgen, dass die Wohnung wieder vermietet ist. Wer sich nicht daran hält, muss mit einer Buße von bis zu 9000 Euro rechnen und kann sogar dazu gezwungen werden, die Wohnung bewohnbar zu machen.
Strengere Gesetze gegen Missbrauch von Wohnraum
Das Fahndungsteam in Amsterdam hat auch Wohnungsmissbrauch im Visier. Zum Beispiel durch das Untervermieten von Sozialwohnungen, Hanfanbau, illegale Prostitution oder Vermieten an Touristen. Über Airbnb darf in Amsterdam nur mit Lizenz vermietet werden, maximal 30 Nächte pro Jahr. Die Geldbußen bei Übertretungen sind drastisch: bis zu 21.000 Euro.
Stärkerer Mieterschutz
Ab 1. Juli müssen Vermieter in den Niederlanden auch dann mit Geldbußen rechnen, wenn sie Mieter diskriminieren, ihre Wohnungen nicht gut unterhalten und zu hohe Mieten, Kautionen oder Nebenkosten verlangen. Dann tritt ein neues Mieterschutzgesetz in Kraft, das Kommunen verpflichtet, eine Meldestelle für Missstände einzurichten.
Im äußersten Falle drohen Vermietern dann sogar Geldstrafen von bis zu 90.000 Euro. Das Gesetz wurde in Rekordzeit von beiden Kammern des Parlaments abgesegnet. Wohnen, da waren sich die Abgeordneten einig, sei ein Grundrecht und kein Geschäftsmodell.